Bis in die Haarwurzel der Bühne zugetan

Heute: Burkhart Seidemann, Hackesches Hoftheater/ Vergessene Komödianten erwachen hier wieder

  • Almut Schröter
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Nördliche Luft konnte er sich um die Nase wehen lassen und neue Erfahrungen mitbringen. Burkhart Seidemann, künstlerischer Leiter des Hackeschen Hoftheaters in Berlin-Mitte, kam durch ein in Brüssel ausgebrütetes internationales Theaterprojekt nach Norwegen. Der Dichter Lessing soll dort bekannter werden. In »Nathan der Weise« spielt der Mime einen stummen Erzähler. Gestisches Theater, hat Seidemann mal gesagt, ist eine Chance übergreifender kultureller Kommunikation von internationaler Anziehungskraft. Das kann er jetzt beweisen. Für die von Sprach- und Bildungsschwellen freie Kunst muss er trotzdem »ein paar Worte norwegisch« lernen. Bis August, dann wird das Projekt weitergeführt und er entschwindet für zwei Monate. Derart aus der Reihe tanzen kann der Chef des seit gut zehn Jahren bestehenden gestisch-mimischen Theaters, das aus dem Pantomimenensemble des Deutschen Theaters entstand, weil er sich »zuhause« auf Mitstreiter wie Bettina Schubert oder Albrecht Grüß verlassen kann. »Unser Theater ist wie ein lebendiger Organismus, wo man sich bis in die Haarwurzel identifiziert. Übers Geld können wir niemanden binden.« Fest angestellt ist keiner, Miete und Betriebskosten müssen ohne öffentliche Hilfe erwirtschaftet werden. Zu sehen gibt es neben dem Mime-Theater märchenhafte Vorstellungen für Kinder als Frühstückstheater, jiddische Musik, jiddisches Theater mit Musik. In den Polizeiarchiven lagern noch Zensurexemplare von Stücken solcher Theatergesellschaften, wie sie um den Hackeschen Markt herum typisch waren. Wird etwas Fördergeld für Nachforschungen erbeutet, entstehen neue Inszenierungen daraus. Zu den Jüdischen Kulturtagen 2002 schrieb Burkhart Seidemann »Die Wiederkehr« der Komödianten des Jizchak Löwy. 1942 wurden sie ermordet, waren vergessen. Momentan arbeitet Seidemann an einem Stück über die bizarre Persönlichkeit der preußischen Münzmeisterin Esther Liebmann. Solcherart Schicksale faszinieren ihn. Als Löwy unkte Seidemann von der Bühne, es gäbe fürs Theater »nichts Schlimmeres als Krieg und schönes Wetter«. Fürs Hackesche Hoftheater gibt es da noch die Immobilienwirtschaft. Als die Künstler sich in den Hackeschen Höfen niederließen, galt als Prämisse für die staatlich geförderte Sanierung der Bauten, dass 15 Prozent der Gemäuer kultureller Nutzung zufallen müssen. Burkhart Seidemann sieht das skeptisch. Die Marktwirtschaft sei vergesslich, kurzsichtig, unstrategisch und von einem merkwürdigen Darwinismus geprägt, sagt er. Deshalb kann er fürs Hoftheater in den Höfen künftig »keiner bleibenden Statt« sicher sein, um es biblisch zu sagen. Solcherart Sprachbilder streut der Mime schmunzelnd aus, wenn er ins Plaudern kommt. Schließlich war er mal Landpfarrer, bevor er seine Seele der Kunst verschrieb. Und scherzhaft bezeichnet er sich als Admiralintendant. »Als Theaterchef braucht man heute nautische Qualitäten, um nicht unterzugehen.« Allüren gibt man sich im Hoftheater nicht hin. Oft sitzt der »Herr Direktor« an der Kasse und begrüßt die Besucher. Dann empfiehlt er seine Künstler mit ausgesuchten Worten und Gesten. In den kommenden Wochen bestimmt jiddische Musik die Abende. Die mimische Zeit beginnt wieder im September mit einem Gastspiel der Compagnie Mimo Magic - Schülern von Marcel Marceau. Dazu kann man sich an der kleinen Theke stärken. Da gibts »Stulle mit B...

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