Bergmann in der vierten Generation
Klaus Herzmanatus war Betriebsratsvorsitzender auf Ewald/Hugo, der letzten Gelsenkirchener Zeche
Zwischen den großen Kohlebrocken haben sich Löwenzahn und anderes Unkraut längst ihren Weg gebahnt. Auf der Kohle liegt ein ausgehöhlter Kürbis aus Halloween-Tagen, der auch schon bessere Zeiten gesehen hat. »Zeche Hugo, Gelsenkirchen-Buer, gegründet am 24. März 1873« lautet die Inschrift auf der Zechenlore im Vorgarten des Hauses Uhustraße 9. Gelsenkirchen nannte man einst die »Stadt der tausend Feuer«. Sie war einmal die größte Bergbaustadt Europas.
»Entschuldigung, ich bin spät dran«, sagt Klaus Herzmanatus zur Begrüßung. Er war Betriebsratsvorsitzender auf Ewald/Hugo, der letzten Gelsenkirchener Zeche. Der Händedruck des 1,80 Meter großen kräftigen Mannes ist nicht der eines Schraubstocks, aber kräftig genug, um abzuchecken, ob sein Gegenüber ein »Sesselfurzer« ist. »Mir ist mal wieder ein Termin dazwischengekommen. Dafür zeige ich jetzt mal was Schönes.« Das Schöne ist ein Foto von ihm und Andy Möller, dem Mittelfeldstar des FC Schalke 04, in voller Bergmannskluft. »Ich habe für die Jungs mal wieder eine Grubenfahrt organisiert, damit sie mal sehen, was die Region hier so ausmacht und womit andere ihr Geld verdienen müssen. Hatte mich Gerd Rehberg, der Schalke-Präsident, drum gebeten.« Ein Foto nach dem anderen kommt jetzt auf den Tisch, ein Kaleidoskop der letzten drei Jahre Arbeit als Betriebsrat. Herzmanatus in traditioneller Bergmannskluft, schwarze Jacke mit goldenen Knöpfen, neben dem ehemaligen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement; in dunkelbrauner Motorradlederjacke scherzend mit dem damaligen SPD-Generalsekretär Franz Müntefering; im blauen Pütthemd und mit kohlegeschwärztem Gesicht überreicht er dem nordrhein-westfälischen Bauminister Dr. Michael Vesper eine Grubenlampe; im feinen Zwirn, die Gewerkschaftsnadel am Revers, steht er neben ARD-Talkmasterin Sabine Christiansen. »In den letzten Jahren als Betriebsrat, da bin ich an meinen Aufgaben gewachsen. Ich war immer mittendrin und habe sehr intensiv gelebt, die Situationen aufgesogen, genau beobachtet und viel gelernt«, sagt Klaus Herzmanatus mit ruhiger dunkler Stimme, immer den Blickkontakt suchend. Große Gesten und Mimik braucht er nicht, um zu unterstreichen, was er sagt.
Mittlerweile ist es schon sechs Jahre her, als die Kumpel der Zeche Hugo für Aufsehen sorgten. Damals hielten sie die Apostel-Kirche in Gelsenkirchen-Buer für 33 Tage besetzt. Wieder einmal war der deutsche Steinkohlebergbau gefährdet, weil die Bundesregierung die Kohlesubventionen in Frage stellte. Diesmal würde es nicht reichen, Bettelbriefe nach Bonn zu schicken und zum x-ten Mal eine Kundgebung zu organisieren, das war Klaus Herzmanatus und seinen Kollegen klar. »Johannes Fronemann, Pfarrer der Apostel-Kirche, kam zu uns in den Betriebsrat und hatte den Dieter Heisig im Schlepptau. Das sei der Industrie- und Sozialpfarrer. Wir haben uns angehört, was die Jungs da so zu erzählen hatten. Ist ja alles prima, habe ich irgendwann mal mittendrin gesagt, aber was hieltet ihr davon, wenn wir morgen eure Kirche besetzten?« Klaus Herzmanatus stockt und schaut mit großen Augen in den Raum. Seine Lippen formen ein lautloses »O«. »Die waren baff. Passt auf, wir kommen morgen früh vorbei und klären alles ab. Gesagt, getan - am Nachmittag war die Kirche besetzt, und die Sache kam ins Rollen.«
Damals war die halbe Stadt auf den Beinen und pilgerte zu der kleinen unscheinbaren Kirche aus rotem Backstein, die eher an eine zu groß geratene Kapelle erinnert. Die Kirche ist so alt wie der Bergbau im Gelsenkirchener Norden. Um sie herum ist der Stadtteil Buer nach und nach gewachsen. Belegschaften aus unterschiedlichen Betrieben der Region kamen vorbei, lokal- und bundespolitische Prominenz besuchte die Besetzer, und der Rat der Stadt tagte in der Kirche. Die Gemeinde, Nachbarn und Freunde sorgten für Kaffee, Kuchen und belegte Brötchen. Der Imbiss auf der anderen Straßenseite mit seinen orangefarbenen Plastiklampen, der roten Theke mit schwarzen Sprengseln und dem schmutzig-grauen Telefon mit Wählscheibe erzielte einen Umsatzrekord nach dem anderen. In der Nacht wärmten die Feuertonnen nicht nur die Körper der fröstelnden Menschen. »So viele Interviews wie in der Zeit habe ich nie wieder gegeben«, sagt Klaus Herzmanatus und streicht mit dem Zeigefinger über seinen dichten Schnäuzer. »Viel wichtiger war aber, dass wir die Menschen wachgerüttelt hatten. Obwohl wir wussten, dass das Zechensterben weitergehen würde und am Ende nur eine Handvoll übrig bleibt, dass es Hugo treffen würde, daran habe ich nie gedacht.« Doch genau so kam es.
Hugo wurde mit dem Hertener Bergwerk Ewald zum Verbundbergwerk Ewald/Hugo zusammengelegt, und Ende 2002 sollte es schon wieder schließen. Das Ende kam sogar noch schneller: Am 28. April 2000 endete die über 125-jährige Bergbaugeschichte in Gelsenkirchen-Buer. »Betriebsratsvorsitzender - darauf habe ich hingearbeitet, das wollte ich immer werden. Es war auch Bestätigung dafür, dass nicht alles so ganz falsch gewesen sein kann, was ich gemacht habe. Ich habe gelernt, dass du die Menschen erreichen kannst, wenn du dich einfach so gibst, wie du bist, wenn du das machst, was du sagst, dann kannst du unheimlich viel erreichen.« Davon war Klaus Herzmanatus bis zum Schluss überzeugt.
Es klingelt an der Haustür. Unverständliche Wortfetzen sind zu hören. Aus der Garage klingen schabende Geräusche, so als würden Kartons hin und her geschoben. »War ein Nachbar, alter Kumpel von mir«, sagt Klaus Herzmanatus etwas außer Atem. »Dem hatte ich Winterreifen versprochen, weil er im Sommer im Garten einiges gemacht hat, als ich nach meinem Motorradunfall noch nicht so gut konnte.« Er winkt mit der rechten Hand ab und sagt: »Ist schon ein Scheißgefühl, wenn du da so auf der Straße liegst. An dem Jochbeinbruch habe ich heute noch Spaß. Aber trotzdem werde ich nicht aufhören, Motorrad zu fahren. Habe ja auch nicht aufgehört zu laufen, obwohl ich mich schon hundert Mal lang gemacht hab. Außerdem, Süd-England mit dem Motorrad, das ist ein Traum. In Cornwall, da gibt es alles, was ich mag, Wasser, Leuchttürme und Zechen.«
Auszeiten und Ruhephasen - die braucht auch Klaus Herzmanatus und findet sie zu Hause. Seine Frau Sabine Burzler hat er 1988 auf der Arbeiterakademie in Frankfurt/Main kennen gelernt. Die zierliche blonde Frau aus dem Fränkischen war damals Gewerkschaftssekretärin bei der IG Textil-Bekleidung, und Klaus Herzmanatus sollte als noch junger Betriebsrat auf der Kaderschmiede der Gewerkschaften den Feinschliff erhalten. »Na ja, eigentlich war ich auch da, um mich mal ein bisschen auszutoben«, sagt er und kann sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen. »Aber es hat sofort gefunkt. Wir ergänzen uns sehr gut, finde ich. Sabine hat mich immer unterstützt, mir Kraft gegeben, wenn alles zuviel wurde. Vor zwölf Jahren ist sie dann hierher gezogen. Sie hat hier schnell Fuß gefasst. Anfang des Jahres hat sie ihren Traumjob gefunden, als Personalmanagerin einer Bottroper Bauchemiefirma.«
Hier leben, lieben und streiten Sabine Burzler und Klaus Herzmanatus, steht auf dem Schild an der Haustür. Mehr als zwölf Jahre hat es gedauert, um das Gesicht der Wohnung zu formen. Mit der Hilfe von Nachbarn und Kollegen hat er Treppen eingezogen, Räume trocken gelegt und die Wände und Decken mit Holz vertäfelt. »Hier oben, da war einmal der Taubenschlag. Ich wusste genau, was man daraus machen kann, als ich zum ersten Mal hier oben war«, sagt Klaus Herzmanatus und schaut sich um. Hier oben, da ist jetzt das Wohnzimmer. Helle Möbel und gedeckte Farben, die großen Fenster und der angrenzende Wintergarten mit den vielen Pflanzen lassen viel Licht rein. Eine Wand ist mit Fotos verschiedener Leuchttürme übersät. Hier und da reitet eine Hexe auf ihrem Besen an mit Bierseidel gefüllten Regalen, an Grubenlampen und an Bildern mit Motiven aus der Arbeitswelt des Bergmannes vorbei. Für den Laien ähneln sich die Grubenlampen sehr. Klaus Herzmanatus kennt sie alle, und zu beinahe jeder gibt es eine eigene Geschichte. »Die hier«, sagt er und nimmt eine Lampe von der Wand, »die stammt aus dem Uranbergbau. Die hier aus der Türkei, und das hier ist meine älteste, von 1890. Ach ja, und die hier habe ich in Venezuela gekauft, für 80 Dollar. Die wollten die erst nicht rausrücken, aber ich habe denen dann erklärt, wer ich bin und so, dann hat es doch noch geklappt.«
Vom Wohnzimmer aus ist ein Schacht der Zeche gut zu sehen. Bis zu dem grauen Betonkasten, der ein Fördergerüst ummäntelt, ist es ungefähr ein Kilometer Luftlinie. Der Betonklotz ist in ein fahles Licht getaucht und in der Dämmerung gut zu sehen. »Nee, mach das Licht aus! Es tut weh, da ist ein Pütt drunter, der noch laufen könnte«, sagt Klaus Herzmanatus in die Stille hinein, und für einen kurzen Moment hat die Stimme ihre Ruhe und Kraft verloren.
Sein Urgroßvater hatte 1908 seine erste Seilfahrt auf Hugo und arbeitete dort bis zur Rente. Auch der Großvater und der Vater haben ihr ganzes Arbeitsleben auf Hugo verbracht. Mehr als 30 Jahre war der Vater Betriebsrat auf Hugo. Einer der schwärzesten Tage im Leben von Klaus Herzmanatus war der 11. November 1998. An diesem Tag musste er die Belegschaft über einen Beschluss des Vorstandes der Deutschen Steinkohle AG informieren. Für die Zeche Ewald/Hugo sollte das Aus fast zwei Jahre früher als angekündigt kommen - am 28. April 2000. Jetzt blieb nur noch, den Betrieb abzuwickeln und für die Kumpel das Beste rauszuholen. »Ich konnte die Wut, die Enttäuschung der Kumpel so gut verstehen, und musste doch besonnen bleiben. Ich habe denen versprochen, dass ich als Letzter gehe. Wir werden allen zeigen, dass wir eine Mannschaft sind, und keiner von euch wird ins Bergfreie fallen.«
Klaus Herzmanatus hat Wort gehalten. Vorruhestandsregelungen und die Verlegung auf andere Bergwerke, damit hat er sich nicht zufrieden gegeben. Er hat sich für ein Job-Center stark gemacht, um die Bergleute in andere Berufe zu vermitteln, hat die Folgenutzung des Ewald-Geländes in Herten mitkonzipiert, ein Bündnis für Arbeit vor Ort angeschoben und dafür gestritten, dass aus Hugo ein Besucherpütt werden sollte. Bei einer Reise zum Mittelpunkt der Erde sollten die Menschen einen Blick auf die Arbeitswelt des Bergmannes werfen können. So könnte die Tradition Gelsenkirchens als Bergbaustadt fortgesetzt werden und Arbeitsplätze in der Tourismusbranche würden entstehen, hoffte Klaus Herzmanatus.
Doch daraus wurde nichts. Es waren vor allem die Kosten für die Wasserhaltung, die das Projekt platzen ließen. Jährlich hätte es einen zweistelligen Millionenbetrag gekostet, um zu verhindern, dass die Schachtanlage im wahrsten Sinne des Wortes absäuft. Hartnäckig, wie Klaus Herzmanatus ist, hat er doch noch einen Weg gefunden, um die Erinnerung an die Zeche wachzuhalten, die den Stadtteil Buer über Jahrzehnte prägte. Am Fuße der Rungenberghalde hat er mit Hilfe vieler Kollegen aus einem Geschichtsarbeitskreis »das kleine Museum« eingerichtet. Dort erwarten den Besucher ein komplett ausgestattetes Betriebsführerzimmer, eine stattliche Sammlung Grubenlampen, ein Modell der Schachtanlage, altes und neues bergmännisches Gerät, natürlich auch eine Schalke-Ecke und vieles mehr. Richtig lebendig wird das Ganze aber vor allem durch die vielen Geschichten und Anekdoten, die der ehemalige Bergmann mit Leib und Seele zu den einzelnen Stücken zu erzählen weiß.
Ein kurzer Blick auf die Uhr, und Klaus Herzmanatus steht abrupt auf. »Mensch, ich muss los! Hab mich noch mit ein paar Leuten verabredet, um einen Schrank für "Das kleine Museum" abzuholen. Und die alte Zapfsäule vom Zechengelände wollen wir auch noch abmontieren.« So lange es noch geht. Denn das gesamte Bergwerk soll der Abrissbirne zum Opfer fallen. Wenigstens den Förderturm will Klaus Herzmanatus retten, hartnäckig wie er nun mal ist.
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»Das kleine Museum« steht in Gelsenkirchen-Buer in der Eschweiler Straße 47. Geöffent ist es dienstags von 10 bis 18 Uhr. Gruppen ab vier Personen können auch andere Termine unter der Rufnummer 0172/521 38 69 vereinbaren. Weitere Informat...
»Entschuldigung, ich bin spät dran«, sagt Klaus Herzmanatus zur Begrüßung. Er war Betriebsratsvorsitzender auf Ewald/Hugo, der letzten Gelsenkirchener Zeche. Der Händedruck des 1,80 Meter großen kräftigen Mannes ist nicht der eines Schraubstocks, aber kräftig genug, um abzuchecken, ob sein Gegenüber ein »Sesselfurzer« ist. »Mir ist mal wieder ein Termin dazwischengekommen. Dafür zeige ich jetzt mal was Schönes.« Das Schöne ist ein Foto von ihm und Andy Möller, dem Mittelfeldstar des FC Schalke 04, in voller Bergmannskluft. »Ich habe für die Jungs mal wieder eine Grubenfahrt organisiert, damit sie mal sehen, was die Region hier so ausmacht und womit andere ihr Geld verdienen müssen. Hatte mich Gerd Rehberg, der Schalke-Präsident, drum gebeten.« Ein Foto nach dem anderen kommt jetzt auf den Tisch, ein Kaleidoskop der letzten drei Jahre Arbeit als Betriebsrat. Herzmanatus in traditioneller Bergmannskluft, schwarze Jacke mit goldenen Knöpfen, neben dem ehemaligen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement; in dunkelbrauner Motorradlederjacke scherzend mit dem damaligen SPD-Generalsekretär Franz Müntefering; im blauen Pütthemd und mit kohlegeschwärztem Gesicht überreicht er dem nordrhein-westfälischen Bauminister Dr. Michael Vesper eine Grubenlampe; im feinen Zwirn, die Gewerkschaftsnadel am Revers, steht er neben ARD-Talkmasterin Sabine Christiansen. »In den letzten Jahren als Betriebsrat, da bin ich an meinen Aufgaben gewachsen. Ich war immer mittendrin und habe sehr intensiv gelebt, die Situationen aufgesogen, genau beobachtet und viel gelernt«, sagt Klaus Herzmanatus mit ruhiger dunkler Stimme, immer den Blickkontakt suchend. Große Gesten und Mimik braucht er nicht, um zu unterstreichen, was er sagt.
Mittlerweile ist es schon sechs Jahre her, als die Kumpel der Zeche Hugo für Aufsehen sorgten. Damals hielten sie die Apostel-Kirche in Gelsenkirchen-Buer für 33 Tage besetzt. Wieder einmal war der deutsche Steinkohlebergbau gefährdet, weil die Bundesregierung die Kohlesubventionen in Frage stellte. Diesmal würde es nicht reichen, Bettelbriefe nach Bonn zu schicken und zum x-ten Mal eine Kundgebung zu organisieren, das war Klaus Herzmanatus und seinen Kollegen klar. »Johannes Fronemann, Pfarrer der Apostel-Kirche, kam zu uns in den Betriebsrat und hatte den Dieter Heisig im Schlepptau. Das sei der Industrie- und Sozialpfarrer. Wir haben uns angehört, was die Jungs da so zu erzählen hatten. Ist ja alles prima, habe ich irgendwann mal mittendrin gesagt, aber was hieltet ihr davon, wenn wir morgen eure Kirche besetzten?« Klaus Herzmanatus stockt und schaut mit großen Augen in den Raum. Seine Lippen formen ein lautloses »O«. »Die waren baff. Passt auf, wir kommen morgen früh vorbei und klären alles ab. Gesagt, getan - am Nachmittag war die Kirche besetzt, und die Sache kam ins Rollen.«
Damals war die halbe Stadt auf den Beinen und pilgerte zu der kleinen unscheinbaren Kirche aus rotem Backstein, die eher an eine zu groß geratene Kapelle erinnert. Die Kirche ist so alt wie der Bergbau im Gelsenkirchener Norden. Um sie herum ist der Stadtteil Buer nach und nach gewachsen. Belegschaften aus unterschiedlichen Betrieben der Region kamen vorbei, lokal- und bundespolitische Prominenz besuchte die Besetzer, und der Rat der Stadt tagte in der Kirche. Die Gemeinde, Nachbarn und Freunde sorgten für Kaffee, Kuchen und belegte Brötchen. Der Imbiss auf der anderen Straßenseite mit seinen orangefarbenen Plastiklampen, der roten Theke mit schwarzen Sprengseln und dem schmutzig-grauen Telefon mit Wählscheibe erzielte einen Umsatzrekord nach dem anderen. In der Nacht wärmten die Feuertonnen nicht nur die Körper der fröstelnden Menschen. »So viele Interviews wie in der Zeit habe ich nie wieder gegeben«, sagt Klaus Herzmanatus und streicht mit dem Zeigefinger über seinen dichten Schnäuzer. »Viel wichtiger war aber, dass wir die Menschen wachgerüttelt hatten. Obwohl wir wussten, dass das Zechensterben weitergehen würde und am Ende nur eine Handvoll übrig bleibt, dass es Hugo treffen würde, daran habe ich nie gedacht.« Doch genau so kam es.
Hugo wurde mit dem Hertener Bergwerk Ewald zum Verbundbergwerk Ewald/Hugo zusammengelegt, und Ende 2002 sollte es schon wieder schließen. Das Ende kam sogar noch schneller: Am 28. April 2000 endete die über 125-jährige Bergbaugeschichte in Gelsenkirchen-Buer. »Betriebsratsvorsitzender - darauf habe ich hingearbeitet, das wollte ich immer werden. Es war auch Bestätigung dafür, dass nicht alles so ganz falsch gewesen sein kann, was ich gemacht habe. Ich habe gelernt, dass du die Menschen erreichen kannst, wenn du dich einfach so gibst, wie du bist, wenn du das machst, was du sagst, dann kannst du unheimlich viel erreichen.« Davon war Klaus Herzmanatus bis zum Schluss überzeugt.
Es klingelt an der Haustür. Unverständliche Wortfetzen sind zu hören. Aus der Garage klingen schabende Geräusche, so als würden Kartons hin und her geschoben. »War ein Nachbar, alter Kumpel von mir«, sagt Klaus Herzmanatus etwas außer Atem. »Dem hatte ich Winterreifen versprochen, weil er im Sommer im Garten einiges gemacht hat, als ich nach meinem Motorradunfall noch nicht so gut konnte.« Er winkt mit der rechten Hand ab und sagt: »Ist schon ein Scheißgefühl, wenn du da so auf der Straße liegst. An dem Jochbeinbruch habe ich heute noch Spaß. Aber trotzdem werde ich nicht aufhören, Motorrad zu fahren. Habe ja auch nicht aufgehört zu laufen, obwohl ich mich schon hundert Mal lang gemacht hab. Außerdem, Süd-England mit dem Motorrad, das ist ein Traum. In Cornwall, da gibt es alles, was ich mag, Wasser, Leuchttürme und Zechen.«
Auszeiten und Ruhephasen - die braucht auch Klaus Herzmanatus und findet sie zu Hause. Seine Frau Sabine Burzler hat er 1988 auf der Arbeiterakademie in Frankfurt/Main kennen gelernt. Die zierliche blonde Frau aus dem Fränkischen war damals Gewerkschaftssekretärin bei der IG Textil-Bekleidung, und Klaus Herzmanatus sollte als noch junger Betriebsrat auf der Kaderschmiede der Gewerkschaften den Feinschliff erhalten. »Na ja, eigentlich war ich auch da, um mich mal ein bisschen auszutoben«, sagt er und kann sich ein kurzes Grinsen nicht verkneifen. »Aber es hat sofort gefunkt. Wir ergänzen uns sehr gut, finde ich. Sabine hat mich immer unterstützt, mir Kraft gegeben, wenn alles zuviel wurde. Vor zwölf Jahren ist sie dann hierher gezogen. Sie hat hier schnell Fuß gefasst. Anfang des Jahres hat sie ihren Traumjob gefunden, als Personalmanagerin einer Bottroper Bauchemiefirma.«
Hier leben, lieben und streiten Sabine Burzler und Klaus Herzmanatus, steht auf dem Schild an der Haustür. Mehr als zwölf Jahre hat es gedauert, um das Gesicht der Wohnung zu formen. Mit der Hilfe von Nachbarn und Kollegen hat er Treppen eingezogen, Räume trocken gelegt und die Wände und Decken mit Holz vertäfelt. »Hier oben, da war einmal der Taubenschlag. Ich wusste genau, was man daraus machen kann, als ich zum ersten Mal hier oben war«, sagt Klaus Herzmanatus und schaut sich um. Hier oben, da ist jetzt das Wohnzimmer. Helle Möbel und gedeckte Farben, die großen Fenster und der angrenzende Wintergarten mit den vielen Pflanzen lassen viel Licht rein. Eine Wand ist mit Fotos verschiedener Leuchttürme übersät. Hier und da reitet eine Hexe auf ihrem Besen an mit Bierseidel gefüllten Regalen, an Grubenlampen und an Bildern mit Motiven aus der Arbeitswelt des Bergmannes vorbei. Für den Laien ähneln sich die Grubenlampen sehr. Klaus Herzmanatus kennt sie alle, und zu beinahe jeder gibt es eine eigene Geschichte. »Die hier«, sagt er und nimmt eine Lampe von der Wand, »die stammt aus dem Uranbergbau. Die hier aus der Türkei, und das hier ist meine älteste, von 1890. Ach ja, und die hier habe ich in Venezuela gekauft, für 80 Dollar. Die wollten die erst nicht rausrücken, aber ich habe denen dann erklärt, wer ich bin und so, dann hat es doch noch geklappt.«
Vom Wohnzimmer aus ist ein Schacht der Zeche gut zu sehen. Bis zu dem grauen Betonkasten, der ein Fördergerüst ummäntelt, ist es ungefähr ein Kilometer Luftlinie. Der Betonklotz ist in ein fahles Licht getaucht und in der Dämmerung gut zu sehen. »Nee, mach das Licht aus! Es tut weh, da ist ein Pütt drunter, der noch laufen könnte«, sagt Klaus Herzmanatus in die Stille hinein, und für einen kurzen Moment hat die Stimme ihre Ruhe und Kraft verloren.
Sein Urgroßvater hatte 1908 seine erste Seilfahrt auf Hugo und arbeitete dort bis zur Rente. Auch der Großvater und der Vater haben ihr ganzes Arbeitsleben auf Hugo verbracht. Mehr als 30 Jahre war der Vater Betriebsrat auf Hugo. Einer der schwärzesten Tage im Leben von Klaus Herzmanatus war der 11. November 1998. An diesem Tag musste er die Belegschaft über einen Beschluss des Vorstandes der Deutschen Steinkohle AG informieren. Für die Zeche Ewald/Hugo sollte das Aus fast zwei Jahre früher als angekündigt kommen - am 28. April 2000. Jetzt blieb nur noch, den Betrieb abzuwickeln und für die Kumpel das Beste rauszuholen. »Ich konnte die Wut, die Enttäuschung der Kumpel so gut verstehen, und musste doch besonnen bleiben. Ich habe denen versprochen, dass ich als Letzter gehe. Wir werden allen zeigen, dass wir eine Mannschaft sind, und keiner von euch wird ins Bergfreie fallen.«
Klaus Herzmanatus hat Wort gehalten. Vorruhestandsregelungen und die Verlegung auf andere Bergwerke, damit hat er sich nicht zufrieden gegeben. Er hat sich für ein Job-Center stark gemacht, um die Bergleute in andere Berufe zu vermitteln, hat die Folgenutzung des Ewald-Geländes in Herten mitkonzipiert, ein Bündnis für Arbeit vor Ort angeschoben und dafür gestritten, dass aus Hugo ein Besucherpütt werden sollte. Bei einer Reise zum Mittelpunkt der Erde sollten die Menschen einen Blick auf die Arbeitswelt des Bergmannes werfen können. So könnte die Tradition Gelsenkirchens als Bergbaustadt fortgesetzt werden und Arbeitsplätze in der Tourismusbranche würden entstehen, hoffte Klaus Herzmanatus.
Doch daraus wurde nichts. Es waren vor allem die Kosten für die Wasserhaltung, die das Projekt platzen ließen. Jährlich hätte es einen zweistelligen Millionenbetrag gekostet, um zu verhindern, dass die Schachtanlage im wahrsten Sinne des Wortes absäuft. Hartnäckig, wie Klaus Herzmanatus ist, hat er doch noch einen Weg gefunden, um die Erinnerung an die Zeche wachzuhalten, die den Stadtteil Buer über Jahrzehnte prägte. Am Fuße der Rungenberghalde hat er mit Hilfe vieler Kollegen aus einem Geschichtsarbeitskreis »das kleine Museum« eingerichtet. Dort erwarten den Besucher ein komplett ausgestattetes Betriebsführerzimmer, eine stattliche Sammlung Grubenlampen, ein Modell der Schachtanlage, altes und neues bergmännisches Gerät, natürlich auch eine Schalke-Ecke und vieles mehr. Richtig lebendig wird das Ganze aber vor allem durch die vielen Geschichten und Anekdoten, die der ehemalige Bergmann mit Leib und Seele zu den einzelnen Stücken zu erzählen weiß.
Ein kurzer Blick auf die Uhr, und Klaus Herzmanatus steht abrupt auf. »Mensch, ich muss los! Hab mich noch mit ein paar Leuten verabredet, um einen Schrank für "Das kleine Museum" abzuholen. Und die alte Zapfsäule vom Zechengelände wollen wir auch noch abmontieren.« So lange es noch geht. Denn das gesamte Bergwerk soll der Abrissbirne zum Opfer fallen. Wenigstens den Förderturm will Klaus Herzmanatus retten, hartnäckig wie er nun mal ist.
´
»Das kleine Museum« steht in Gelsenkirchen-Buer in der Eschweiler Straße 47. Geöffent ist es dienstags von 10 bis 18 Uhr. Gruppen ab vier Personen können auch andere Termine unter der Rufnummer 0172/521 38 69 vereinbaren. Weitere Informat...
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