Platt, platter, Platte

Burgtheater Wien: Thomas Langhoff inszenierte von Hofmannsthals »Der Unbestechliche«

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: ca. 4.5 Min.
Zwischen den Wänden zweier gigantischer Mietshochhäuser klebt, klemmt in der Bühnenmitte ein tarnfarbengrüner Klumpen. Ein Schloss. In dem sich Fenster wie Luken öffnen. Rundum Feindeswelt. Die Hochhausfassaden und diese quadrige Windschiefe trennt eine schwarze Mauer. Was als bessere Gesellschaft mal Klasse hatte, ist nur noch abbruchreifes Teil einer grauen Klassengesellschaft, in der das Obere wohl bald zuunterst kommt. Der Gang der Kultur: platt, platter, Platte. - Roland Gassmann hat für Hugo von Hofmannsthals »Der Unbestechliche« am Wiener Burgtheater eine Bühnenbild-Überraschung hingezirkelt, die der Inszenierung von Thomas Langhoff - es sei umgehend gestanden - so ziemlich allen Schneid abkauft. Der Unbestechliche. Das ist Diener Theodor, der seiner Baronin kündigt - aber nur, um noch fester in jenen Sattel zu gelangen, der ihn zum eigentlichen Herrn dieser müden, heruntergekommenen Adelsrestwelt erhebt. Baronins Sohn Jaromir, verheiratet und ein Kind, erwartet heute zwei Geliebte gleichzeitig - und Theodor wird mit gütiger Erlaubnis der Baronin flugs den Pfuhl aufräumen, ihn ausräumen, die Unmoral aus dem Haus jagen. Und all jene, die ihn immer nur »Franz« nennen ... Langhoffs Intention ist jener Aufruhr des Knechtischen, der den komischsten, weil wahrhaftigsten aller Geschichtseffekte bringt: Ein Diener erhebt sich - aber wiederholt doch nur alles Herrische. Er wirbelt durch die Ordnung - um sie zu restaurieren. Letztlich hält die Verteidigung von Ehre und Moral durch Untere einzig jenes Regime der Oberen am Leben, das Ehre und Moral aufweicht. Ist es eine unschöne, verlogene Vergangenheit, die da im Schloss verwittert, so ist es eine nicht weniger unansehnliche Zukunft, die sich in den Hochhäusern unweigerlich heranbetoniert. Volkes künftige Heerschaft gegen die Herrschaft ewig Gestriger. Die Welt der Theodors zieht schon mal ihre Wände hoch. Aber jene kommenden Zeiten, die da im Bühnenbild assoziativ aufgezogen sind - werden es je schönere gewesen sein? Nein. Nie erfüllte die Unterdrückung der so genannten einfachen Leute jenen unglücklich einfachen Klassenkampf-Traum von Wahrheit: Der Mensch, weil er dienen muss, sei allein deshalb schon der bessere. Statt dessen bestätigt(e) jeder Aufstand am Ende immer nur das Regime, welches ihn auslöste - weil der Mensch nur ein einziges Mittel hat, Macht zu ändern: Macht. Deshalb endete noch jede Revolution mit genau jenem Tag, da sie ihren Sieg verkündete, und daher ist des Theodors, dieses Dienertyrannen, wiederhergestellte »schönste Ordnung« - so ehern vorwärtsweisend und tugendhaft sie sich gibt - doch nur der Sieg eines reaktionären Egoismus. Seit jeher sind Thomas Langhoff Bühnenfiguren gelungen, die uns noch in ihrem Unglück beglückten. Weil dieser Regisseur finsteren Untergängen ein Leuchten mitgab und hellen Zuständen einen Schatten. Wenn Langhoff den Bruch mit irgendeinem Vorher ins Bild nahm, tat er es oft wehmutsvoll in den Formen just dieses Vorher; er sah noch in den tödlichen Abschieden ein Werden, im Kommenden schon das lebendigste Vergehen. Das Zerrissene in Denken und Fühlen machte die Festigkeit seiner Arbeiten aus, er schuf Gegenwartstheater gern in den Seelenkulissen von gestern und offenbarte so Ehrlichkeit unter Ehrfurcht. Allem, was das Leben unentschieden hält - dem streckt Langhoff die Hand gern auf eine Weise entgegen, dass man als Zuschauer den Ringfinger der Verbundenheit eher sieht als den Zeigefinger der Aufgeklärtheit. Wie kommt es aber, dass die jetzige Inszenierung über Strecken so bieder abschnurrt? Alles, was diese Schloss-Welt zwischen Vorher und Nachher so schwankend halten könnte, also im ewigen Zustand aller Welt - hier ist es nur Schwank. Es scheint, als würde das Stück auf dem riesigen Burgtheater nicht gespielt, sondern von ihm geschluckt. Die Schauspieler werden auch verschluckt; die meisten jedenfalls. Da rückt nichts auf den Leib, um unter die Haut zielen zu können. Langhoffs Moral hieß immer: Exaktsein; Mitte suchen; fragend bleiben; einen Sinn eher austasten als aussprechen. Nun aber eine Inszenierung, die zwar darüber zu reden animiert, wie Langhoff eigentlich ist, doch weniger darüber, wie die Inszenierung selber ist. Sie lenkt ab von Langhoff. Sie ist irgendwie in Eile, so, wie Langhoff offenbar auch in Eile war, als er inszenierte. Die Aufführung geht über die Bühne, ja; husch, weg ist sie. Fragen wir dennoch, was bleibt. Peter Simonischeks Theodor: Der Dialekt ein slawisches Sammelsurium, nicht wienerisch, aber durch und durch schlawienerisch. In jenem Anzug, in dem er zunächst kündigen will, klemmt und knautscht er und nimmt doch auf einem Kinderstühlchen neben der Baronin Platz, als habe er alle Freiheit der Welt - Demütigung kann wie ein Bad hingenommen werden, wenn einer erst erkannt hat, welche Türen hinauf einem das öffnet. In der Livree, die ihn schließlich wieder um den entscheidenden Dienstgrad erhöht, da stolziert und poltert dieser Theodor, als hieße er Thermidor und sei also die revolutionierendste Hitze selber. Die stärkste Szene hat die Inszenierung, wenn der herrschende Diener die Jaromir-Geliebte Melanie Gallatis davon überzeugt, das Haus umgehend zu verlassen. Simonischek geschmeidig intrigant. Und Sylvie Rohrer als Melanie: längst eine Unverwechselbare an der Burg. Eine furiose Leistungssportlerin des schrillen, staksenden Charmes. Eine Tragikomikerin von aufkratzend expressionistischem Format. In jener Szene mit Simonischek, zu der am Ende auch noch ein verdatterter Jaromir (Johannes Krisch) gehört, stürzt die Rohrer aus kreischender Hysterie in die stummmäulige Erkenntnis, eine Missbrauchte zu sein - und plötzlich schauen wir ins Gesicht einer in tiefster Verletztheit erwachenden, souveränen Frau. Da ist plötzlich der alte junge Regie-Langhoff spürbar, der aufs Flackern in den Augen der Schauspieler wartet, auf ihr Unsicherwerden; dann packt er zu, hilft ihnen weiter, im Unsicheren heimisch zu sein. Schnell vorbei diesmal, also weiter: lockeres Spiel vom Blatt, aller Geheimnisse entblättert. Nur Konzeptklarheit: Alle Versöhnung am Ende ist nur ein Trug. Derzeit probt Christoph Schlingensief an der Burg »Bambiland«, Elfriede Jelineks neuen Text. »Der Unbestechliche« (1923) wirkt schon jetzt wie eine Bestechung des Abo-Publikums: Falls sich mit Schlingensief ein Stück Ungemütlichkeit abzeichnet - mit diesem Hofmannsthal wäre der besänftigende Ausweich ins Brave abgesichert. Für eine solche Rolle aber ist Langhoff - obwohl er bei allem Kunstsinn doch auch ein ausgesprochen spielerisches, sportives Verhä...

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