Virtuoser Seiltänzer

Museum der Bildenden Künste in Leipzig: Günter Horlbeck. Die Stiftung

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.
Einen umfangreichen Werkkomplex hat der Maler Günter Horlbeck dem Museum der bildenden Künste Leipzig gestiftet. Es umfasst 14 Gemälde und 186 Aquarelle und Zeichnungen aus dem Zeitraum 1964 bis 2002. Beinahe der gesamte Corpus dieser Stiftung ist nun im Interim-Domizil des Museums ausgestellt, bevor er im immer sehnsüchtiger erwarteten Neubau seinen Platz findet. Doch bereits diese temporäre Variante überzeugt. Gerade die Fülle des zeichnerischen Werks stößt den Betrachter in einen Taumel durch ein besonderes Universum. Große Blätter, zum Teil 1x1 Meter in den Abmessungen, sind mit Farbstiftlinien überzogen, die sich zu geometrischen Grundelementen formieren, sich darüber hinaus aber zu einem vielschichtigen Geflecht an Gesichtern, Figuren und Gegenständen überlagern. Weil nur sich die Konturen abzeichnen, wirken die Gestalten und Objekte sehr filigran. Und sie sind von einem feinen Humor durchzogen. »Schatten mit Schreck« heißt etwa eine Zeichnung aus dem Jahre 1967: Eine Silhouette, der Mund aufgerissen, die Glieder weit gestreckt; aus dem Schlund scheint ein als Auswurf des Schreckens materialisierter Schrei zu fahren. Der Schatten am Boden klammert sich ängstlich an die Glieder. Ein junges Leben später, 1995, zeichnet Horlbeck einen Wanderer. Ein gezacktes Gebirge, die Sonne steht schief am Horizont, das Gesicht des Mannes ist krumm, die Lenden spitz und eingefallen - eine erbarmungswürdige Gestalt, deren vibrierende Umrisse an die fiebernden Kurven eines EKG erinnern und so das Ausmaß der Erschöpfung offensichtlich machen. Was bei Horlbecks Zeichnungen auffällt, ist das Fehlen jeglicher »Entwicklung« - Entwicklung hier als die freundliche Verbrämung des Kontrasts gut gewollter, aber schlecht gekonnter Anfänge mit dem meisterlichen uvre gemeint. Ganz das Gegenteil. Der heute 76-Jährige hatte schon vor 40 Jahren einen, seinen Strich gefunden. Scharf umrissene Silhouetten bereits in den 60ern, viele weibliche Akte, voll, schön und frech. Natürlich gibt es Verschiebungen zu konstatieren; eine anfangs eher realistische Formensprache wird immer abstrakter, immer konstruktivistischer. Doch wer wollte den sicheren schwarzen Strich, der wie ein Messer die Gestalten aus dem Papier herausschneidet, schon als schnöde naturalistisch bezeichnen? Nein, Horlbeck mutet als Künstler wie ein Seiltänzer an, der souverän über Abgründen balanciert. Viele Meter Wand hat der Besucher schon abgelaufen - und sich voller Freude in die Fülle des zeichnerischen Werks versenkt - als ihn eine überraschende Begegnung ereilt. Mitten in einem der hinteren Räume, gewissermaßen im Innersten des Horlbeckschen Universums, ist auf einer Staffelei ein Gemälde aufgebockt. Rote, blaue, grüne und gelbe Farbflächen verdichten sich zur Ansicht eines Hauses in einer Landschaft. Ein Spitzdach ist erkennbar, ein Wasserlauf, Himmel. »My Home is my Castle« der Titel. Vor der Leinwand beugt sich ein Mann mit einem großen Pinsel in der Hand. Der Maler selbst, der eine weitere Farbfläche aufträgt? Ein usurpierender Künstler? Ein »Werkverbesserer«? Er wird doch nicht etwa... Entwarnung. Ein Angestellter des Museums beseitigt mit seinem grauen Pinsel Flecken auf dem Fußboden. Und erinnert uns daran, dass ja noch die Artefakte der Königsdisziplin da sind, die Gemälde. Sie wirken - nachdem man fast benommen aus dem bemerkenswerten »kleinen« Werk auftaucht - weniger komplex. Zwar souverän, aber doch zu wohlgelungen, resignativ erstarrt erscheinen die kubistischen Kompositionen aus den 80er Jahren. Aufmerken lässt ein kleines Werk von 1973: »Signal«. Ein Kopf im Profil, der Mund geöffnet, die Zähne rot gefärbt. da will wer beißen. Am Schädel eine Eruption, eine rote Schallwelle breitet sich aus. Ein Signal zum Aufbruch, 1973, Honecker, Weltfestspiele, Kuba und Vietnam. Ein anderer Akzent »Strukturelle Entladung« (1996). Der Pinsel muss hier auf die Leinwand geschossen sein. Wild die Striche, Farbe spritzt und tropft. Eine Orgie, die Platz schafft für Neues. Seine eigene Klasse hat dieser Teil von Horlbecks Werk dennoch. Das merkt man beim Passieren der ständigen Sammlung, die unter anderem Beckmann und Corinth beinhaltet. Horlbeck kann ihnen Stand halten. Museum der bildenden Künste Leipzig, Grimmaische Straße 1-7: Günter Horlbeck. Die Stiftung. Bis 23. November, Di, Do-So 10-18, Mi 13-20Uhr, Tel: (0341) 21699-0,
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