Vorurteile: »Roma klauen und Poller sind Ausländerfeinde«
Ein Kölner Stadtteil erlebt bundesdeutsche Ausländerpolitik und ist hilflos
Die Folgen der Kölner Ausländerpolitik sind derzeit in Köln-Poll zu besichtigen. Opfer sind die Menschen: Pauschal werden die Roma als Diebe, die Poller als Ausländerfeinde diffamiert. Ein Stadtteil zwischen berechtigten Klagen und menschenfeindlicher Hetze.
Knapp 12000 Bewohner, ein dörflich geprägter Stadtteil - das ist Köln-Poll auf der rechten Rheinseite: »Die Gründer sollen niederländische Fischer gewesen sein«, schreibt der Bürgerverein. So wie überall in Köln: »Die ersten Kölner waren Ausländer«, heißt es mit Blick auf die römischen Gründerväter und -mütter in offiziellen Pro-Ausländerkampagnen der Stadt. Doch spätestens im Jahr des 1000. Geburtstages des Stadtteils ist das Thema »Ausländer« in Poll alles andere als positiv besetzt: »Wir haben die Schnauze voll«, heißt es auf einem Flugblatt, mit dem der in Poll wohnende Willi Welker Ende Juni alle Anwohner zu einer Demonstration unter dem Slogan »Kein Bleiberecht für kriminelle Flüchtlinge« aufrief. Welker schlägt in seinem Schreiben durchaus Zwischentöne an, die einen rechtsradikalen Hintergrund vermuten lassen. Aber das Abschieben in die Nazi-Schmuddelecke funktioniert nicht: Seine Vorwürfe gegen »Täter aus dem ehemaligen Jugoslawien« werden von vielen Anwohnern bestätigt. Vereinzelte Kritik in Poll entzündet sich vor allem an der Ausdrucksweise, nicht den Inhalten. Viele Poller haben Angst, insbesondere vor den Bewohnern eines mit rund 160 Personen belegten Wohnheimes in der Salmstrasse: »Bedrohungen und Beleidigungen gehen vor allem von zwei Familienclans aus, darüber sind auch andere Bewohner des Heimes totunglücklich«, bestätigt Werner Schmidt von der Kölner Polizei. Und er nennt Zahlen, die aus dem beschaulichen Dorf am Rheinufer eine Kriminalitätshochburg machen: »Taschendiebstähle haben seit dem Zuzug der Roma erheblich zugenommen.« Köln liegt mit über 11500 Fällen im vergangenen Jahr bundesweit an der Spitze der Statistik. Auf 100000 Einwohner gerechnet sind das 1193 Straftaten. Platz zwei belegt Düsseldorf mit 727 Fällen, Hamburg verzeichnet 634 Taschendiebstähle«. Ähnlich erschreckend ist das Bild bei den Wohnungseinbrüchen: Auch hier ist Köln mit 556 Fällen pro 100000 Einwohner unangefochtener Bundessieger, gefolgt von Düsseldorf mit 539 Einbrüchen. Zum Vergleich: Berlin, sicher keine Insel der Seligen, registriert 230 Wohnungseinbrüche. Auch wenn es keine offiziellen Statistiken gibt: »Über die Hälfte der ermittelten Einbrecher sind Roma, bei den Taschendiebstählen sind es über 90 Prozent. Und die weit überwiegende Zahl dieser Taschendiebstähle wird von Jugendlichen unter vierzehn verübt«, sagt Schmidt. Womit die Polizei fast machtlos sei: Wer jünger als vierzehn Jahre ist, kann strafrechtlich nicht belangt werden. Und Ermittlungen gegen die Eltern wegen Verletzung der Aufsichts- und Fürsorgepflicht erweisen sich als schwierig: »Mit polizeilichen Mitteln«, resümiert Schmidt, »ist dem Problem nicht beizukommen«. Die von rechten Populisten geforderte »Abschiebung krimineller Ausländer in ihre Heimatländer« ist übrigens auch keine Lösung: Erstens müssen die Täter erst einmal ermittelt werden - und damit tut sich die Polizei trotz Sonderermittlungsgruppen wegen der steigenden Fallzahlen schwer. Zweitens kann nach geltendem Recht erst dann automatisch ausgewiesen werden, wenn eine Verurteilung zu mehr als 36 Monaten Freiheitsentzug vorliegt - das ist bei Taschen- und Wohnungsdiebstählen fast nie der Fall. Und drittens verfügen viele Roma nicht über Ausweispapiere - sei es, um ihre Abschiebung zu verhindern oder zu verzögern, sei es weil sie als Staatenlose nirgendwo erwünscht sind. Anfang der 90er Jahre kamen die ersten Kriegsflüchtlinge aus Bosnien - und im Rahmen der bundesweiten Hilfsbereitschaft für die Kriegsopfer aus Bosnien und Albanien nahmen auch die Poller die neuen Gäste mit offenen Armen auf: »Wir haben säckeweise Kleidung und Spielsachen dort abgeliefert, das Zusammenleben entwickelte sich positiv«, erinnert sich Hans-Dieter Heinecke, der Vorsitzende des Bürgervereins. Mittlerweile aber hat sich die Situation komplett gedreht. »Die Klaukids von Köln« titelte ein Boulevard-Blatt aus dem Hause Neven DuMont und scheute sich nicht, 53 Fotos so genannter »jugendlicher Intensivtäter« zu veröffentlichen. Sogar der deutsche Presserat nahm sich des Themas an: »Durch die Berichterstattung, die den Charakter eines Steckbriefes hat, werden alle Roma diskriminiert.« Für diese mehrfach variierte Hetze gab es nur deswegen keine Rüge des Presserates, weil sich Verleger Alfred Neven DuMont darüber öffentlich »mit Trauer erfüllt« zeigte und den dreiseitigen Bericht zum Missverständnis deklarierte: In Wahrheit habe der Beitrag »Anklage gegen unsere Unbedachtheit, Unwissenheit und Gleichgültigkeit gegen andere« erheben wollen. Schließlich könnten verarmte Roma-Familien ihr Dasein meist nur durch Diebstahl fristen. Womit viele Kölner den Herrn der Kölner Presselandschaft so verstanden haben dürften: Die Flüchtlingssozialhilfe reicht dem gierigen Schnorrerpack nicht, deswegen schickt es die Kinder klauen. Nur sagen dürfen wir das leider nicht so offen. Schon wieder ein trauriges Missverständnis? Doch der Streit zwischen der christlich-abendländischen Tradition des »Du-darfst-nicht-stehlen«(offenbar so verwurzelt, dass nach gängiger Expertenansicht sozusagen jeder irgendwann einmal klaut und Strafen deswegen nötig sind) und der angeblichen landfahrerisch-hühnerdiebischen Zigeunertradition (die Diebstahl übrigens auch verurteilt) führe nicht weiter, meinen viele Kritiker. Das Mitschwingen positiver wie negativer Rassismen mache eine ehrliche Diskussion des Themas unmöglich. Schließlich ist genauso wenig jeder Roma ein Dieb, wie jeder Poller ein Rassist ist, der das zweifellos vorhandene Kriminalitätsproblem beim Namen nennt. Umso überraschender die Tatsache, dass nach mittlerweile über zehn Jahren keinerlei institutionalisierte Gesprächskreise und Netzwerke existieren, die die so verschiedenen Menschen aufeinander zugehen lassen würden: Vereine und runde Tische sind fast ausnahmslos auf privater Basis ohne jede städtische Unterstützung entstanden. Erst seit jüngster Zeit widmet sich auch ein städtischer runder Tisch dem Problem - viel zu spät, meinen Anwohner und Flüchtlingshelfer. Bis heute besucht kaum ein Roma-Kind die Schule. Vor allem, weil sie ständig von einem Heim zum nächsten verlegt werden und die Eltern nicht von den Vorteilen einer guten Ausbildung überzeugt werden. Und natürlich, weil die Verwaltung der Stadt Köln nach wie vor auf dem Standpunkt beharrt, dass Flüchtlinge mit einem Duldungsstatus zwar ein Recht auf den Schulbesuch hätten - aber keine Pflicht. Tatsächlich war die Kölner Flüchtlingspolitik - die eben in Wahrheit eine Roma-Politik ist - zu Zeiten des gelb-schwarzen Rathaus-Bündnisses eine Abschreckungspolitik. Erklärtes Ziel war es, unter den Roma bekannt zu machen, dass Köln keine gute Adresse sei. Also wurden die Roma in einer Art und Weise behandelt, die von Hilfsorganisationen und den Kirchen immer wieder als Verstoß gegen Flüchtlingskonventionen und Menschenrechte gebrandmarkt wurde. Und weil die Politik kein Interesse hatte, die Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen, musste die Verwaltung sehen, wie sie mit den wenigen Mitteln zurecht kam: »Finden Sie mal einen Vermieter, der bereit ist, sein Haus an Flüchtlinge zu vermieten«, nennt Michael Schleicher vom Kölner Wohnversorgungsbetrieb die praktischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung des jüngsten Ratsbeschlusses, einige Heime in Poll zu schließen. Folglich wurde und wird fast alles genommen, was man bekommen kann - fast ohne Rücksicht auf die Roma und fast ebenso rücksichtslos gegenüber der Kölner Bevölkerung. Poll hat rund 700 Flüchtlinge zu beherbergen. Die meisten davon sind Roma. Kein anderer Stadtteil muss so viele Menschen verkraften, denen als geduldeten Ausländern erklärtermaßen keine Perspektive in Deutschland geboten wird. Duldung heißt Aufenthalt auf Abruf - ohne Arbeitserlaubnis und ohne das Recht, selbstständig nach einer Wohnung zu suchen. Der Frust entlädt sich in Geringschätzung und Aggressionen und führt aufseiten der alteingesessenen Poller zum gleichen Resultat. Es sei kein Zufall, so Jörg Detjen von der Kölner PDS, dass es rechtsradikalen Trittbrettfahrern beispielsweise bei einer Demonstration mit 500 Teilnehmern im Juni gelungen sei, den Ärger der Poller und der »Bürgerbewegung« für ihre Zwecke zu instrumentalisieren: »Ich fand es schauerlich, dass die Demonstration durch die Salmstraße direkt am Flüchtlingsheim vorbeizog. So etwas heizt den Konflikt nur noch an. Die Situation erinnert mich sehr stark an 1989, als Neonazis die Stimmen von konservativen, frustrierten Bürgern einsammelten und mit über sieben Prozent in den Rat der Stadt Köln einzogen. Hier tickt eine Zeitbombe, das sollte sich vor allem die CDU vergegenwärtigen.« Kritiker unterstellen, dass dieser Zustand von den Politikern absichtlich herbeigeführt worden sei - auch um Bund und Länder vom Kölner Standpunkt zu überzeugen, dass es mit den geduldeten Ausländern nicht so weitergehen könne wie bisher. Im Gegensatz zu Asylbewerbern, die bundesweit nach einem speziellen Schlüssel verteilt werden, ist für »illegal eingereiste« Flüchtlinge die Kommune zuständig in der sich die Menschen erstmals bemerkbar machen. Ganz so, als wäre Köln für die bundesweite Ausländerpolitik verantwortlich - und nicht der Bundesinnenminister. Dass die Bevölkerung in Poll nicht durch die Bank rassistisch und rechtsradikal denkt, berücksichtigen auch die derzeit am Rhein zeltenden Camper des 6. Antirassistischen Grenzcamps nicht ausreichend. Einige hundert junge Leute spazierten vergangenen Sonntag durch den Stadtteil und ergriffen Partei für die Flüchtlinge. Dabei suchten sie das Gespräch mit den Pollern und den Flüchtlingen. Bis auf wenige Ausnahmen blieb es bei dem Versuch - zu sehr blenden die einen das Kriminalitätsproblem aus, zu v...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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