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Der Anwalt im Rechtsstaat
Teil 1
In Deutschland hat der Rechtsanwalt traditionell einen gesellschaftlich anerkannten Status. Auch bei Bürgerbefragungen kommen unter den verschiedenen Berufen die Rechtsanwälte in der Öffentlichkeit im allgemeinen recht gut weg.
Im Rechtsstaat ist der Rechtsanwalt eine wichtige Figur und erfüllt wichtige Aufgaben. Allerdings wird nicht selten von Bürgern verkannt, worin diese bestehen. Er gilt als unabhängiges Organ der Rechtspflege, er ist aber keine Amtsperson. Der Rechtsanwalt gehört zu den freien Berufen. Der Anwalt ist kein Gewerbetreibender. Die freie Advokatur ist ein Markenzeichen dieses Berufes. Rechtsanwälte nehmen auf Grund ihrer Kompetenz über die Wahrnehmung ihrer Mandate hinaus vielfach unmittelbar Anteil am gesellschaftlichen Leben, in der Öffentlichkeit und in der Politik. Unter den Abgeordneten, auch des Bundestages, finden sich zahlreiche Rechtsanwälte.
Vom Rechtsanwalt muss man deutlich den Notar unterscheiden, auch wenn im Lande Berlin und anderen Bundesländern Rechtsanwälte gleichzeitig Notar sein können; in anderen Ländern, so im Lande Brandenburg, sind Rechtsanwaltschaft und Notariat getrennt. Dem Notar obliegt es vor allem, Vorgänge, Verträge und andere Urkunden zu beurkunden; insoweit trägt die Tätigkeit eines Notars einen amtlichen Charakter. Äußerlich ist dies auch daran zu erkennen, dass der Notar an seinem Hause ein »amtliches« Schild anbringt, während der Rechtsanwalt »nur« - wie Ärzte - durch ein privates Schild auf sich aufmerksam macht. Aus diesem Grunde gehört der Notar im Sinne des Strafgesetzbuches (§ 11) zu den »in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis« stehenden Personen.
Der Rechtsanwalt hat vor allem die Interessen seines Mandanten zu vertreten und zu verteidigen. Er ist der berufene und unabhängige Berater und Vertreter seines Mandanten in allen Rechtsangelegenheiten. Er kann daher vor allen Gerichten, auch Schiedsgerichten, und allen Behörden auftreten. Jeder, ob Deutscher, Ausländer oder Staatenloser, hat das Recht, sich durch einen Anwalt seiner Wahl beraten und vertreten zu lassen; es besteht freie Anwaltswahl, so wie freie Arztwahl.
Dazu gehört auch die Pflicht zur Verschwiegenheit über Angelegenheiten, die der Anwalt im Rahmen seines Mandats von seinem Mandanten erfuhr. Dem entspricht das in der Prozessordnung geregelte Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 StPO); insoweit sind Verteidiger und Rechtsanwälte Ärzten, Steuerberatern, Geistlichen und anderen aus beruflichen Gründen zur Verweigerung des Zeugnisses Befugten gleichgestellt. Nur nach einer ausdrücklichen vollständigen oder begrenzten Entbindung von der Schweigepflicht durch seinen Mandanten kann er sich über dessen Angelegenheiten äußern.
In Übereinstimmung mit dieser grundsätzlich hoch angesehenen Stellung eines Rechtsanwalts kann er als Beauftragter seiner Mandanten gegenüber Gerichten und anderen Behörden für seinen Mandanten in entsprechender Weise auftreten, für sie Erklärungen abgeben und Anträge stellen. Dem gemäß kann er Einsichtnahme in die Akten, auch in Verwaltungsakten, verlangen und Auszüge aus diesen (in Kopie) erhalten oder herstellen.
Gerichtsakten, gerade auch in Strafsachen, kann er in seine Kanzlei mitnehmen oder in diese übersenden lassen und hier in aller Ruhe studieren, mit seinem Mandanten besprechen und je nach Belieben kopieren. Der Mandant ist sein Auftraggeber und der Rechtsanwalt hat im Rahmen der Rechtsordnung dessen Auftrag zu entsprechen und dessen Weisungen auszuführen.
Es handelt sich insoweit um ein Auftragsverhältnis; gleichzeitig ist es, da der Rechtsanwalt eine Dienstleistung erbringt, ein Dienstverhältnis, rechtlich ein Dienst(leistungs-)Vertrag, für dessen Erfüllung er nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung (BRAGO) angemessene Gebühren oder frei vereinbarte Honorare zu fordern berechtigt, ja auch verpflichtet ist. Eine unentgeltliche Rechtsberatung oder Rechtsvertretung ist unzulässig.
In Wahrnehmung der Interessen seines Mandanten hat der Rechtsanwalt unter Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten, Mittel und Wege mit aller anwaltlichen Professionalität nach allen Regeln der anwaltlichen Kunst zu einer sachgerechten, dem Gesetz entsprechenden Entscheidung der betreffenden Behörden, auch der Gerichte beizutragen und seinen Mandanten vor Gefahren oder Rechtsverlust zu schützen. Dabei hat er den »rechtlich sichersten Weg« zu wählen.
Das ist angesichts der Unüberschaubarkeit und Kompliziertheit des bundesdeutschen Rechts und der Uneinheitlichkeit der bundesdeutschen Rechtsprechung, insbesondere der unterschiedlichen Auslegung von Gesetzen durch die Gerichte, nicht immer ganz einfach. Für Rechtsfehler und Fehlgriffe, vor allem für die Versäumung von Fristen und das Unterlassen rechtlicher Möglichkeiten, so der Einlegung von Rechtsbehelfen, haftet der Anwalt seinem Mandanten.
Bei entsprechenden Streitwerten kann die Haftungssumme ganz erheblich sein. Deshalb sind Anwälte zum Schutze der Mandanten verpflichtet, entsprechende Haftpflichtversicherungen abzuschließen; ohne den Nachweis des Abschlusses solcher Versicherungen werden sie nicht zur Anwaltschaft zugelassen. Bei der Vertretung der Interessen seines Mandanten ist der Anwalt im Rahmen der Rechtsordnung und des ihm erteilten Mandats in der Wahl der Mittel frei.
Ein guter Rechtsanwalt wird vor dem konkreten Tätigwerden die Wege und Möglichkeiten, auch die Folgen und Aussichten seines Handelns mit seinem Mandanten besprechen und ihm danach auf Grund seiner anwaltlichen Sach- und Rechtskenntnis und seiner Erfahrung den geeigneten Weg empfehlen, z.B. eine Forderung sofort zu begleichen oder (vorläufig) nicht oder nur unter Vorbehalt zu zahlen, Klage zu erheben oder sich verklagen zu lassen usw.
Bei der Wahrnehmung der Interessen seines Mandanten ist der Rechtsanwalt auf dessen sachliche Informationen angewiesen. Die Überprüfung der Vollständigkeit, Stichhaltigkeit und Zuverlässigkeit dieser Angaben ist grundsätzlich nicht seine Sache.
Das Bundesverfassungsgericht hat kürzlich erklärt: Eine regelmäßige Kontrolle der vom Mandanten mitgeteilten Tatsachen kann vom Rechtsanwalt rechtlich nicht verlangt werden. Das entspricht auch dem unerlässlichen Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt als Voraussetzung des Mandats. Ohne Vertrauen kann ein Rechtsanwalt für seinen Mandanten nicht tätig werden.
Ist dieses Vertrauensverhältnis irgendwann einmal gestört, kommt für den Rechtsanwalt die Niederlegung des Mandats in Betracht, wobei er die bis dahin angefallenen Gebühren einfordern kann. Allerdings sollte ein Rechtsanwalt wegen ihm auffallender Widersprüche in den Angaben oder bei Zweifel an Vollständigkeit gegebenenfalls bei seinem Mandanten vorsorglich nachfragen, auch um selbst als Anwalt nicht in eine unglückliche Situation zu geraten.
Entscheidend ist aber Folgendes - was manche Bürger übersehen: Der Vortrag des Rechtsanwalts in Schriftsätzen oder vor Gericht über tatsächliche Umstände ist nicht der eigene Vortrag des Anwalts, sondern wegen des anwaltlichen Vertretungsverhältnisses der Sachvortrag für seinen Mandanten, der Sachvortrag seines Mandanten. Dabei muss nicht extra hervorgehoben werden, dass der Vortrag nach Auskunft des Mandanten erfolgt.
Manche Bürger beschimpfen den gegnerischen Rechtsanwalt zu Unrecht, wenn dieser nach ihrer Ansicht »lauter Lügen« vorträgt. Sie vergessen, dass diese »Lügen« die Lügen des Mandanten dieses Anwalts und nicht die des Anwalts sind, auch wenn er sie sich scheinbar oder wirklich zu Eigen macht. Das Gleiche gilt für einen scharfen Ton, den der Rechtsanwalt in seinen Schriftsätzen oder vor Gericht verwendet, auch wenn der Bürger sich dadurch verletzt oder beleidigt fühlt.
Zulässig, mitunter sogar angezeigt sind Hinweise auf Folgen des Verhaltens des Gegners, was für den Betreffenden mitunter als Drohung aussehen mag. Da der juristische Laie die betreffenden rechtlichen Konsequenzen oft nicht kennt, kann ihm manches an sich zulässige Verhalten des gegnerischen Anwalts als unzulässig oder unangemessen vorkommen.
In der erwähnten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird betont, dass der Anwalt als berufener Berater und Vertreter seines Mandanten dessen Positionen einnimmt - und im Namen des Mandanten, in allen Rechtsangelegenheiten die Äußerungsfreiheit hat, die seine Stellung als unabhängiges Organ der Rechtspflege erfordert. Der Rechtsanwalt muss also in seinem Auftreten auch vor Gericht, bei der Wahl seiner Worte nicht besonders pingelig sein; im Sinne des Strafgesetzbuches gilt solches Auftreten als Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193).
Soweit die Gegenpartei meint, sich gegen dergleichen Angriffe wehren zu müssen, hat sie sich an den Mandanten des Anwalts zu halten, gegebenenfalls mit der Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs gegen den gegnerischen Mandanten.
Auch wenn die Schreiben eines Rechtsanwalts auf einem Kopfbogen wie amtliche Schreiben aussehen, darf niemals vergessen werden...
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