Im Saal herrschte minutenlang Schweigen

Trotz Entlassung von Ronald Barnabas Schill wollen CDU, PRO und FDP ihre Koalition fortsetzen

  • Volker Stahl, Hamburg
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.

Die Entlassung des umstrittenen Innensenators Ronald Barnabas Schill durch Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hat das Hamburger Regierungsboot mächtig ins Schlingern gebracht. Nach der Affäre um dreiste Nebengeschäfte eines Staatsrats ist der Fortbestand der Mitte-Rechts-Koalition aus CDU, Partei Rechtsstaatlicher Offensive und FDP gefährdet, soll aber zunächst fortgesetzt werden.


Ein derartiges politisches Schmierentheater haben auch langjährige und hartgesottene Rathaus-Berichterstatter bislang nicht erlebt. Wenige Minuten nach 11 Uhr betrat der vor wenigen Tagen aus dem Urlaub heimgekehrte Bürgermeister Ole von Beust (CDU) den großen Sitzungssaal, wo sein Stellvertreter Ronald Schill und Bausenator Mario Mettbach (beide Partei Rechtsstaatlicher Offensive, kurz PRO) bereits Platz genommen hatten.
Der braun gebrannte Teint des Sylt- und Italienreisenden verbarg nicht das Brodeln des Regierungschefs. Zunächst zog der Christdemokrat wie erwartetet den Schlussstrich unter die so genannte Affäre Wellinghausen, die die Hansestadt seit Wochen in Atem gehalten hatte. Er setzte den 59-jährigen Innenstaatsrat in den einstweiligen Ruhestand und begründete die Maßnahme mit »den hohen Anforderungen des Senats an das Verhalten von Spitzenbeamten«. Dem ehemaligen Rechtsanwalt wurden eine Reihe von Verstößen gegen den Ehrenkodex eines politischen Beamten vorgeworfen: unerlaubte Nebentätigkeit als Aufsichtsrat einer Münchner Klinik, Begünstigung eines ehemaligen Mandanten, dubiose Honoraranweisungen durch eine Hamburger Radiologen-Praxis. Wellinghausen war seit Dezember 2001 im Amt.
Dann platzte die Bombe. Ole von Beust verkündete mit bebender Stimme die Entlassung des Zweiten Bürgermeisters. Die Begründung: Ronald Schill habe versucht, ihn zu erpressen: »In einem Vier-Augen-Gespräch, heute Morgen um 9.40 Uhr in meinem Büro, um das Herr Schill mich gebeten hatte, drohte er mir, für den Fall der Entlassung des Staatsrates publik zu machen, dass ich meinen angeblichen Lebenspartner, den Justizsenator Dr. Kusch, zum Senator gemacht und damit Privates und Politisches verquickt habe. Ich habe daraufhin Herrn Schill meines Büros verwiesen. Seine Behauptung ist falsch und die Drohung ist ungeheuerlich.«
Während der Ausführungen des Regierungschefs hätte man eine Stecknadel in dem vollbesetzten Sitzungssaal fallen hören können. Von Beust, über dessen Homosexualität in der Stadt schon lange Gerüchte kursieren, gab an, Kusch seit 25 Jahren zu kennen und ihm eine Wohnung vermietet zu haben. Für die habe Kusch ordnungsgemäß Miete und Nebenkosten gezahlt. »Das ist alles, absolut alles.« Dann folgte die Generalabrechnung mit seinem ehemaligen Duzfreund Ronald Schill, den von Beust nunmehr als »charakterlich nicht geeignet, das Amt des Hamburger Senators weiterzuführen«, bezeichnete. Er wolle jedoch an der Koalition festhalten, so Ole von Beust.
Nach dem Ende der Ausführungen herrschte zwei, drei Minuten Schweigen - für die Journalistenschar eine bemerkenswerte Sprachlosigkeit. Erst die Frage eines Berichterstatters (»Was sagen Sie dazu, Herr Schill?«) durchbrach die Stille. Der Angesprochene redete sich in den folgenden Minuten in Rage und plauderte im wohl bekannten Stil des Populisten auf Stammtischniveau über die homosexuellen Neigungen des Bürgermeisters. Der politische Hauptvorwurf mit Blick auf den Fall Wellinghausen: »Sie messen mit zweierlei Maß!«
Schill erzählte, dass von Beust sich ihm gegenüber als homosexuell geoutet habe. In diesem Zusammenhang habe er ihn daran erinnert, dass er dessen Lebensgefährten Roger Kusch zum Justizsenator gemacht habe. Schill sagte ferner, er hätte von Beust nicht öffentlich bloßgestellt, wenn der ihm nicht Erpressung vorgeworfen hätte. »Ich habe an von Beust nur appelliert, Gerechtigkeit walten zu lassen. Ich sehe es als ungleich schwerer an, was die Vermischung von persönlichen und politischen Interessen anbelangt, wenn man seinen Lebensgefährten zum Senator macht, als wenn man seine Freundin zur persönlichen Referentin macht.« Schill spielte damit auf die erste Koalitionskrise an, als publik wurde, dass Bausenator Mario Mettbach seiner Lebenspartnerin einen Rathausjob zugeschanzt hatte. Mettbach entschuldigte sich für sein Vorpreschen und entließ die junge Dame. Das Saubermann-Image, mit der die Partei Rechtsstaatlicher Offensive im Bürgerschaftswahlkampf 2001 gepunktet hatte, bekam die ersten Kratzer.
Der unterschiedliche Umgang mit beiden Vorgängen widerspreche, so Schill, seinem Gerechtigkeitsempfinden. Es sei auch ein Fehler von Beusts gewesen, »einen verdienten Staatsrat ohne Rücksprache mit den Koalitionspartnern in die Wüste zu schicken«. Schills Vorwürfe und gezielte Indiskretionen haben möglicherweise ein juristisches Nachspiel. Generalsbundesanwalt Kay Nehm prüft zurzeit Ermittlungen gegen Schill wegen Nötigung eines Verfassungsorgans, die als Staatsschutzdelikt gilt..
Schills verbaler Amoklauf stürzt die Regierung in eine schwere Krise. Die Mitte-Rechts-Koalition ist die Folge der Bürgerschaftswahl vom Herbst 2001. Die nach Parteigründer Ronald Schill benannte neue politische Kraft in der Elbmetropole hatte den Christdemokraten Ole von Beust nach 40 Jahren sozialdemokratischer Vorherrschaft in den Bürgermeister-Sessel gehievt. Schill erhielt in einem von populistischen Parolen dominierten Wahlkampf aus dem Stand 19,4 Prozent der Stimmen und 25 Mandate in der Bürgerschaft. So ein Ergebnis hatte noch keine politische Neugründung in der Bundesrepublik zuvor geschafft.
Jetzt ist offen, ob die Mehrheit im Rathaus bröckelt. CDU, PRO und FDP verfügen zusammen über 64 Sitze, SPD und GAL kommen auf 57 Mandate. Während seines wortreichen Abgangs bei seinem wohl letzten großen Auftritt unkte Ronald Schill: »Ich habe Zweifel daran, dass alle PRO-Abgeordneten dazu zu bewegen sind, einen Nachfolger für mein Amt aus der Taufe zu heben.« Zudem sehe er keine Mehrheit für Mitte-Rechts nach einer »sehr wahrscheinlichen Neuwahl«. Doch schon vorher droht das Aus. Wenn sich eine Hand voll Schillianer weiter um ihren charismatischen Führer schart, ist die Mehrheit der Koalition gefährdet.
Davon wollen führende Partei-Repräsentanten allerdings nichts wissen. Sie rückten von Schill ab. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Rolf Rutter: »Wir versuchen jetzt, die Abgeordneten bei der Stange zu halten. Ronald Schill hat kein Mandat, die Koalition zu beenden.« Auch Fraktionschef Norbert Frühauf setzt auf diese Karte. Schill solle aber nicht aus der Partei ausgeschlossen werden, wie es sich Ole von Beust erhofft.
Auch Schills ehemaliger Adlatus und Wahlkampfmanager, der heutige Bausenator Mario Mettbach, übte sich schon im rhetorischen Spagat. Noch während der Pressekonferenz - von Beust hatte sich nach seiner Erklärung schon verabschiedet - fuhr Mettbach seinem ehemaligen Chef ins Wort, als der unappetitliche Details zu Ole von Beusts Sexualleben ausposaunte: »Ich habe zwar Verständnis dafür, dass Herr Schill den Bürgermeister auf moralische Bedenken hinweist, möchte die Diskussion aber jetzt beenden, um Schaden von der Stadt Hamburg abzuwenden.« So spricht einer, der sich für höhere Weihen empfehlen möchte. Schill saß daneben und schwieg endlich.
Ein derartiges politisches Schmierentheater haben auch langjährige und hartgesottene Rathaus-Berichterstatter bislang nicht erlebt. Wenige Minuten nach 11 Uhr betrat der vor wenigen Tagen aus dem Urlaub heimgekehrte Bürgermeister Ole von Beust (CDU) den großen Sitzungssaal, wo sein Stellvertreter Ronald Schill und Bausenator Mario Mettbach (beide Partei Rechtsstaatlicher Offensive, kurz PRO) bereits Platz genommen hatten.
Der braun gebrannte Teint des Sylt- und Italienreisenden verbarg nicht das Brodeln des Regierungschefs. Zunächst zog der Christdemokrat wie erwartetet den Schlussstrich unter die so genannte Affäre Wellinghausen, die die Hansestadt seit Wochen in Atem gehalten hatte. Er setzte den 59-jährigen Innenstaatsrat in den einstweiligen Ruhestand und begründete die Maßnahme mit »den hohen Anforderungen des Senats an das Verhalten von Spitzenbeamten«. Dem ehemaligen Rechtsanwalt wurden eine Reihe von Verstößen gegen den Ehrenkodex eines politischen Beamten vorgeworfen: unerlaubte Nebentätigkeit als Aufsichtsrat einer Münchner Klinik, Begünstigung eines ehemaligen Mandanten, dubiose Honoraranweisungen durch eine Hamburger Radiologen-Praxis. Wellinghausen war seit Dezember 2001 im Amt.
Dann platzte die Bombe. Ole von Beust verkündete mit bebender Stimme die Entlassung des Zweiten Bürgermeisters. Die Begründung: Ronald Schill habe versucht, ihn zu erpressen: »In einem Vier-Augen-Gespräch, heute Morgen um 9.40 Uhr in meinem Büro, um das Herr Schill mich gebeten hatte, drohte er mir, für den Fall der Entlassung des Staatsrates publik zu machen, dass ich meinen angeblichen Lebenspartner, den Justizsenator Dr. Kusch, zum Senator gemacht und damit Privates und Politisches verquickt habe. Ich habe daraufhin Herrn Schill meines Büros verwiesen. Seine Behauptung ist falsch und die Drohung ist ungeheuerlich.«
Während der Ausführungen des Regierungschefs hätte man eine Stecknadel in dem vollbesetzten Sitzungssaal fallen hören können. Von Beust, über dessen Homosexualität in der Stadt schon lange Gerüchte kursieren, gab an, Kusch seit 25 Jahren zu kennen und ihm eine Wohnung vermietet zu haben. Für die habe Kusch ordnungsgemäß Miete und Nebenkosten gezahlt. »Das ist alles, absolut alles.« Dann folgte die Generalabrechnung mit seinem ehemaligen Duzfreund Ronald Schill, den von Beust nunmehr als »charakterlich nicht geeignet, das Amt des Hamburger Senators weiterzuführen«, bezeichnete. Er wolle jedoch an der Koalition festhalten, so Ole von Beust.
Nach dem Ende der Ausführungen herrschte zwei, drei Minuten Schweigen - für die Journalistenschar eine bemerkenswerte Sprachlosigkeit. Erst die Frage eines Berichterstatters (»Was sagen Sie dazu, Herr Schill?«) durchbrach die Stille. Der Angesprochene redete sich in den folgenden Minuten in Rage und plauderte im wohl bekannten Stil des Populisten auf Stammtischniveau über die homosexuellen Neigungen des Bürgermeisters. Der politische Hauptvorwurf mit Blick auf den Fall Wellinghausen: »Sie messen mit zweierlei Maß!«
Schill erzählte, dass von Beust sich ihm gegenüber als homosexuell geoutet habe. In diesem Zusammenhang habe er ihn daran erinnert, dass er dessen Lebensgefährten Roger Kusch zum Justizsenator gemacht habe. Schill sagte ferner, er hätte von Beust nicht öffentlich bloßgestellt, wenn der ihm nicht Erpressung vorgeworfen hätte. »Ich habe an von Beust nur appelliert, Gerechtigkeit walten zu lassen. Ich sehe es als ungleich schwerer an, was die Vermischung von persönlichen und politischen Interessen anbelangt, wenn man seinen Lebensgefährten zum Senator macht, als wenn man seine Freundin zur persönlichen Referentin macht.« Schill spielte damit auf die erste Koalitionskrise an, als publik wurde, dass Bausenator Mario Mettbach seiner Lebenspartnerin einen Rathausjob zugeschanzt hatte. Mettbach entschuldigte sich für sein Vorpreschen und entließ die junge Dame. Das Saubermann-Image, mit der die Partei Rechtsstaatlicher Offensive im Bürgerschaftswahlkampf 2001 gepunktet hatte, bekam die ersten Kratzer.
Der unterschiedliche Umgang mit beiden Vorgängen widerspreche, so Schill, seinem Gerechtigkeitsempfinden. Es sei auch ein Fehler von Beusts gewesen, »einen verdienten Staatsrat ohne Rücksprache mit den Koalitionspartnern in die Wüste zu schicken«. Schills Vorwürfe und gezielte Indiskretionen haben möglicherweise ein juristisches Nachspiel. Generalsbundesanwalt Kay Nehm prüft zurzeit Ermittlungen gegen Schill wegen Nötigung eines Verfassungsorgans, die als Staatsschutzdelikt gilt..
Schills verbaler Amoklauf stürzt die Regierung in eine schwere Krise. Die Mitte-Rechts-Koalition ist die Folge der Bürgerschaftswahl vom Herbst 2001. Die nach Parteigründer Ronald Schill benannte neue politische Kraft in der Elbmetropole hatte den Christdemokraten Ole von Beust nach 40 Jahren sozialdemokratischer Vorherrschaft in den Bürgermeister-Sessel gehievt. Schill erhielt in einem von populistischen Parolen dominierten Wahlkampf aus dem Stand 19,4 Prozent der Stimmen und 25 Mandate in der Bürgerschaft. So ein Ergebnis hatte noch keine politische Neugründung in der Bundesrepublik zuvor geschafft.
Jetzt ist offen, ob die Mehrheit im Rathaus bröckelt. CDU, PRO und FDP verfügen zusammen über 64 Sitze, SPD und GAL kommen auf 57 Mandate. Während seines wortreichen Abgangs bei seinem wohl letzten großen Auftritt unkte Ronald Schill: »Ich habe Zweifel daran, dass alle PRO-Abgeordneten dazu zu bewegen sind, einen Nachfolger für mein Amt aus der Taufe zu heben.« Zudem sehe er keine Mehrheit für Mitte-Rechts nach einer »sehr wahrscheinlichen Neuwahl«. Doch schon vorher droht das Aus. Wenn sich eine Hand voll Schillianer weiter um ihren charismatischen Führer schart, ist die Mehrheit der Koalition gefährdet.
Davon wollen führende Partei-Repräsentanten allerdings nichts wissen. Sie rückten von Schill ab. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Rolf Rutter: »Wir versuchen jetzt, die Abgeordneten bei der Stange zu halten. Ronald Schill hat kein Mandat, die Koalition zu beenden.« Auch Fraktionschef Norbert Frühauf setzt auf diese Karte. Schill solle aber nicht aus der Partei ausgeschlossen werden, wie es sich Ole von Beust erhofft.
Auch Schills ehemaliger Adlatus und Wahlkampfmanager, der heutige Bausenator Mario Mettbach, übte sich schon im rhetorischen Spagat. Noch während der Pressekonferenz - von Beust hatte sich nach seiner Erklärung schon verabschiedet - fuhr Mettbach seinem ehemaligen Chef ins Wort, als der unappetitliche Details zu Ole von Beusts Sexualleben ausposaunte: »Ich habe zwar Verständnis dafür, dass Herr Schill den Bürgermeister auf moralische Bedenken hinweist, möchte die Diskussion aber jetzt beenden, um Schaden von der Stadt Hamburg abzuwenden.« So spricht einer, der sich für höhere Weihen empfehlen möchte. Schill saß daneben und schwieg endlich.

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