Witwen auf Wahrheitssuche

Auch zwei Jahre nach den grausamen Anschlägen in New York und Washington bestimmen Lügen Bushs Regierungsprogramm

Wir wissen Bescheid: 19 moslemische Fanatiker kaperten vier Passagiermaschinen, zwei rammten sie ins New Yorker World-Trade-Center, eines stürzte ins Pentagon, die Passagiere der vierten Maschine opferten sich, damit das Weiße Haus verschont bleibt. Wir kennen die ungefähre Anzahl der Opfer und wissen: Hinter allem steht Osama bin Laden mit seiner grausamen Al Qaida. Im Abwehrkampf stehen wir Deutschen hilfreich und treu zu den USA... Das ist in jeder Weise gesetztes Wissen. Wer zweifelt, wer auf Widersprüche aufmerksam macht, bekommt sogar schon vom liberalen »Chef-Investigativen« der »Süddeutschen« einen Schuss vors Gehirn: »Affen der Angst« überschrieb Hans Leyendecker seine jüngste Zynismussammlung: »Unablässig werfen Paranoiker, Apokalyptiker und andere Verschwörungs-Junkies in aller Welt Nebelkerzen und jammern anschließend, dass sie durch Nebelschwaden tapern müssen.« Ob er das Carol, Kristen, Patty, Beverly, Mary, Monica, Mindy, Carie, Sally, Lorie ins Gesicht sagen würde - jenen Frauen aus dem US-Staat New Jersey, die bei den Anschlägen auf das Handelszentrum ihre Männer und Söhne verloren und die seither wissen wollen, wie das Furchtbare geschehen konnte. Patty Casazza, 38, trauert um John. Ein lachendes Bild stellte sie in die Anzeige und beschreibt, wie sich zum ersten Mal in einer Disko begegneten. Das war 1984. Erinnerung. Nichts blieb von John. Die Gerichtsmediziner konnten bislang - statistisch brutal rechnen sie - erst 54 Prozent der vermuteten 2800 Opfer im WTC, darunter zwei der mutmaßlichen Attentäter, identifizieren. Als Patty nach Wochen des Wartens begriff, dass John nicht mehr kommen wird, erhielt sie einen Anruf von Kristen Breitweiser, 32. Die junge Mutter durchlebt das gleiche Schicksal wie Patty. Ihr Mann Ronald war Vizepräsident eines Investmenthauses. Er rief seine Frau an, als er sah, wie ein Flugzeug in den ersten Turm krachte: »Sorg dich nicht, mir geht es gut.« Wenig später flog eine Boeing in »seinen« Turm. Wie konnte das geschehen, fragten die beiden Frauen. So wie dann auch Mindy Kleinberg, 39, und Lorie von Auken, 46. Sie sind der »harte Kern« derjenigen, die Lügen unbarmherzig geißeln und Schritt für Schritt Wahres von Möglichem und das wiederum von Lügen trennen. Man nennt sie - je nach Position im bösen Geheimnisspiel hochachtungsvoll oder abwertend - die »Girls von Jersey«. Die schauten sich zunächst das Video an, das die ersten Reaktionen ihres Präsidenten nach den Attacken zeigt. Bush besuchte gerade eine Grundschule in Sarasota, Florida. Nach dem ersten Einschlag bemerkte er nur, was für ein »mieser Pilot« das wohl gewesen sei. Als seine Berater ihm nach dem zweiten Anschlag sagten »Wir werden angegriffen!«, wickelte Bush in Ruhe sein Besuchsprogramm weiter ab. »Ich konnte nicht aufhören, mir anzusehen, wie der Präsident dort saß, Zweitklässlern zuhörte, während mein Mann im Gebäude verbrannte«, sagte Kristen zu Journalisten. Auch hält sie es für seltsam, dass der Verteidigungsminister erst reagierte, als er den Einschlag des dritten Flugzeuges aus dem Fenster seines Büros sehen konnte. John T. Ward von »NJMonthly-Online« und Kollegen regionaler Zeitungen verbreiten den Vorsatz der Frauen: »Wir werden herausfinden, was passierte und wer verantwortlich dafür ist!« Die Frauen durchforsteten das Internet, schnitten Artikel aus den Zeitungen, stellten Kongressabgeordnete zur Rede und mehr und mehr fest, dass alle offiziellen Geschichten keinen Sinn ergaben - es sei denn den, etwas zu vertuschen und falschen Patriotismus zu entfachen. Mahnend stellten sich die Frauen vor das Capitol und zogen mit einem Wagen voller Akten in den Senat. Wie konnte es sein, dass das FBI gegen einige der Verdächtigen - noch immer ist die Schuld der 19 mutmaßlichen Attentäter nicht gerichtsfest belegt - ermittelt hat, sie aber ungestört Flugschulen besuchten? Obwohl es das so genannte Phönix-Memo gab, in dem das örtliche FBI schlimmste Befürchtungen hegte. Zunächst noch stritten die FBI-Leute ab, vor dem 11. 9. ermittelt zu haben, dann gaben sie gegenüber den moralisch sieghaften Frauen auf. Inzwischen weiß man sogar, dass die CIA bereits aus Hamburg, wo sich die Terroristen als Studenten zu Massenmord verabredet hatten, entsprechende Informationen über die Ziele eines der Todespiloten hatte. Doch nach einem Training mit kleinen Pipers und Cessnas, das die Beschuldigten absolvierten, kann kein Mensch moderne Mittelstreckenjets über hunderte Kilometer punktgenau in Gebäude lenken. Sprecher von Pilotenvereinigungen beschwören das. Immer wieder hieß es in der Bush-Administration, die Anschläge waren nicht abzuwenden, weil niemand das Unmögliche denken konnte. Inzwischen wissen wir, dass das Pentagon bereits vor Jahren eine virtuelle Boeing abstürzen ließ und danach die Luftabwehr um das Ministerium, die am 11. 9. offenbar Urlaub machte, zu verschärfen. Völlig offen ist auch die Rolle des Luftverteidigungskommandos NORAD. Reagierte das gar nicht? Oder stiegen wirklich F-15 und F-16 Jäger auf und wenn ja, wann und mit welchem Befehl? Reichte ihr Sprit wirklich nicht, um die Highjacker-Flieger abzufangen? Was sagen die Flugschreiber, wo sind die Voice-Recorder? Seltsamer Weise sind in den 800 Seiten des kongresseigenen Untersuchungsberichts nur zwei knappe Einlassungen der FAA, also der zivilen Flugaufsicht, zu finden. Air-Force oder NORAD tauchen aber nicht auf. Nichts weiß man von den Hintermännern der Anschläge. Wie kann es sein, dass Bush umgehend Islamisten unter bin Laden als Drahtzieher benennen konnte? Wie erklärt man, dass das FBI - obwohl seit der Bluttat kein Tag vergangen war - die Steckbriefe der mutmaßlichen Mörder ins Internet stellen konnte? Seltsam schnell hatte die Regierung ihren »Patriot Act« zur Hand, mit dem Bürger- und Menschenrechte geschrumpft werden. Das Beweis-Video, das US-Soldaten zufällig in einer afghanischen Villa gefunden haben wollen und auf dem der globale Terrorteufel seine Urheberschaft dokumentiert, ist Experten eine Spur zu perfekt. Vielleicht wird es deshalb gar nicht mehr als Beweis zitiert? Wie war das - wollte Bush bin Laden nicht »jagen, ausräuchern und zur Strecke bringen«? Heute interessiert der Böse der Bösen nur marginal. Seltsam schnell waren auch die Angriffspläne gegen Afghanistan bei den Einheiten. Dass sie schon fix und fertig - nur noch ohne Bushs Unterschrift - in dessen Schreibtisch lagen, bestätigten dessen Mitarbeiter bereits vor eineinhalb Jahren. Kein Staatsanwalt fragte danach. Deshalb zu behaupten, die Anschläge seien von Bush&Co. in Auftrag gegeben worden, ist Verschwörungsdenken. Doch wer die Aufklärung behindert, wer falsche Spuren legt und den Untersuchungsbericht des Kongresses seitenweise schwärzt, weil gemeinsame Interessen mit Saudi-Arabien, dem heimlichen Finanzier des Al-Qaida-Terrors, berührt sind, muss sich fragen lassen: Wozu und letztlich auch wem dient das? Die Frauen aus New Jersey und andere, die auch in den USA begonnen haben, zu zweifeln, ob denn die als »Kreuzzüge« angekündigten Kriegszüge Bushs wirklich den Terror in der Welt stoppen, haben immerhin erreicht, dass sich nur Schritte von Ground Zero entfernt eine zehnköpfige unabhängige Untersuchungskommission mit dem langen Namen National Commission on Terrorist Attacks Upon the United States trifft. Doch die muss - bevor sie Fragen stellen und beantworten kann - zunächst einmal den Kampf gegen die Bürokratie gewinnen. Das von Washington gebilligte Budget ist äußerst knapp, Akteneinsicht wird verwehrt, Staatsdiener verweigern Zeugenschaft. Bis zum Mai 2004 - so terminiert ist der Auftrag - werden kaum große Schritte in Richtung Wahrheit zu gehen sein. Im Herbst 2004 stehen Präsidentenwahlen an, die will der Clan um Bush, Cheney, Rice, Rumsfe...

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