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  • Kultur
  • Heute öffnet das Chemnitzer Opernhaus nach vierjähriger Rekonstruktion wieder seine Pforten Die Theaternarren in

Ruß-Chamntz

  • HANSJÜRGEN SCHAEFER
  • Lesedauer: 5 Min.

Sachsens Chemnitz feiert heute die Wiedereröffnung seines Opernhauses - die wohl letzte Premiere solcher Art in deutschen Landen vor der Jahrtausendwende. Ein Ereignis, das nicht nur von lokaler Bedeutung ist. Die Stadt wurde in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts zur Wiege des sächsischen Maschinenbaues. „Ruß-Chamntz“ nannten sie die Fremden nicht ohne Grund. Als „Tor zum silbernen Erzgebirge“ feierten sie die Lokalpatrioten. Das Industriezentrum wuchs rasch, platzte aus den Nähten. Dunkel, rußig, eng und voller Fabriklärm waren die Straßen bis die Stadt am 5. März 1945, wenig nach Dresden, im Bombenhagel unterzugehen schien.

Nach dem Ende des 2. Weltkrieges ging es nur langsam aufwärts, mühevoll wurde wieder aufgebaut, neue, hellere, freilich nicht eben schönere Wohnviertel kamen hinzu, und die Stadt wurde nach Karl Marx benannt. Nun ist's wieder Chemnitz.

Aber: Diese drittgrößte Stadt Sachsens hat auch eine beachtliche Theatergeschichte. Sie reicht runde 400 Jahre zurück, als es im damaligen Chemnitzer Gewandhaus (an seiner Stelle steht heute das Rathaus) Komödien, Singspiele und Tragödien gab. Im 19. Jahrhundert wurde dann das erste Schauspielhaus gebaut, ebenfalls im 2. Weltkrieg vernichtet. Hier hatte auch das musikalische Theater seinen Platz. Erst am 1. September 1909 ist am damaligen Anger ein imposanter Rundbau mit historizistischer Fassade in Anwesenheit des sächsischen Königs eröffnet worden, zunächst als „neues Stadttheater“ mit „Wallensteins Lager“ und dem Festwiesenbild aus Wagners „Meistersingern“- das heutige Opernhaus.

Die Chemnitzer erwiesen sich schon früh als wahre, Theaternarren. So schrieb anno 1838 das „Erzgebirgisch-Voigtländische Kreisblatt“: „Noch immer ist der Modegaul - unser Theater, wahres, vergöttertes Pantheon. Immer und ewig hauen sich und tummeln sich Recensenten, Direkteurs, Regisseurs, Akteurs, Dekorateurs und andere -eurs im Anzeiger herum, als ob's keine wichti-

geren Zeitvertreibe und dergl. Fragen gäbe!“

Aber immerhin, seidem machten die Stars unter den wort- und tongewaltigen Mimen um Chemnitz keinen Bogen mehr. Und seit jenem Johann David Beil aus Chemnitz, der 1782 neben Iffland als Schweizer in der Mannheimer Uraufführung von Schillers „Räubern“ reüssierte, seit jenem Chemnitzer Kompositeur, Kapellmeister und Pädagogen Christian Gottlob Neefe, der dann in Bonn der Lehrer Ludwig van Beethovens war, wurde das „Tor zum silbernen Erzgebirge“ auch Tor zur Welt der Kunst für so manchen, der in Chemnitz auf den Brettern, die die Welt bedeuten sollen, groß wurde. Das gilt besonders für die ?Oper der zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts. Als beispielsweise die große Sopran-Tragödin Gerta Barby von der Chemnitzer Oper in der Berliner Staatsoper die Titelparty der „Salome“ unter der Leitung von Richard Strauss sang, empfahl die Berliner Kritik dem Generalintendanten Unter den Linden hämisch, „sich seine klaffenden Lücken im Ensemble mit Chemnitzer Künstlern zu füllen“

Das Chemnitzer Theater, zumal die Oper, erlebte in den zwanziger Jahren seine Glanzzeit. 1912 übernimmt Richard Tauber aus Berlin die Direktion (bis 1930). Sein später als Tenor so gefeierter Sohn gleichen Namens debütierte hier als Tamino in Mozarts „Zauberflöte“. Ein leistungsfähiges Ensemble kommt zusammen. Viele seiner Mitglieder machen große Karriere in der Welt der Oper. Dieses Erbe wird dann unter Mühen gepflegt. Am Dirigentenpult ragt nach Oskar Malata der genialische, wie sein kurzzeitiger Nachfolger Rudolf Kempe an Flügel und Dirigentenpult souveräne Herbert Charlier heraus. Bis auch das Opernhaus im März 1945 durch Fliegerbomben schwer zerstört wird. Nach provisorischem Neubeginn wird das Haus - als erste Oper in der DDR - neu aufgebaut. Mit Beethovens „Fidelio“ wurde der Spielbetrieb 1951 wieder aufgenommen. In den folgenden drei Jahrzehnten, vor allem unter Generalintendant Gerhard Meyer (1966-1990) und unter Operndirektor Carl

Riha (1957- 1990), macht die Chemnitzer Oper auch international auf sich aufmerksam.

Realistisches Theater wird gespielt, die Idee der Volksoper bedient. Neben dem Standardrepertoire haben Janäcek, Prokofjew, Schostakowitsch hier ein Podium, Neues aus dem eigenen Lande erhält seine Chance. Aus dem Städtischen Orchester wird die Robert-Schumann-Philharmonie unter ihrem verdienstvollen Chef Dieter-Gerhard Worm mit Konzerten in der Chemnitzer Stadthalle neben dem Operndienst, mit zunehmenden Erfolgen auch auf Konzertreisen.

Die Rekonstruktion am Opernhaus, seit 1984 konzipiert, vom Januar 1988 bis zum Sommer 1992 dauernd, zwang zum Ausweich-Spielbetrieb im Kino-Theater Luxor-Palast, sicher war das keine leichte Zeit für das Ensemble. Doch ideenreich überstand es diese Zeit des Improvisierens.

Nun öffnet das erneuerte, modernisierte Haus wieder seine Pforten. Im rekonstruierten historischen Außenbau (er steht unter Denkmalschutz), mit neu gestaltetem Zuschauerraum für 720 Besucher, neuem Treppenhaus, erweiterter Bühne und modernster Technik, einem zusätzlichen Magazin-Anbau. Man ist in Chemnitz wohl mit Recht stolz darauf, daß diese Arbeiten zum überwiegenden Teil von sächsischen Firmen durchgeführt wurden.

Die Eröffnungspremiere heute mit' Wagners „Parsifal“ macht zudem Traditionsbewußtsein deutlich. Wurde doch das Bühnenweihfestspiel 1914, in der Ära Tauber und unter dem grandiosen Oskar Malata, hier zum ersten Male gespielt und damit überhaupt zur sächsischen Erstaufführung gebracht. Am Pult diesmal: Heinz Fricke, langjähriger GMD der Berliner Staatsoper, künstlerischer Leiter der Den Norske Opera Oslo und der Oper Washington, ein Wagner-Spezialist. Die Inszenierung besorgt der Chemnitzer Operndirektor Michael Heinicke.

Toi-toi-toi den Chemnitzern und ihrem neuen alten Haus zur Premiere und zum neuen Kapitel ihrer Operngeschichte in diesen den Musen so wenig holden Tagen!

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