High Noon bei den Knastbetreibern

Glänzende Aussichten für alle, die Gefängnis und Profit zu verbinden verstehen

  • Max Böhnel, New York
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.

Die USA-Wirtschaft mag in die Krise schlittern - den Knastbetreibern geht es glänzend. Die Hersteller von Elektroschock-Knüppeln, Aluminiumnäpfen, Fußfesseln, Schockgranaten, Gitterstäben und Kompaktzellen - kurz: die Gefängnisindustrie - können sich über mangelnde Umsätze nicht beklagen. Der »Prison Industrial Complex« boomt.

Philadelphia, vor gut einer Woche. Wer im Zentrum der Hauptstadt von Pennsylvania einen Blick in das gigantische Convention Center wirft, der kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Allein der Messekatalog umfasst 300 Seiten, und in der ausgebuchten Halle von der Größe eines Fußballplatzes treten sich schon morgens um neun finster blickende Männer mit Bürstenschnitt gegenseitig auf die Füße: das Stelldichein der Gefängniswärter, Gefängnisdirektoren, Gefängnisbeauftragten und Gefängnisprofiteure. Der Anlass: Hunderte von Firmen stellen ihre neuesten Produkte und Dienste vor - auf der alljährlich stattfindenden Knastmesse der »American Correctional Association«, der größten ihrer Art in den USA und damit weltweit. Die Aussichten auf alles, was eine Verbindung von Knast und Profit denkbar und möglich macht, sind glänzend. Larry Kothran ist einer, der es wissen muss. Er trage »viele Hüte«, beginnt er wie eine Karikatur des Marlboro-Mannes mit breitem Grinsen. Sein »wichtigster Hut« sei der des Forschungsleiters der kalifornischen Haftbehörden, und er müsse sich auf den neuesten Stand bringen, im Alter von 56 Jahren eben noch »dazulernen«, grinst er. In Kalifornien, dem bevölkerungsreichsten USA-Staat, sind High Tech, vollcomputerisierte Knäste und »humane« Waffensysteme längst keine Fremdworte mehr. Seine Behörde entwickle »neues Material für draußen auf dem Feld«, setzt Kothran an, »zum Beispiel 37-Millimeter-Geschosse, die in der Luft explodieren und Chemikalien freisetzen«. In Kalifornien würden in den Gefängnissen Licht- und Lärmschock-Gewehre getestet, außerdem arbeite man »an einem Gummiring, der auf eine Person abgeschossen wird und sie in einer Wolke von Pfeffergas verschwinden lässt«. Vor allem nicht-tödliche Waffen lägen im Trend, sagt Kothran, denn »wir können uns die vielen Klagen nicht mehr leisten«. Zu viele Häftlinge wurden in den vergangenen Jahren schwer verletzt oder gar umgebracht. Was die Behörden zu teuer kommt. Kothran zieht weiter, zum nächsten Messestand. »Wackenhut« heißt die Firma, mit deren Vertreter er zu fachsimpeln beginnt. Nach der »Corrections Corporation of America« ist »Wackenhut« die Nummer 2 im Geschäft mit dem Einpferchen von Menschen. Manche Konzerne liefern inzwischen schlüsselfertige Haftanstalten. Wenn sie »Deutschland« hören, hellt sich bei jedem Firmenvertreter das Gesicht auf. Deutsche Privatgefängnisse sind immer wieder in der Diskussion, viele wittern das große Geschäft. Das amerikanische Gefängniswesen sucht seinesgleichen - weltweit. Kein Land hat so viele Strafgefangene wie die USA, nicht einmal das um ein Vielfaches bevölkerungsreichere China. Die Grenze von 2 Millionen Häftlingen im Land von »freedom and democracy« ist letztes Jahr überschritten worden. Genaue Zahlen lieferte vor Tagen das Justizministerium: 2071686 Häftlinge Ende letzten Jahres, 1972 betrug die Zahl nur ein Zehntel davon. Allein um die Gefängnisse zu betreiben, werden in diesem Jahr 40 Milliarden Dollar ausgegeben. Und neue Knäste schießen wie die Pilze aus dem Boden, vor allem in Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit, etwa im Staat New York. Die Folge: Arbeitslose werden Gefängniswärter, potenziell Arbeitslose schulen um auf diesen Job. Und die Kommunen in ländlichen und entindustrialisierten Regionen betteln die Behörden mangels Alternativen um die Errichtung von Gefängnissen an. Schon drei Fahrstunden von New York City in Richtung Kanada gibt es Orte, in denen die Mehrzahl der Erwerbstätigen für die Knastindustrie arbeitet. Die USA-Juristenvereinigung zählte im Mai dieses Jahres 120 private Haftanstalten. 120000 Insassen sitzen dort ein, und die Zahl wächst. Denn private Unternehmen sperren billiger ein als der Staat. Der beauftragt dann eine Firma mit der Verwahrung von Häftlingen. Die Haftstrafen werden insgesamt länger, härter und rassistischer, gerade bei Bagatelldelikten wie Drogenmissbrauch. Was das Resultat des unter der Clinton-Regierung verschärften »Drogenkriegs« ist. Kein Witz: Wer mit Crack, dem »Kokain der Armen«, erwischt wird, landet mit Sicherheit mindestens doppelt so lang hinter Gittern wie ein Kokser, der sich »normales«, also teures Kokain leisten kann. Nicht-Weiße landen mit viel höherer Wahrscheinlichkeit und länger hinter Gittern als europäischstämmige Weiße. Kaum ein anderes Beispiel verdeutlicht besser den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Rassismus. Das Todesstrafen-Regime in den USA funktioniert ähnlich. Viele afroamerikanische Gefangene vergleichen das Gefängissystem in den USA deshalb mit der Sklaverei. Was zum einen an den Hungerlöhnen im Gefängnis liegt, zum anderen daran, dass in vielen Bundesstaaten Arbeitspflicht herrscht - Zwangsarbeit. Daran haben wiederum die Privatbetreiber von Gefängnissen großes Interesse. Dass es zunehmend nur noch um Profite geht, zeigt auch die Tatsache, dass die Kriminalitätsraten in den USA seit 10 Jahren kontinuierlich fallen: Ohne Gefangene lohnt sich das Geschäft nicht. Der Staat und seine Behörden müssen offenbar für Nachschub sorgen. »Rehabilitation« - dieser Begriff kommt seit Jahren nicht mehr vor. Das Erschreckende, aber auch Erhellende an der Gefängnismesse in Philadelphia ist, dass Firmenvertreter, Staatsbürokraten und Wärter diese Tatsachen ganz offen aussprechen, ohne moralische Bedenken oder gar Angst zu haben. Wenige Straßenzüge von der Messehalle entfernt hatten Gegner des »Prison Industrial Complex«, ehemalige Gefangene und Solidaritätsgruppen für den weltweit wohl bekanntesten Gefangenen und Todeszellenhäftling, Mumia Abu-Jamal, in Philadelphia mit Hilfe des Internets eine Gegenkonferenz mit Hunderten von Teilnehmern auf die Beine gestellt. »So lange das friedlich geschieht, ohne dass unsere Rechte eingeschränkt werden«, hieß es dazu selbstsicher im Messerundbrief der Knastindustrie, »unterstützen wir das Recht der Protestierenden auf ihre Gegendemonstrationen.« Sie gibt sich demokratisch, die amerikanische Knast-Gesellschaft, solange i...

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