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Semjonow kritisierte mangelnden Eifer

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Hieran stimmte nur der Bezug auf Paul Merker. Er war der einzige Deutsche, dessen Name im Slansky-Prozeß fiel. Mit dem während der „Ermittlungen und Verhandlungen“ in Prag genannten Eisler war Dr. Otto Eisler gemeint, einstiger Stellvertreter des Generaldirektors der chemischen Industrie der CSR, angeblich - so die Anklage - ein „jüdischer Großkapitalist“, und nicht etwa Gerhart Eisler, wie das Politbüro vermeinte oder meinen sollte. Schreckers Name tauchte überhaupt nicht im Prozeß auf. Trotz der offensichtlichen Unsicherheiten, welche SED-Mitglieder im Prager Prozeß beschuldigt worden waren, beauftragte das Politbüro die Organe der Staatssicherheit, „unverzüglich Untersuchungen durchzuführen“, zu überprüfen, wer

den Mitangeklagten Andre Simone Ende der 40er Jahre bei seinen Reisen durch die sowjetische Besatzungszone „betreut“ hatte, und wer zum Freundeskreis von Otto Fischl, Chef der Diplomatischen Mission der Tschechoslowakei in der DDR, gehörte. Diese indes bedurften des speziellen Auftrages eigentlich schon nicht mehr, sie waren bereits an der „Sache dran“. Schrecker u.a. befanden sich schon in Haft.

Auf der PB-Sitzung vom 25. November wurde ferner beschlossen, eine Entschließung für das ZK auszuarbeiten, in der die „Lehren für die SED und die KPD und für den Staatsapparat“ formuliert werden sollten. Verantwortlich gemacht wurden hierfür Walter Ulbricht, Hermann Matern und Hans Jendretzky. Am 16. Dezember 1952 lag der Entwurf dem Politbüro zur Diskussion vor, am 20. Dezember wurde er in übei^rbeiteter Fassung bestätigt. In seiner Sitzung vom 2. Januar 1953 befaßte sich dann das Politbüro nochmals mit dem Papier, wobei festgelegt wurde, daß die Bedeutung des Prozesses deutlicher hervorgehoben werden müßte, daß alle „Fakten“ zur Belastung von Paul Merker zuerst aufgeführt werden sollten. Zwei Tage später, am 4. Januar 1953, veröffentlichte „Neues Deutschland“ die Stellungnahme unter dem Titel „Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky“. Das Dokument war als „Beschluß des Zentralkomitees vom 20. Dezember 1952“ gekennzeichnet.

Daß indes die SED-Führung offenbar nicht so eifrig, wie von ihr erwartet wurde, nach „Slansky-Verschwörern“ in der DDR spürte, bezeugt eine Beschwerde von Wladimir Semjonow, erster Politischer Berater des Vorsitzenden der Sowjetischen Kontrollkommission (SKK) in der DDR. Er gab Rudolf Herrristäät ühmiß-' “verständlich zu verstehen, daß; 1 er sehr enttäuscht' darüber Sei, ( daß ihm die deutschen Genossen kein belastendes Material gegen Eisler übergeben hätten. Eindringlich mahnte Semjonow: „Die amerikanische Raswedka (russischer Ausdruck für Aufklärung, W.O.) war während des Krieges so vorausschauend, daß sie sogar die kommunistischen Parteien solcher relativ weniger wichtigen Länder wie Ungarn und Bulgariens mit ihren Agenten durchsetzte. Da soll sie ausgerechnet die kommunistische Partei eines so wichtigen Landes wie Deutschland ausgelassen haben?“ Gesprächsnotizen von Pieck ist zudem zu entnehmen, daß die Stellungnahme der SED-Führung zum Slansky-Prozeß während einer Beratung mit einem Vertreter der SKK am 2. Februar 1953 nochmals eine Rolle spielte. Kritisch sei dabei auch die „schwache Auswertung (des Slansky-Prozesses, W.O.) in den Bezirken“ vermerkt worden. Sowjetische Berater studierten Anfang 1953 Kaderakten von SED-Funktionären.

In dem Bericht Schreckers an Karl Schirdewan heißt es, er sei über etwa 30 Personen vernommen worden, vor allem über jüdische SED-Mitglieder wie Siegbert Kahn, Jürgen Kuczynski, Leo Löwenkopf, Max Zimmering, aber auch über Wilhelm Koenen. Dies bestätigt, daß in der DDR ein Prozeß im Ausmaße und nach dem Muster des „Slansky-Prozesses“ geplant war. Paul Merker, am 2. Dezember 1952 verhaftet, sollte der Hauptangeklagte, der „Kopf der Verschwörer“ sein.

Am 3. März 1953 befaßte sich das Politbüro erneut mit einem Plan zur Überprüfung von Genossen aus der Westemigration. Am 17. März legte es in seinem Beschluß über „Maßnahmen zur Abwehr feindlicher Tätigkeit in der Partei“ fest, daß ab sofort alle Funktionen von Franz Dahlem und Gerhart Eisler ruhen und die ZPKK gegen beide Genossen Untersuchungen einleiten müsse. Lena Fischer, Mitglied des ZK, und Hans Lauter, Mitglied des Sekretariats des ZK, sollten wegen angeblichen Verrats sofort aus der Partei ausgeschlossen und die Ergebnisse der „großen Überprüfung“ in der SED von 1951 noch einmal überprüft werden. Bruno Haid, der spä-

tere Stellvertreter des Generalstaatsanwalts der DDR, erinnert sich, daß noch nach Stalins Tod (5. März 1953) auf der Ebene der „Berliner Sicherheit“ weiterhin auf einen „großen Prozeß“ orientiert wurde.

Besonders gegen Franz Dahlem spitzten sich jetzt die Anwürfe und Anschuldigungen zu. Mehrere PB-Sitzungen befaßten sich mit seinem „Fall“, er wurde der Zusammenarbeit mit dem amerikanischen und französischen Geheimdienst und sogar der Verbindung mit der Gestapo bezichtigt. Mit der Entschlie-ßung „Über die Auswertung des Beschlusses des Zentralkomitees zu den .Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky'“, die am 14. Mai 1953 auf der 13. ZK-Tagung der SED angenommen wurde, stand nunmehr Dahlem an der Spitze der „feindlichen Verschwörer“...

Daß es nicht zu einem Schauprozeß wie in Prag 1952 kam, hatte sicherlich verschiedene Ursachen, ging wohl auch auf die Verzögerungstaktik der SED-Spitze zurück. Letztlich gestoppt wurden die Vorbereitungen hierzu mit den Veränderungen in Moskau, den Direktiven an Ulbricht und Grotewohl für einen neuen Kurs in der DDR sowie den Ereignissen um den 17. Juni 1953, Die Verhafteten indes kamen nicht frei, sondern wurden nun in geheimen Einzelprozessen verurteilt, wobei die Anklage im alten Duktus gehalten war.

Gegen Hans Schrecker verhandelte der 1. Strafsenat des Bezirksgerichts Karl-Marx-Stadt am 4. Februar 1954. Auf der Grundlage der Direktive Nr. 38 des Alliierten Kontrollrates vom 12. Oktober 1946 wurde er zu acht Jahre Gefängnis verurteilt. In seinem Urteil hieß es, daß die Geheimdienste der imperialistischen Mächtf ein Netz von Agenten über die Länder des Friedenslager;, ausbreiteten und versuchen, eine Art „Fünfte Kolonne“ nach dem faschistischen Vorbild in diesen Ländern zu schaffen. Schrecker habe mit seinem Verhalten den Geheimdienst, der imperialistischen Westmächte unterstützt, der sofort nach der Beendigung des zweiten Weltkrieges zur Vorbereitung eines dritten übergegangen sei. Die unsäglichen Vorwürfe gipfelten in der Behauptung: „Die gesamte Entwicklung des Angeklagten ist gekennzeichnet durch Verrat an der Sache der Arbeiterklasse und somit am deutschen Volk.“

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