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War der Klempner ein Killer?
Stasikommandos sollen gemordet haben - doch niemand weiß etwas Genaues
Eine Festnahme, ein paar Indizien, viel Spekulation - die angeblichen MfS-Killerkommandos sorgen für Medienwirbel.
Gemessen an den vielen Zeitungsspalten, die das Thema in den letzten Tagen füllen durfte, weiß man verblüffend wenig. Jürgen G., 53 Jahre alt, von Beruf Klempner, wenigstens in den letzten Jahren, wurde dieser Tage im brandenburgischen Rheinsberg verhaftet. Zuvor war er lange beschattet worden. Die dem Vernehmen nach filmreife Festnahme kommentierte Generalbundesanwalt Kay Nehm mit dürren Worten: G. stehe »im dringenden Verdacht, zwischen 1976 und 1987 als Angehöriger eines im Staatsapparat der ehemaligen DDR angesiedelten Kommandos mehrere Personen, die aus Sicht des DDR-Regimes Verrat begangen hatten oder zu begehen drohten, getötet zu haben«.Soweit die Fakten. Alles andere, was derzeit im Schwange ist, gehört bestenfalls in die Rubrik Vermutung. Weder weiß man derzeit, ob die Rosenholz-Dateien der DDR-Auslandsspionage auf die Spur von Jürgen G. führten, noch ist absehbar, ob diese Akten in diesem Fall weiter helfen. Die Birthler-Behörde ließ lediglich verlauten, dass ihr der Gegenstand des aktuellen Ermittlungsverfahrens nicht bekannt sei.
Wimmelnde Konjunktive
Das kann ebenso gut stimmen wie falsch sein. Und weil niemand Genaues weiß, werden in den Medien lange Geschichten über die vermeintlichen Stasi-Killer verbreitet, in denen es von Konjunktiven nur so wimmelt. Immerhin gibt es das Buch »West-Arbeit des MfS«. Der Historiker Hubertus Knabe zitiert darin aus einem Dokument namens »Einsatz- und Kampfgrundsätze tschekistischer Einsatzkader bei der Durchführung offensiver tschekistischer Kampfmaßnahmen im Operationsgebiet«. Zu den möglichen Operationen wird darin das Liquidieren von Personen gezählt, das wie folgt definiert wird: »Erschießen, Erstechen, Verbrennen, Zersprengen, Strangulieren, Erschlagen, Vergiften, Ersticken.« Mehrere hundert Mann habe eine entsprechende Spezialtruppe umfasst; in der »Süddeutschen Zeitung« heißt es gar, das MfS habe »an der unsichtbaren Front des Kalten Krieges einst eine richtige Söldnerarmee« unterhalten.
Ungeklärte Todesfälle
Wahrscheinlich muss man prinzipiell jedem Geheimdienst auf dieser Erde so ziemlich jede Schweinerei zutrauen, aber bislang gibt es keinerlei Nachweis dafür, dass die schaurig-brutalen Mordanleitungen des MfS verwirklicht wurden. Statt dessen schießen Mutmaßungen ins Kraut. Jürgen G., heißt es etwa, soll an mindestens drei Todeskommandos beteiligt gewesen sein. Eines der Opfer könne die schwedische Journalistin Cats Falk gewesen sein, die Waffengeschäfte zwischen der DDR und Iran habe aufdecken wollen, in die auch skandinavische Firmen einbezogen gewesen sein sollen. Cats Falk starb 1984 unter bislang ungeklärten Umständen in Stockholm.
Auch andere mysteriöse Todesfälle werden nun wieder herangezogen. Gewiss gab es eine Menge Leute, auf die die DDR-Führung ganz und gar nicht gut zu sprechen war - prominente Republik-Flüchtlinge wie der vormalige BFC-Dynamo-Fußballer Lutz Eigendorf, der 1983 bei einem Autounfall in Braunschweig ums Leben kam, Fluchthelfer, MfS-Abtrünnige wie Werner Stiller, Menschen, die brisantes Wissen mit sich herumtrugen. Von einem in DDR-Haft verstorbenen CIA-Agenten ist die Rede, von zwei BND-Mitarbeitern, die Anfang der 80er Jahre ihr Leben verloren, von einem 1987 erschossenen Hamburger Spediteur, der mit Schalck-Golodkowskis Kommerzieller Koordinierung Geschäfte gemacht haben soll.
Ob solche Fälle jemals aufgeklärt werden können, ob jemals gewiss sein wird, inwieweit das MfS mit ihnen zu tun hat, kann heute niemand sagen. Denn ein erheblicher Teil der Stasisakten, die Antworten geben könnten, wurde in der Wendezeit vernichtet. »Alle Geschichten über Stasi-Morde, die ich kenne, sind Vermutungen«, zitierte die »Leipziger Volkszeitung« den Historiker und Stasi-Experten Gerhard Sälter. Selbst Chefrechercheur Hans Leyendecker, der schon oft Licht ins Dunkel von Skandalen brachte, irrt in der »Süddeutschen Zeitung« unter der Überschrift »Mit der Lizenz zum Töten« eher ratlos durchs Unterholz der Indizien und Spekulationen. Eigentlich weiß er nur, was alles nicht sein kann; was wirklich passiert ist, davon hat er ebenso wenig eine blasse Ahnung wie andere Spurensucher. Die einen sprechen von mindestens drei Morden, die anderen von etwa zwölf, wieder andere vermuten sogar rund 25.
»Guter Freund« vom BKA
Dennoch wird munter fabuliert - von »Mielkes Mördern im Westen« ist die Rede, von Scharfschützen einer so genannten Arbeitsgruppe Minister, von einer Killertruppe, die angeblich direkt beim Zentralkomitee der SED angesiedelt gewesen sei. Fehlen nur die konkret belastenden Details und die wirklichen Opfer. Was die »Bild«-Zeitung aber nicht daran hinderte, den Bericht über die Verhaftung von Jürgen G. mit der Schlagzeile »Er ist der Stasi-Killer« zu versehen.
Ob das die Ermittler am Ende auch so sehen, bleibt abzuwarten. Denn der »Süddeutschen Zeitung« zufolge wurde G. vor allem aufgrund von Aussagen verhaftet, die er einem vermeintlich guten Freund bei Treffen »zu später Stunde« und offenbar in geselliger Stimmung anvertraute. Der »Freund« kam vom Bundeskriminalamt (BKA), und nach seiner Verhaftung stritt G. alles ab. Wenn nicht irgendwoher ein paar echte Beweise kommen, dürfte es schwierig werden, »Mi...
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