Säuberung auf elegante Art

  • Patricia Morand
  • Lesedauer: ca. 7.0 Min.

Im unruhigen Süden Serbiens - um die Städte Presevo, Bujanovac und Medevedja an der Grenze zu Kosovo - ist ein ganz eigenartiger, trügerischer Frieden eingekehrt.

Der Zug fährt mich ans Ende der Welt, nach Bujanovac, ganz im Süden Serbiens. Noch südlicher liegen Mazedonien und Kosovo - nichts mehr für Serben. Der Bahnhof liegt mitten im Grünen, drei Kilometer vor der Stadt. Ein Mann bietet sich als Taxifahrer an und will mich beruhigen: »Keine Angst. Zu diesem Bahnhof kommen keine Albaner.« Die Mehrheit in dieser Gegend sind nämlich Albaner. Wogegen die meisten Serben in Bujanovac, Presevo und Medvedja von überall aus dem ehemaligen Jugoslawien stammen, vor allem aus Kosovo. Nur wenige sind in dieser Region geboren. Ich handle mit dem Taxifahrer, bis er mir gesteht, dass er gar kein Auto hat. Da nähert sich ein junger Mann: »Ich wette, dass du aus Rumänien kommst. Ich erkenne Rumäninnen sofort. Lass uns ein Geschäft machen. Bei der Polizei habe ich nur Kumpel. Ich führe dich ein, und dann darfst du alles tun, was du willst. Du gibst mir meinen Anteil, und ich bin zufrieden.« Ich danke für das Angebot und laufe zum Schalter. Der Bahnhofsvorsteher blättert in einer Zeitschrift. Um ihn herum sitzen schläfrige Beamte. Ich warte - sehr lange. Endlich blickt der Chef auf. Als ich bestreite, Rumänin zu sein, wird er wütend: »Ich kenne euch alle! Hau ab, Hure!« Ich laufe Richtung Stadt. Meine Tasche ist leicht, die Temperatur angenehm, die Landschaft mild und grün: viel Gras, etwas Korn, kleine Bäume, ein Bach. Ein Bauer kommt mir entgegen, ein Serbe in armeegrünen Kleidern. Mit einem Stock treibt er drei Kühe vor sich her. Als wir auf gleicher Höhe sind, versetzt er mir einen Schlag auf die Schulter. Bang! Und lacht. Die ersten Menschen, die mir in Bujanovac auffallen, sind Polizisten und Soldaten. Albaner und Serben tragen unterschiedliche Uniformen. In diesem »albanischen« Dreieck Südserbiens, das nicht zu Kosovo gehört, ist die Eingliederung von Albanern in Polizei und Beamtenapparat eine Premiere. Darüber freuen sich die Neu-Uniformierten, und mit ihnen die Zigarettenschmuggler und die Geldwechsler, die jetzt niemand mehr kontrolliert. Ich passiere ein schäbiges Motel, das mit serbischen Flüchtlingen aus Kosovo überfüllt ist. Was tun sie den ganzen Tag? Sie warten auf die Aufhebung der Visumspflicht für Bürger Serbiens und Montenegros. Alle wollen nach Deutschland - nirgendwohin sonst. Serbiens Politiker und Intellektuelle lieben Frankreich, das Volk aber macht da nicht mit: Es rechnet immer noch in D-Mark, fährt deutsche Autos und schwärmt für Bayer Leverkusen. In einem winzigen Restaurant namens »Grill Dada« bereitet mir ein blondes Mädchen die einzige Spezialität des Hauses: gehacktes Schweinefleisch in Brotteig. Bujanovac hat kein Hotel, aber man könne privat unterkommen, sagt sie und weist mir den Weg zu einem Haus. Der dicke Mann, der mich dort empfängt, lässt mir jedoch nur die Wahl zwischen einem völlig leeren Raum und seinem Bett in einem staubigen Zimmer. Also sitze ich wieder im »Grill Dada«: »Kennen Sie nur solche Adressen? Wäre es bei Albanern nicht besser? Bei Muslimen ist es immer sauber und nie vulgär«, behaupte ich provokativ. Die Blonde lächelt: »Ich glaube, Sie wissen gar nichts über diese Gegend. Aber wenn Sie es versuchen wollen, bitte! Dort leben sie.« Dort - das heißt hinter der Tankstelle und dann weiter bis Velika Trnovac. Das war nicht immer so. Serben und Albaner wohnten in Bujanovac oft nebeneinander. Ich entscheide schließlich, in Bujanovska Banja zu schlafen, einem Kurort einige Kilometer außerhalb der Stadt. Dort wohnen nur Serben. Ein 70-jähriges, begütertes Ehepaar bringt mich unter. Ihr Haus ist für südserbische Verhältnisse ein Palast: geräumig, hell, geschmackvoll, bunt. Die vielen Teppiche und die Gardinen sind Werke der korpulenten Hausfrau. Im Garten sieht man gepflegte Blumen, Gemüse und einige Hühner. Meine Gastgeber fragen nichts, sie wollen auch keinen Pass sehen. Nur Geld brauchen sie, sofort. Immer wieder laden sie mich zum Kaffee und sprechen gerne über sich: 37 Jahre in Deutschland, dann kam der Krieg mit den NATO-Bomben über Serbien. Sie lebten damals noch in München, aber da sie aus einer Gegend Bosniens stammen, wo die Muslime alle Serben verjagten, hatten sie plötzlich Anspruch auf ein Haus in Serbien. In Bosnien hatten sie eigentlich schon lange kein Haus mehr. »Der Krieg hat uns ein Haus geschenkt«, spotten sie. Sie finden den Westen großzügig. Im Dorf sind die Verhältnisse unter Nachbarn höchst gespannt. Neid, Ärger, Schikanen. Jeder geht seinen Weg. Es gibt hier alteingesessene Bauern, Angestellte des Kurbades, Kriminelle, elendige einheimische Familien, wohlhabende Flüchtlinge und viele Polizisten, die aus ganz Serbien nach dem Krieg in dieses Grenzdorf gezogen sind. Die Zimmervermieter des Kurortes beherbergen schon seit Jahren mehr Arbeiter als Touristen. Ich lerne einige von ihnen kennen und erfahre, dass sie alle von Belgrader Firmen hierher geschickt wurden. Offenbar beschäftigt man nach wie vor nur ungern albanische Arbeitskräfte. Einige der Arbeiter sind bei der Reparatur der Kanalisation von Presevo beschäftigt, einer Stadt 20 Kilometer südlich. Andere errichten Häuser für serbische Flüchtlinge aus Bosnien und Kosovo, bezahlt vom Westen. Etliche Spezialisten arbeiten an militärischen Objekten. Ich besuche ein Team von Elektrotechnikern, etwa 30 Personen, die in einem dreistöckigen Gebäude auf Matratzen schlafen. Der Eigentümer ist ein bosnischer Serbe, der schon ewig in Deutschland lebt und mit diesem vom Westen finanzierten Objekt nur spekuliert. Das Haus hat noch keinen Putz, keine Treppengeländer, keine Balkonbrüstung, keine Möbel. Aber wenn alles vollendet ist, sucht er sich wie viele anderen Emigranten aus dem ehemaligen Jugoslawien einen Käufer - und hat damit seine Rente. Von der Terrasse aus sieht man die ehemals herrlichen Bauten des Thermalbades, die Mineralwasserfabrik und den großen, sattgrünen Park. Die Techniker errichten in der Nähe eine Basis für die serbische Armee. Eine ähnliche Anlage haben sie schon in Crnotince gebaut, gegenüber einer US-amerikanischen Basis, die in Kosovo liegt. Die Männer sprechen offen: »Der Krieg war ein Irrtum, aber jetzt müssen wir die Zukunft absichern. Irgendwann gehört uns Kosovo nicht mehr. Deshalb müssen wir die neuen Grenzen befestigen.« Im Hotel des Kurortes Bujanovska Banja schlafen serbische Flüchtlinge aus Kosovo im dritten Stock, albanisch sprechende Patienten im zweiten und serbische Rheumatiker im ersten. »Es war schon immer so«, erklärt mir ein serbisches Ehepaar, das im Park sitzt. »Die Albaner haben eine andere Religion. Sollten wir schweigen oder jedes Mal aus dem Zimmer gehen, wenn sie beten? Eigentlich saßen wir auch früher nur zum Geschäftemachen zusammen.« Das Ehepaar lebt in Metkovce, in Kosovo. »Wir hausen dort wie in einem Gefängnis. Wir können nur um unser Haus herum laufen, sonst ist es zu gefährlich. Die Albaner wollen uns alle töten.« Deshalb halten sie sich oft außerhalb von Metkovce auf. In Bujanovska Banja sind sie schon zum vierten Mal seit dem Krieg - die Kuren bezahlt noch der Staat. Oft sind sie aber auch bei Nis, um dort den Bau eines Hauses zu überwachen, das von einer dänischen Organisation finanziert wurde. »Jetzt haben wir glücklicherweise eine Bleibe, falls es da unten noch einmal knallen sollte.« Warum sie nicht gänzlich in den Ort bei Nis ziehen? »Metkovce ist unsere Heimat, und jeder Serbe aus Kosovo will dort weiter wählen dürfen.« Immer weniger Kosovo-Serben scheinen ständig in Kosovo zu leben. Viele haben eine Zuflucht in Serbien. Um die südserbischen Städte Nis, Leskovac, Vranje, Prokuplje, Kursumlje stehen neue Häuser dicht an dicht. Vor diesen Siedlungen hängen Schilder mit den Namen von Hilfsorganisationen. Auf diese elegante Art bereiten Westeuropa und die USA eine »würdige Vertreibung« der Serben aus Kosovo vor. Alles braucht seine Zeit. Irgendwann werden die Serben schon in ihre neuen Häuser ziehen. Auch die Politik der neuen Regierung in Serbien ist zwiespältig: Ein paar bekannte Politiker schimpfen, fordern und drohen, andere bauen zur gleichen Zeit neue Festungen und Dörfer. Doch einfach ist es nicht, eine Diaspora in völlig neuen, anonymen Ortschaften anzusiedeln. Die Nachbarschaftsbeziehungen sind gespannt. Wer mag schon wen in dieser Gegend? Frust, Neid, Intoleranz herrschen allzu oft. Und nicht nur unter Serben, unter Albanern ist es nicht anders, und auch die Roma verstehen einander nicht. Jeder fühlt sich besser als der Nachbar, ruhiger, ehrlicher, fleißiger... Südserbien ist erstickend. Ich habe es nicht leicht, die Gegend zu verlassen. Ein Busfahrer lehnt es ab, mich mitzunehmen. Warum? Das werde ich nie erfahren. Ich versuche, den Zug zu nehmen. Aber am Bahnhof sitzt der gleiche Vorsteher wie am Tag meiner Ankunft. »Du bist ja schon wieder hier! Geh weg! Für Huren haben wir im Zug keinen Platz.« Seltsam. Ich laufe drei Kilometer zurück und finde einen Taxifahrer, der mich zum Bahnhof der nächsten Stadt fährt. Dort sind die Angestellten freundlich, humorvoll, hilfsbereit. Nach zwei Stunden bin ich in Nis. Endlich wieder auf der Erde. Serben und Serben - was vereint sie? Nichts. Trotzdem werden Milliarden ausg...

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