Genscher, paß auf: Die Roten kommen
12 000 Empfängern von Sozialhilfe wurde der Halle-Paß A ganz unbürokratisch zugeschickt, und über 300 Anträge gingen bereits beim Sozialamt ein. PDS-Fraktionsvorsitzender Karl-Heinz Gärtner hofft nun auf vielfältige Information, damit sich die Bürger auch die für sie bereitstehenden Millionen abho-
len. Das diskriminierende Herumsitzen auf den langen Gängen des Sozialamtes bleibe den Antragstellern erspart, da sie das Procedere auf dem Postweg erledigen könnten.
Wichtig sei für kommunalpolitische Nachahmungstäter, so Mechthild Greuel, daß die Substanz des ursprünglichen Antrags erhalten bleibe. Als etwa in Dessau die Antwort auf den entsprechenden PDS-Antrag die Einführung eines Freizeitpasses für Sozialhilfeempfänger war, habe das die Partei als unzureichend ablehnen müssen. In Halle befinden sich die demokratischen Sozialisten in der günstigen Situation, nicht nur die Vorsitzenden des Sozial-, Gesundheits- und Petitionsausschusses zu stellen, sondern nach dem Ausscheiden der SPD aus der großen Koalition (was die Sozialdemokraten nicht daran hinderte, ihre Dezernentenposten zu behalten) bisweilen „Zünglein an der Waage“ spielen zu können.
So gelangte der Grundsatz „Mehrung und Förderung von gesellschaftlichem Eigentum vor allem in kommunalem und genossenschaftlichem Besitz“ (Diskussionsentwurf für ein Kommunalwahlprogramm in Halle) gleich zweimal zu Mehrheitsvoten in der Stadt-
Grenz-Reste bei Boeckwitz (Sachsen-Anhalt) Telefoto: dpa Ein Bundesland im wirtschaftlichen Sturzflug - da würde auch ein Flugplatz wenig Aufwind bringen
verordnetenversammlung. Einmal bei der vorläufigen Abwehr der Privatisierung des Bezirkskrankenhauses, ein anderes Mal beim Verkauf von Grund und Boden für eine Mark pro Quadratmeter an die Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften (AWG), letzteres gemeinsam mit CDU und FDP gegen die SPD
Karl-Heinz Gärtner setzt auf „gestaltende Opposition“, wohl wissend, daß „PDS-Kommunalpolitik die gegebenen Verhältnisse nicht fundamental ablehnen kann“ (aus dem Thesenpapier von Gärtner und Prof. Werner Isbaner, wirtschaftspolitischer Sprecher der Stadtfraktion, zu deren kommunalpolitischer Konferenz in Halle im Februar 1993). Denn die Partei will sich ja der „historischen Verantwortung“ für das „Werden der heutigen gesellschaftlichen Situation“ nicht entziehen. Gärtner betont die programmatische Zusammenarbeit mit den Potsdamer Genossen, die gerade in einen spannenden Oberbürgermeister-Wahlkampf ziehen. Auch in Halle strebt man das Amt des Stadtoberhaupts an.
„Wir wollen gewinnen“, bekennt der Fraktionsvorsitzende. Gysis Perspektive der „roten Rathäuser“ scheint auf zunehmend flächendeckende Resonanz zu stoßen. Ob Genschers Ausflüge mit Bonner Dienstmercedes ins geliebte Halle dagegen viel ausrichten können, bleibt abzuwarten.
ND-Foto: Robert Grahn
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