Kerzen in der Kita?

Prozess um fahrlässige Körperverletzung

  • Uta Falck
  • Lesedauer: 2 Min.
»Messer, Schere, Gabel, Licht, sind für kleine Kinder nicht.« Dieser Spruch klang schon aus vielen Elternmündern in die Ohren enttäuschter Kinder. Gestern wurde diese alte Weisheit vor Gericht verhandelt. Es ging um fahrlässige Körperverletzung. Drei Erzieherinnen und die Leiterinnen der Kita des Spandauer Johannesstifts mussten sich für ein Unglück am 21. Dezember 1999 verantworten. Am dem Abend wollten 23 Kinder im Alter von zwei bis fünf Jahren vor ihren Eltern das Krippenspiel aufführen, am Morgen sollte das Ganze noch einmal geübt werden. Die jüngeren Kinder hatten ihre Tierkostüme angezogen, unter ihnen auch die beiden Dreijährigen Tobias und Justin, deren T-Shirts dick mit Watte beklebt waren. Die zwei kleinen Schäfchen saßen inmitten der anderen Tiere, etwa ein, zwei Meter von den älteren Kindern entfernt, und warteten auf ihren Einsatz. Unterdessen erhielten die Großen ihre Kerzen, diese wurden angezündet, und dann sollten Maria, Josef, Heilige Drei Könige, Hirten und Gastwirte nacheinander die Bühne betreten. Ihre Erzieherin Katrin G. hatte gerade den ersten Kindern das Zeichen zum Loslaufen gegeben, als sie Schreie hörte, sich umdrehte, Tobias und Justin brennen sah und diese sofort mit einem Eimer Wasser übergoss. Bis heute weiß niemand, wie das Feuer an die Kostüme gelangte. Die Erzieherinnen sagen, dass die Jüngeren keine Kerzen in den Händen hielten, kindliche Zeugen berichten, das Justin Tobias aufgefordert habe, mit brennenden Kerzen zu fechten. Per Hubschrauber wurden die Kinder ins Unfallkrankenhaus gebracht. Bis heute leiden sie unter ihren Narben und den vielen befremdlichen Blicken. Ihre Eltern leiden vor allem am mangelnden Einfühlungsvermögen der Kita-Angestellten. Die von Psychologen ausdrücklich empfohlene Reintegration in die gewohnte Gruppe scheiterte an der mangelnden Bereitschaft, für die Pflege der brandverletzten Kinder zeitlichen Mehraufwand in Kauf zu nehmen. Nach einem halben Jahr gaben die Eltern auf und brachten ihre Kinder in einer anderen Einrichtung unter. Die Geschehnisse werden alle Beteiligten ihr Leben lang begleiten. Die Erzieherin Katrin G. ließ sich innerhalb des Johannesstifts in die Verwaltung versetzen, die beiden anderen wechselten in die Krippe. Das Verfahren wurde im Interesse aller und nach Absprache mit allen Verfahrensbeteiligten, einschließlich der Eltern der verletzten Kinder, gegen die Zahlung eines Bußgeldes in Höhe von 2000 Euro für jede Angeklagte zugunsten von Paulinchen e. V., einer Elterninitiative brandverletzter Kinder, eingestellt. Damit sollte verhindert werden, dass die Kinder als Zeugen gehört werden müssen, hieß es zur Begründung. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft wäre die damit verbundene Gefahr »bei Beachtung der gebotenen Sorgfaltspflicht« für alle Angeklagte vorhersehbar gewesen.

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