Gute Gene, schlechte Gene

Experten debattierten mit der Bundeszentrale für politische Bildung über moderne Biowissenschaften

Die Humangenetik im 21.Jahrhundert - welche Versprechungen kann sie halten? Was ist machbar und was vermeidbar? Die Bundeszentrale für politische Bildung beschäftigte sich erstmals mit den Fragen der Biowissenschaften, gemeinsam mit nationalen und internationalen Wissenschaftlern. Am heutigen Mittwoch geht ihr Kongress »Gute Gene - schlechte Gene« zu Ende.

Ein Baby nach Maß, ein genetisches Horoskop über Angestellte wie eventuelle Lebenspartner oder - und das ist nur die logische Konsequenz - ein Mittelchen zur Vernichtung genetisch aufschlussreicher Hinterlassenschaften wie Haare oder Hautschuppen. Das alles und noch viel mehr gibt es bereits - bei Chromo-Soma. Zumindest für die Dauer der künstlerischen Performance. Der Laden im Bremer Ostertorviertel spielt im Auftrag der Bundeszentrale für Politische Bildung auf satirische Weise mit den Versprechungen der Gentechnikindustrie.

Es wird gekauft, was angeboten wird
Und die Menschen auf der Straße »kaufen«, was er bietet. »Es kann nicht darum gehen, innerhalb einer Elite zu diskutieren und die Bevölkerung nicht mitzunehmen«, begründet Holger Ehmke, Fachbereichsleiter kulturelle Medien der Bundeszentrale den öffentlichkeitswirksamsten Bestandteil des Kongresses »Gute Gene - schlechte Gene« in Bremen. Die Ergebnisse der ungewöhnlichen künstlerischen Inszenierung von angeblichen Gentech-Produkten geben ihm Recht. Von 40 täglichen »Beratungsgesprächen« kamen rund 25 zum »Vertragsabschluss«.
Chromo-Soma zeigt: Ernsthafte Diskussionen über Chancen und Risiken der modernen Biowissenschaften sind nötig. 69Prozent von Paaren mit Kinderwunsch halten die freie Auswahl des Geschlechts mittels Biotechnik für erstrebenswert. Rund 50Prozent in Deutschland, 60 Prozent gar in den USA, meinen, ein Recht auf jeden erdenklichen Gentest zu haben. »Die Daten zeigen, Humangenetik muss mehr zum Thema in der Schule werden«, forderte Jörn Bullerdiek, Professor für Humangenetik an der Uni Bremen. »Nur ein Drittel glaubt, ein Recht auf Nichtwissen zu haben.«
Das Recht auf Nichtwissen zog sich wie ein roter Faden durch den gesamten dreitägigen Kongress. Was ist, wenn immer mehr kommerzielle Anbieter Erbkrankheiten voraussagen können? Wie soll gesetzlich geregelt werden, wenn der Sohn Informationen über mögliche genetische Dispositionen haben will, die Mutter aber nicht? Wie geht die Gesellschaft mit heimlichen Vaterschaftstests um? Regelungen sind nötig, da waren sich die rund 35Forscher, Ethiker und Politiker und weitere 150Teilnehmer einig. Das »Recht auf Nichtwissen ist unantastbar«, sagte der israelische Professor Michael Revel, als renommierter Stammzellforscher irrationaler Abneigungen gegen die neuen Techniken unverdächtig. Aber: Wenn die Gesellschaft nicht offen genug sei, gingen die Firmen und mit ihnen die Forscher ins Ausland, warnte Klaus Lindpaintner, Harvardprofessor und Mitarbeiter des Chemieriesen LaRoche.
40000 Menschen nahmen in den vergangenen 30Jahren allein das Serviceangebot des Bremer Zentrums für Humangenetik an der dortigen Uni in Anspruch. Sie wollten wissen, ob sie ein genetisch unauffälliges Kind bekommen werden oder wie die Chancen auf eine genetisch bedingte Krebserkrankung abzuschätzen sind? Beratung sei unverzichtbar, sagte Bullerdiek.

Zerstörte Illusionen durch professionelle Aufklärung
Eine Fehleinschätzung, meinte Silja Samerski, vom Projekt »Das AlltagsGen« an der Universität Hannover. Professionelle Aufklärung könne natürlich die Illusion zerstören, Pränataldiagnostik sorge für gesunde Kinder. Die Technik bietet lediglich statistisch begründete Voraussagen über genetisch bedingte Erkrankungswahrscheinlichkeiten. Die Mehrzahl von Behinderungen ist ohnehin nicht genetisch bedingt. »Allerdings ist diese Ernüchterung teuer erkauft«, sagt die Wissenschaftlerin. In der Beratung lerne die Schwangere, das Kommen ihres Kindes zum Gegenstand von Risikoabwägungen zu machen. »Die Beratung hat ihre gute Hoffnung verkehrt in eine eigenverantwortliche Entscheidung für das Risiko.«
Der Kongress ist international besetzt und er wagt den Blick über bundesdeutsche Grenzen hinaus. Beispielsweise nach Island, wo ein kommerzielles Unternehmen mit dem Aufbau einer Gen-Datenbank aller Isländer beauftragt ist. Oder nach Zypern, wo staatliche Massentests und die daraus folgende Geburtenregulierung der Bevölkerung die Ausbreitung einer genetisch bedingten Krankheit verhindern sollen. Staatlich organisierte Eugenik gibt es auch in Chin...

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