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  • Sport
  • Zu Besuch bei Uwe Hohn, Ewig-Weltrekordler mit der Speerwurfweite von 104,80 m / Heute ist er Sportinvalide

Ein Tag, der sein Leben veränderte

  • Lesedauer: 3 Min.

„Kein Vertrauen mehr. Plötzlich waren seine Röntgenbilder verschwunden. Die Berliner Charite operierte ihn

Selten nur verändert ein Tag das ganze Leben eines Menschen. Bei Uwe Hohn war es so. Der 21. Juli 1984, Olympischer Tag in Berlin. Die Stabhochspringer konzentrieren sich auf ihre Sprünge, als bei ihnen gefährlich nahe ein Speer einschlägt, geschleudert von der anderen Seite des Jahn-Sportparks. Uwe Hohn hatte einen Ewig-Weltrekord aufgestellt: 104,80 Meter. Zum ersten Male übertraf ein Speerwerfer die 100m-Marke. Ein Foto geht um die Welt: Der Potsdamer steht stolz neben der Anzeigetafel, die eine dreistellige Meterzahl nicht aufnehmen kann und deshalb nur 04,80 Meter anzeigt.

Dieser Tag machte Hohn zum Superstar. Der Internationale Leichtathletik-Verband änderte schnell die Regeln und damit den Schwerpunkt des Speeres. 100-m-Würfe sollten danach nicht mehr möglich sein.

„Neben dem Glücksgefühl und meinem Stolz von damals betrachte ich diesen Weltre-

kord heute auch mit viel Wehmut“, so Hohn 1993. Denn der 30jährige Potsdamer ist seit sieben Jahren Sportinvalide. Beim Trainingslager 1986 in Kuba fehlten für den Zwei-Meter-Hünen passende Hantelstangen. Hohn mußte mit zu kurzen trainieren. Schon beim Erwärmungsreißen mit einer 90-kg-Hantel rutschte ihm eine Bandscheibe nach vorn und quetschte Nerven ein. Hohn flog sofort nach Hause, wurde in Bad Düben geröntgt. Ein Assistent des behandelnden Arztes informierte ihn, daß ein Bandscheibenschaden festgestellt wurde. Doch zu Hohns Überraschung versicherte der Chefarzt später, daß die Wirbelsäule absolut in Ordnung sei und er in vollem Umfang weitertrainieren könne.

Die Schmerzen blieben. Nach weiterem Training lehnte Hohn das Angebot zu einer Operation in Bad Düben ab:

dann. Aber als Hohn erwachte, fehlte jedes Gefühl im rechten Fuß. Der Fußheber, der das Anziehen des Fußes Richtung Knie ermöglicht, war „ausgefallen“. Uwe Hohn humpelt seitdem.

Die Hoffnung nicht aufgebend, hat der Weltrekordler als Ehrengast bei der Feier zur Sportlerwahl 1987 den damaligen DTSB-Präsidenten Ewald um eine Behandlung in Frankfurt/Main gebeten. 50 000 D-Mark hätte das gekostet. Ewald, der persönliche Antwort versprochen hatte, setzte den „Apparat“ in Bewegung. Ohne Erfolg. Stattdessen bekam Hohn harsche Zurechtweisungen von Partei und Armee zu hören, wie es ein NVA-Offizier wagen könne, solchen Antrag zu stellen.

Immerhin: Nach der Wende besuchte Ewald den Potsdamer und erklärte die damalige Sachlage, nach der der DDR-Gesundheitsminister einer

Auslandsoperation nicht zugestimmt hatte.

Letzte Station: Hohns fünfte Operation 1992. Seither spürt er keine Rückenschmerzen. Auch dauerhafte Schäden sind nicht zu erwarten. Wohlgemerkt Wirbelsäulenschäden.

Aber Hohns Psychogramm ist wie das vieler Ostdeutscher - weit unten. Der Halbtagsjob bei der Bundeswehr und die Invalidenrente sichern der vierköpfigen Familie wenigstens ein solides Auskommen. Das bedeutet einerseits viel, andererseits wenig. Nach der Wende hatte er sich eine kleine Vermarktungschance als Ewig-Weltrekordler ausgerechnet. Fehlanzeige. Es meldete sich weder eine Sportartikelfirma für einen Vertreterjob noch gab es eine Antwort auf seine Bewerbung auf die ausgeschriebene Wurftrainerstelle in Wuppertal.

So fragt sich Uwe Hohn heute: War der 21. Juli 1984 wirklich ein glücksbringender Tag in meinem Leben?

FIETE BALLER

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