Cavallo - ein Mann mit zwei Gesichtern

Argentinischer Folterer in mexikanischer Haft /Auslieferung nach Spanien wäre ein Präzedenzfall

  • Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.
Nichts rührte ihn. Er war kalt, eiskalt.« Erinnert sich die 46-jährige Ana Maria Testa nach mehr als 20 Jahren. »Dünnes, fast sprödes Gesicht, silbernes Haar, eisige Augen, ein halb aufgesetztes Lächeln«, so beschrieb die »New York Times« Ricardo Miguel Cavallo kurz nach dessen Festnahme am 24. August 2000 im mexikanischen Cancun. Als Marinesoldat hatte der 25-jährige Cavallo dem argentinische Militärregime (1976 - 83) im schmutzigen Krieg gegen andersdenkende Menschen gedient. Sein Einsatzort war die ESMA, die Mechanikerschule der argentinischen Seestreitkräfte in Buenos Aires, das größte von 340 geheimen Haft- und Folterzentren der Militärs. 5000 Menschen wurden dort Ende der 70er Jahre misshandelt. Nur etwa 150 überlebten den Aufenthalt in der ESMA. Die anderen wurden ermordet - wie schätzungsweise weitere 25000 Personen in anderen Folterstätten des Landes. Cavallo gehörte zu denen, die über Leben und Tod entschieden. Vielfach überwachte er die Folterungen. Auch die von Ana Maria Testa: »Sie zogen mir die Kapuze über den Kopf, stießen mich in einen Keller. Dort fingen sie an, mich zu schlagen, zu verprügeln und auf den Boden zu schmeißen. Danach banden sie mich auf ein Metallbett fest und gaben mir Stromstöße - in den Mund, unter den Achseln, in der Vagina.« Mehrere Tage dauerte die sadistische Prozedur. Erst Jahre später erfuhr Ana Maria durch einen Mithäftling, dass Cavallo unmittelbar an den Folterungen beteiligt war. Carlos Lordkipanidse erinnert sich, die Gefolterte in Begleitung Cavallos gesehen zu haben. »Er war es, der ihr die Kapuze vom Kopf zog und mich fragte, "Kennst du die?"« Testa lernte den stets in Zivil auftretenden Cavallo in einer anderen Funktion kennen. In der ESMA war er 1979 auch für die Abteilung »La Pecera«, das Fischbecken, zuständig. Dort wurde einige Opfer »resozialisiert«. Ihnen präsentierte sich Cavallo als Vertrauensperson. »Er war mein Tutor, mein Verantwortlicher, nicht der brutale Mörder«, erinnert sich Testa. Cavallo erlaubte ihr die ersten Telefonanrufe, begleitete sie bei mehrtägigen Hafturlauben in das Haus ihrer Eltern, wo die Militärs nach ihrer Verhaftung die dreieinhalbjährige Tochter abgegeben hatten. Damals empfand Ana Maria Testa das Verhältnis zeitweise als fast herzlich. Um so größer war der Schock, als ihr das wahre Gesicht Cavallos klar wurde. »Sie wollten uns zerstören. Sie zwangen dich, dein Leben mit dem Folterer zu teilen. Weißt du, was es bedeutet, dass er vier Tage in deinem Haus schläft, am selben Tisch isst, in deiner Wanne badet?« Trotz langer Therapien hat Testa nie wieder Tritt gefasst. Lange plagten sie Verfolgungsängste. Vor vier Jahren unternahm sie einen Selbstmordversuch. »Eine Familie habe ich nie mehr gegründet.« Für Ricardo Miguel Cavallo dagegen war die Vergangenheit kein Problem - im Gegenteil. Aus dem Folterer und Überwacher »Marcelo«, »Serpico« oder »Ricardo Angel« wurde 1983 Miguel Angel Cavallo, ein erfolgreicher Geschäftsmann: Mehrere Regierungen beriet er in Sicherheitsfragen und half beim Aufbau von Dokumentenregistern. Gleichzeitig beschäftigte er sich mit Waffenschmuggel, Autoraub und dem Handel mit gefälschten Papieren. Angst, mit seiner falschen Identität aufzufliegen, hatte Cavallo nicht. Anders ist es kaum zu erklären, dass er sich mit seinem Unternehmen »Talsud« in Mexiko um den Aufbau eines nationalen Autoregisters bewarb, während sich die internationale Fahndung nach den Mördern der argentinischen Militärdiktatur verstärkte. Auf der Liste von 98 Personen, gegen die der spanische Untersuchungsrichter Baltasar Garzon Anklage erhoben hat, findet sich auch sein Name. Die Vorwürfe: Entführung, Folter und Genozid. Ein Journalist der mexikanischen Zeitung »Reforma« ging Gerüchten über die wahre Identität des frischgebackenen Direktors des Nationalen Autoregisters nach. Im August 2000 stand Cavallo auf der Titelseite der »Reforma«. Er reagierte prompt und versuchte, nach Argentinien zu fliehen. Doch Interpol-Mexiko war schneller. Am 25. August 2000 verfügten die mexikanischen Behörden die vorläufige Inhaftierung Cavallos. Einen Tag später traf aus Spanien der Auslieferungsantrag Garzons ein. Im Januar dieses Jahres entschied ein mexikanischer Richter über den Antrag grundsätzlich positiv. Kurz darauf stimmte auch Mexikos Außenminister der Auslieferung zu. So könnte erstmals gelingen, was im Fall Pinochet scheiterte: Ein Menschenrechtsverbrecher wird im Ausland verhaftet und in einem Drittland zur Rechenschaft gezogen. Cavallo leugnet alle Vorwürfe. Überlebende Opfer erkannten ihn jedoch schon auf den Fernsehbildern von seiner Festnahme. Auch Cristina Muro zögerte keine Sekunde. Ihren Mann hatten die argentinischen Militärs zu Tode gefoltert. Muro selbst wurde in Anwesenheit Cavallos bewusstlos geprügelt. Jetzt kämpfen Ana Maria Testa, Cristina Muro und Carlos Lordkipanidse stellvertretend für viele darum, dass Cavallo nicht ungestraft davonkommt. Eine endgültige Entscheidung über seine Auslieferung wird noch in diesem Jahr erwartet. Cristina Muro hofft inständig: »Es muss das Ausmaß der Taten verstanden werden, die diese Männer begangen haben. Cavallo soll den Rest seines Lebens an dem Ort ver...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.

- Anzeige -
- Anzeige -