Rote Karte für Unvereinbarkeitsbeschlüsse?

Hunderte Mitglieder seit 1973 ausgeschlossen/Anträge auf Aufhebung beim Gewerkschaftstag

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Auf dem kommenden zweiten Teil des 20. Gewerkschaftstages der IG Metall befinden die Delegierten unter anderem darüber, ob die Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegenüber linken Organisationen aufgehoben werden sollen.

Der IG Metall geht es nicht besonders gut: Während der Gewerkschaft in einer bislang ungekannten Medienkampagne bereits die Existenzberechtigung abgesprochen wurde und interne Querelen nach der Streik-Aufgabe in Ostdeutschland die Handlungsfähigkeit bedrohten, ergötzte sich die Presse auch noch am Mitgliederverlust. Rund eine Million Beschäftigte verließen die IG Metall seit Anfang der 90er Jahre. Der Schwund wäre deutlicher ausgefallen, wären der IG Metall nicht die Textil- und die Kunststoffgewerkschaft beigetreten. Kurzum: Den Metallern müsste jedes Mitglied recht sein, zumal, wenn es sich um engagierte Beschäftigte handelt. Volker Kraft ist einer dieser engagierten Kollegen - aber Platz in der IG Metall gibt es für ihn nicht, ginge es nach einem Beschluss des IG Metall-Vorstandes. Die Gewerkschaft wirft dem Betriebsrat bei DaimlerChrysler in Untertürkheim »Zugehörigkeit zu bzw. Aktivitäten für eine gegnerische Organisation« vor. Dem 49-Jährigen wird vorgehalten, »in der MLPD-Betriebszeitung "Stoßstange" im Interview und in Artikeln« sowie durch »Aktivitäten im so genannten "Automobilarbeiterratschlag" unterstützend für die MLPD tätig geworden« zu sein. Kraft nennt die Vorwürfe absurd. Dass die MLPD, die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands, als »gegnerische Organisation« angesehen wird, sei unverständlich. Und von einem gewerkschaftsschädlichen Verhalten, wie es ihm unter anderem der Stuttgarter IG Metall-Sekretär Jürgen Stamm ankreidet, könne nicht die Rede. Das sehen mehr als 2700 Kollegen und Gewerkschafter ebenso, die sich inzwischen mit Kraft solidarisch erklärt haben. Der gelernte Elektroniker, seit 1973 in der IG Metall, hat neue Mitglieder im dreistelligen Bereich geworben, sich als Vertrauensmann, Betriebsrat und Streikleiter für die Gewerkschaft engagiert. Allerdings auf kritische Weise. Der Solidaritätskreis, der Volker Kraft unterstützt, mutmaßt deshalb, dass sich das Ausschlussverfahren nicht gegen die Person Krafts richtet, sondern »die ganze kämpferische Richtung in den Gewerkschaften abgestraft werden« soll. Ausschlussversuche gegen Linke hat es in der Gewerkschaft immer wieder gegeben, vor allem in den 70er Jahren. Damals drängten »neue Linke« in parteikommunistische Zirkel und von dort in die Betriebe, um die »Arbeiterklasse« für ihre Ziele einzunehmen. Sehr erfolgreich gestaltete sich diese »Hinwendung zum revolutionären Subjekt« zwar nicht. Den Gewerkschaften war das Engagement dennoch ein Dorn im Auge. Und so versuchte nicht nur die IG Metall, mit »Unvereinbarkeitsbeschlüssen« gegen politisch unliebsame Mitglieder vorzugehen. Eine genaue Bilanz der Gewerkschaftsausschlüsse wegen Mitgliedschaft in einer »gegnerischen Organisation« liegt zwar nicht vor. Es wird aber geschätzt, dass die IG Metall seit 1973 mehrere Hundert Kollegen zum Gehen aufforderte. Doch solche Rauswürfe wurden immer unpopulärer. Im Jahr 1999 haben die Delegierten des IG Metall-Gewerkschaftstages eine Überprüfung der Unvereinbarkeitsbeschlüsse durchgesetzt. Darin heißt es, zur Stärkung der Gewerkschaftsbewegung sei es »notwendig, dass die IG Metall auf antifaschistischer Grundlage arbeitet. Eine Ausgrenzung von Mitgliedern bestimmter Organisationen widerspricht diesem Gedanken«. Doch ausgeschlossen wird noch immer. Erst im Dezember 2002 erneuerte der IG Metall-Beirat den Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die MLPD - just zu der Zeit, als der Betriebsrat Volker Kraft von der IG Metall nicht mehr als Vertrauensmann bestätigt wurde. Auf dem kommenden Gewerkschaftstag im Oktober werden die Delegierten nun erneut über die Zukunft der Unvereinbarkeitsbeschlüsse gegen linke Organisationen entscheiden müssen. Drei Anträge fordern deren Aufhebung bei gleichzeitiger Fortgeltung für Mitglieder faschistischer, militaristischer und religiös-fanatischer Gruppen. Ob mit einer positiven Entscheidung zu rechnen ist, hängt Kraft zufolge auch von der Zusammensetzung des Gewerkschaftstages ab. Der Betriebsrat hofft aber, dass es »überhaupt eine ausführliche Diskussion darüber gibt«. Der Wechsel an der Vorstandsspitze könnte dafür die Voraussetzungen verbessert haben. Mit der Ausgrenzung engagierter Kollegen dürfte es nach einem entsprechenden Entscheid dennoch nicht vorbei sein. Ein Rauswurf wegen »gewerkschaftsschädigendem Verhalten« wäre weiter möglich. Denn Ausschlussbegehren richteten sich immer wieder auch gegen jene kritischen Gewerkschafter, die das Betriebsmonopol der IG Metall und die Politik der mächtigen Betriebsratsfürsten der Konzerne durch die Aufstellung von oppositionellen Listen bei den Betriebsratswahlen in Frage stellten. Bei den Wahlen 2002 erreichten gerade in der Automobilindustrie linke Listen wie »Gegenwehr ohne Grenzen« bei Opel in Bochum oder die »Alternativen« bei den Daimler-Lenkungen in Düsseldorf Sitze im Betriebsrat. Bei Daimler in Stuttgart-Mettingen konnte die Liste »Klartext« vier Mandate erzielen. Die örtliche IG Metall reagierte darauf - nicht zuletzt auf Betreiben von Gesamtbetriebsratsvorsitzenden und Vorstandsmitglied Helmut Lense - mit einem Funktionsverbot und versuchte, die oppositionellen Betriebsräte aus der IG Metall auszuschließen. Nicht wegen Unvereinbar...

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