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  • Politik
  • Bayern zwingt Frauen zur Aufgabe ihrer Anonymität bei Schwangerschaftsabbrüchen

Ignorant, impertinent und verfassungswidrig

  • SIMONE SCHMOLLACK
  • Lesedauer: 3 Min.

Kaum hat die CSU in Sachen Schwangerschaftsabbruch hart zugeschlagen und verlangt die Meldepflicht für Ärzte, die Abbruche vornehmen, vor dem Statistischen Bundesamt, um „überprüfen zu können, ob auch richtig beraten wurde“, da wird bekannt, daß Bayern- die Vorgaben der Karlsruher Richter vom 28. Mai diesen Jahres völlig unterwandert. Nicht nur ein Skandal, sondern Ignoranz, Impertinenz und Verfassungswidrigkeit in höchstem Maße.

Mit völligem Selbstverständnis und ohne jegliche Bedenken schrieb sich der bayrische Schwangerschaftsberater Rohde die persönlichen Daten der von ihm beratenen Frauen, die in den nächsten Tagen zur Interruptio wollen, ab. Wieviele sich das bisher gefallen ließen, weiß niemand mehr genau. Bis kürzlich eine Frau stutzte und sich gegen die Aufgabe ihrer Anonymität verwahren wollte. Doch Rohde blieb hart: „Ohne Personalien keinen Schein. Wir folgen nur unseren Vorgaben.“ Doch diese „Vorgaben“ gibt es bisher nur in Bayern, dem Land, das unter anderem durch

Memmingen nicht nur einmal bewiesen hat, daß Frauen dort alle Rechte auf Selbstbestimmung abgesprochen werden.

Der Fall ist klar: Eine Frau, die laut Karlsruher Urteil zwar rechtswidrig, aber straffrei abtreiben will, muß sich einer anonymen Beratung unterziehen. So haben es die sieben Männer und eine Frau einst im Mai beschlossen. Doch Bayern legte sein eigenes Gesetz fest und sagt, wer bei uns „ungeborenes Leben tötet“, von dem wollen wir

schon wissen, wer sie ist. Daß dies ein Verstoß gegen geltendes Recht ist, ließ man völlig außer acht. Das Bayrische Ministerium, für Arbeit und Soziales, das diese Anrodnung herausgegeben hat, will nur v den Schutz der Frauen und Ärzte“ im Sinn haben.

Da staunen selbst die Karlsruher Richter: „Die Beratung soll und muß anonym erfolgen, so ist die Auflage des Zweiten Senats auch gedacht“, sagte Richter Konrad Kuis. Auch Berthold Sommer,

der damals gegen das Urteil stimmte, ist erbost über diese Methode: „Eine erzwungene Preisgabe der Anonymität ist nicht vereinbar mit einer anonym angelegten Beratung.“

Dennoch müssen sich die Richter Schuld zusprechen, daß sich Bayern ohne viel Zaudern so verhalten hat und kann. Im Karlsruher Urteil ist bislang nichts zu finden, wie mit den Personendaten zu verfahren ist. Die Verfassungsrichter heben die Hände und können nur aus-

weichen: Darüber habe man sich bei Klärung des Urteils natürlich keine Gedanken gemacht, aber mit Sicherheit war nicht daran gedacht, daß Frauen damit zur Preisgabe ihrer Angaben gezwungen werden können.

Selbst Pro Familia, die Beratungsstelle, die sich als eine der unabhängigen und unkonventionellen in diesem Land versteht, hat sich den Maßgaben der bayrischen Regierung gebeugt. Sicher aus Angst, daß ihr nach der allen Beratungsstellen bevorstehenden Überprüfung der Schwangerschaftsberatung nicht mehr der Zuschlag für die weitere Arbeit erteilt wird.

Für Monika Frommel, feministische Strafrechtsprofessorin und Direktorin für Kriminologie in Kiel, ist die bayrische Verfahrensweise klarer Rechtsbruch. Dennoch kann sie den betroffenen Frauen wenig Mut machen, wenn sie ihr Recht einklagen wollen. Sie rät eher dazu, sich eine andere Beratungsstelle zu suchen. Was das unter den Bedingungen in Bayern heißt, liegt klar auf der Hand: Abtreibungstourismus in andere Bundesländer.

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