Zu einer kleinen, feinen, vor allem aber tiefschwarzen Messe lädt das Orphtheater dieser Tage ein. »Alaska nach den Arsenikblüten von Danielle Sarrera« ist die Veranstaltung überschrieben. Sie ist Forschung über ein Individuum und gleichzeitige Lautbarmachung eines Mythos gewordenen Textes.
Mythos deshalb, weil über Danielle Sarrera nichts sicher ist. Eine Zeit lang galt sie als ein Mädchen, das von 1932 bis 1949 in Paris lebte, durch die Straßen strich, zur Feder griff, 17-jährig ein Buch verfasste und im gleichen Jahr verschied. Spurlos. Kein Grab, keine Sterbeurkunde, kein Geburtsurkunde, nur ein Text. Mehr eine Raserei als ein Text ist das. Ein junges Wesen, das von Begehren gepeinigt wird und von Hass. Ein Wesen, das Liebhaber will und Liebhaber verachtet, dem kein Blut mehr Wärme geben will.
Später behauptet ein Schriftsteller, Frederick Tristan, diesen Text geschrieben zu haben. Ein Mann, keine 17 mehr, und auch nicht tot. Danielle Sarrera - ein Pseudonym? Wahrscheinlich. Doch ist die Debatte um das Geschlecht des Verfassers/der Verfasserin belanglos, selbst das Geschlecht der Protagonistin verwischt zuweilen.
Die Performerin Lilith Rudhart lässt ein Wesen entstehen, das, obwohl Frau, doch beide Geschlechter verschmilzt und sich den Leidenschaften, leiblichen wie gedanklichen, aussetzt. Es will Mensch werden, ein Mensch mit Göttergaben. Und deshalb raunt und kämpft und singt es. Es lässt sich vereisen und ritzt mit einer Rasierklinge die Zunge. Mit Mut und Rücksichtslosigkeit stellt Rudhart das eigentlich nicht Darstellbare dar.
Sie wird dabei unterstützt von einer Cellistin (Anna Kullick) und einem Mann (Paul M. Waschkau), einem Autor, der »Lava« und »Glut« an die Wände schreibt, und seine Lava manchmal an ihr kühlen will. Doch ist man sicher, Rudhart bräuchte diese Unterstützung und diese Reibung nicht. Sie scheint aus dem Text geboren.
23.-26.10, 20 Uhr, Orphtheater, Ackerstraße 169, Mitte, Tel.: 4410009
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