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  • Brandenburg
  • Initiative „Spreeinsel“ gegründet - Widerstand gegen den Palast-Abriß

Kein Platz für die Schloßgespenster

  • Lesedauer: 4 Min.

„Auf Ansichtskarten ist er schon nicht mehr zu entdecken, und jetzt soll er ganz verschwinden“ - selbst an solchen „Kleinigkeiten“ wurde Dienstagabend im Berolinahaus am Alex klar, wie sehr der Palast der Republik zum Alltag der Menschen dieser Stadt gehört. An die 300 waren dem Aufruf von Künstlern, Architekten, Politikern gefolgt und gründeten die Initiative „Spreeinsel“, die den Abriß verhindern und sich für einen demokratischen Umgang mit der Stadtmitte einsetzen will.

1 000 kulturelle Veranstaltungen habe es jährlich im Palast gegeben, allein drei Millionen Menschen besuchten die Gaststätten, erinnerte Palastdirektor a. D Günter Bischoff. Da meldete sich die alte Dame, die in dem Haus ihren 50. Hochzeitstag und die Jugendweihe ihres Enkels feierte, der Vorruheständler, der noch kurz vor Schließung des Palastes hier seinen 60. Geburtstag beging, und die Anwohnerin, die ihre Sympathie auf die Kurzformel brachte: „Ich habe dieses Haus genossen!“ Sogar ein Schloßforscher meldete sich zu Wort. Aber Peter Feis, der den in der DDR zerstörten oder verwahrlosten Adelssitzen nachspürt, plädierte nicht für die Hohenzollernburg anstelle des Palastes. „Die Zerstörung von Symbolen ist ein Kennzeichen barbarischer Epochen.“ Und deshalb sei es „Pflicht der Demokraten, den Abriß-Barbaren in den Arm zu fallen.“

Solch starke Worte machten deutlich, daß es um mehr geht

als um schöne. Erinnerungen, um mehr als um ein einzelnes Gebäude. Max Welch Guerra, Stadtplaner und Dozent an der Technischen Universität, weiß aus bundesrepublikanischer Erfahrung, wovon er spricht: „Es geht nicht um Asbest, der Abriß ist auch kein Ausdruck von Tolpatschigkeit, er ist eine politische Frage, eine Frage der Identität. Die Stadtplanung wird benutzt, um politischen Revanchismus auszuüben.“ Wenn es in der Stadt keinen Konsens über den Abriß gebe, dürfe er auch nicht durchgesetzt werden, sei es gegen die Mehrheit oder eine wichtige Minderheit.

Im Stadtplanungsausschuß der Bezirksverordnetenversammlung Mitte ist es mehrheitlicher Wille der Abgeordneten über alle Parteigrenzen hinweg, den Palast zu erhalten. BVV und Bezirksamt sollen sich dafür bei Senat und Bundesregierung einsetzen, trugen Baustadträtin Dorothee Dubrau und Bezirksver-

ordneter Dieter Höfer das Tagungsergebnis von ein paar Zimmern weiter direkt in die Palast-Runde. Auf dem Marx-Engels-Platz dürften keine Regierungsbauten entstehen, er müsse ein lebendiges Zentrum werden^

Die Schauspielerin Käthe Reichel hat vier Jahre im Palast Theater gespielt, „und ihr seht, ich lebe noch“, rief sie unter dem Jubel der Zuhörer. Jetzt habe sie die Schnauze voll: „Wir wollen endlich gefragt werden, was mit unserem Geld geschieht.“ Der stadtplanerische Sprecher der PDS-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Harald Wolf, befürchtet, daß mit dem Abriß gleichzeitig der Ausschluß der Bürger aus der Stadtmitte beschlossen wurde. Statt öffentlicher Nutzung Paläste der Regierungsbürokraten. Der Platz dürfe nicht den Schloßgespenstem überlassen werden, deshalb gelte jetzt das Motto: „Wir erobern uns die Mitte zurück“.

Der Palast als Kulminationspunkt für den Umgang Bonns mit den Bürgern der neuen Hauptstadt. Die Wurzel für den absolutistischen Beutezug in der Stadtmitte macht Gesine Lötzsch von der PDS-Fraktion im Hauptstadtvertrag aus, „in dem der Senat die

Rechte Berlins den Bonner Interessen geopfert hat. Er muß aufgekündigt werden.“ Dann könne der Palast bleiben. Dessen Schöpfer Heinz Graffunder kennt dafür auch gute technische und städtebauliche Gründe. „Aber warum spricht wohl keiner mit uns?“, um gleich selbst zu antworten: „Weil wir den Palast am besten kennen.“

Wie soll es weitergehen? Die Initiative „Spreeinsel“ setzt sich für die Korrektur der Abrißentscheidung ein und will sich kompetent in die Gesamtplanung der Berliner Mitte einbringen, etwa durch einen alternativen städtebaulichen Wettbewerb. Komitees für Gerechtigkeit sammeln Unterschriften gegen den Abriß, allein in Friedrichshain kamen seit dem Palastspaziergang am 27 März bereits 3 000 zusammen. „Das, was bisher im Palast stattfand, muß jetzt draußen über die Bühne gehen“, rief eine Teilnehmerin. Ein Protestkonzert ist da nur der Anfang von Aktionen. Im Haus der Demokratie wird ein Büro der Initiative eingerichtet, über das die weitere Arbeit organisiert wird. Interessierte Mitstreiter können sich unter Tel. 229 91 94 melden.

BERND KAMMER

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