Geheimprojekt Militärsiedlung Nr. 1

Falkenhagen: Erst unterirdische Nazi-Rüstungsfabrik, dann Gefechtsstand des Warschauer Vertrags

15360 Falkenhagen in Märkisch-Oderland. Die 758-Seelen-Gemeinde liegt inmitten der nach ihr benannten hügeligen Heide am Oderbruch, gesäumt von beschaulichen Seen. In dem weitläufigen bewaldeten Schutzgebiet tummelt sich allerhand seltenes Getier in einer überaus artenreichen Pflanzenwelt.

Doch birgt die Idylle ein schauderhaftes Geheimnis: einen vierstöckigen Bunker aus Stahl und Beton, 25 Meter tief in die Erde gegraben. Heutzutage ist er für jedermann zugänglich. Die 31 Quadratkilometer große Gemarkung, auf der sich das Ungeheuer befindet, galt 65 Jahre lang als verbotenes Land, abgeschirmt, streng bewacht. Nicht einmal in den Siedlungen beiderseits der Reichsstraße 167 (heute B5) ahnte man, dass die Nazis ab der Jahreswende 1938/39 ganz in der Nähe eine riesige unterirdische Chemiefabrik gebaut hatten.
Hier wurden Forschungen für chemische Waffensysteme betrieben und z.B. Chlortrifluorid produziert, das später als hochbrisantes, aggressives Brandmittel »N-Stoff« bekannt wurde. Da es extreme Schädigungen an der Lunge und anderen Organen verursachte, wurde es von der SS an Häftlingen aus dem KZ Sachsenhausen erprobt. Ziel war, gängige Schutzfilter zu zerstören. Rasch ging man aber dazu über, andere Wirkungen zu testen. Denn N-Stoff verbrannte herkömmlich feuerresistente Stoffe wie Sand, Asbest oder Wasser. Man hoffte auf ein alles zerstörendes Wunder der Kampftechnik.
Zudem stellte man in Falkenhagen das Nervengas Sarin in geringen Mengen her und bereitete seine Großproduktion vor. Die Nazi-Spitze hielt dieses Gas für enorm kriegswichtig. »Der in Falkenhagen erzeugte Kampfstoff Sarin ist der wertvollste und modernste aller Kampfstoffe und hat die sechsfache Wirkung aller bisherigen Kampfstoffe«, schrieb deshalb Reichsrüstungsminister Speer 1944 an Reichsführer SS Himmler, die sich wegen der Hoheit über das Werk befehdeten.

Schleichender Tod nach Bomben auf Iraker Depot

Sarin kam im damaligen Krieg nicht mehr zum Einsatz. Erst viel später, im März 1995, wurde solches Gift von der AUM-Sekte in der Tokioter U-Bahn versprüht. 12 Menschen starben, 5000 wurden schwer vergiftet. Und als im Golfkrieg 1991 die USA massiv Ziele im Irak bombardierten, traf man auch Bunker mit Sarin, das in die Atmosphäre geschleudert wurde. Nach offiziell 148 Toten leiden seither 159000 US-Soldaten unter dem mysteriösen Golfkriegs-Syndrom, das mit Leistungsabfall, Ohnmachtsanfällen, Versagen von Armen und Beinen sowie alzheimerähnlichen Symptomen, als schleichender Tod charakterisiert ist.
Zu den Eignern des Projektes Falkenhagen zählten übrigens die Turon GmbH (IG Farben), die Montan-Industriewerke GmbH sowie die SS und die Wehrmacht. Mehrfach wechselte das großräumige Objekt auch den Tarncode: Aus Muna (Munitionsanstalt) Ost wurde das Objekt Seewerk, dann wieder M. O. Falkenhagen, das Buswerk, die Firma Allchemie.
Eine zehnjährige Forschungsarbeit war nötig, um Details über die Bunkeranlage und ihr Umfeld einigermaßen zu erhellen. Zumal die SS auf einen »Führerbefehl« hin im Februar 1945 bei anrückender Front das Objekt samt Aggregaten und Unterlagen nahezu »besenrein« räumte. Mehrere Sonderzüge sollen in Richtung »Alpenfestungen« gerollt sein, vielleicht auch nach Lüneburg, bis sich die Spuren im Nichts verloren. Auf manch Widersprüchliches hat Dr. Heini Hofmann in seiner Dokumentation hingewiesen, die nächste Woche veröffentlicht wird.
Die Übernahme des »Seewerkes« durch die Rote Armee im April 1945 vollzog sich gänzlich unspektakulär. Teile der SS-Division »Großdeutschland« hatten sich »ohne Feindberührung« in Richtung Halbe verflüchtigt. So fanden die Russen einen verlassenen über- und unterirdischen Komplex vor - riesige geflieste Werkhallen, teils in bis zu dreieinhalb Meter dicke Wände aus Stahl und Beton gehüllt. Auffällig auch die 180 Meter lange mit Gleisen versehene Tunnelröhre, die ebenerdig in den Bunkerkomplex mit seiner Grundfläche von 40 mal 55 Meter führt. Die verbunkerte Nutzfläche beträgt ca. 15600 Quadratmeter. Ein sanfter bewaldeter Hügel über dem Betonklotz tarnt das Objekt. Oben fanden sich Versorgungslager, Werkstätten, Unterkünfte.
Wo sich Militär - welcher Couleur auch immer - heimisch fühlt, rückt immer wieder das nächste nach. Nicht nur in unseren Tagen, wie man am Bombodrom in der Küritz-Ruppiner Heide sieht. Auch damals bauten die Sowjet-Truppen das Falkenhagener Areal zur Garnison um. Gleisanlagen und anderes wurde demontiert und in Richtung Osten transportiert, dieses Gebäude gesprengt, jenes umgerüstet - zum Wartungsstützpunkt für Fahrzeuge, Lazarett oder Quarantänepunkt, zu Garagen, Werkstätten, Kohlelager, Schrottplätzen, Müllgruben, Wohnungen und Massenunterkünften. Chemiewaffen wurden definitiv nicht mehr hergestellt, so Hofmann aufgrund seiner Recherchen.
In einem der Gebäude wurden fortan Schweine gemästet. Dies ist alter russischer Brauch, der unter dem Zaren ebenso wie unter Väterchen Putin geduldet wird. Selbst in Friedenszeiten gelang es der russischen Obrigkeit nie, die Muschkoten ausreichend zu versorgen, so dass die Beschaffung eines Zubrotes zu den Grunderfordernissen militärischen Daseins gehörte - bis in unsere Tage. Ebenso übrigens wie die wilde verwegene Jagd auf Hirsch, Bock, Keiler, Hase, Taube und Ente mit der Maschinenpistole.
Alles ging also gut ein Dutzend Jahre lang seinen ganz normalen militärischen Gang, bis 1960 die Kontakte zu den umliegenden Kommunen und deren Bewohnern von einem Tag zum anderen nahezu erstarrten. Was bis dahin locker gehandhabt wurde, war nunmehr streng verboten, schlief ein oder wich einer gewissen Unnahbarkeit - der Holzeinschlag im »Russenwald«, der Besuch im Objektkino, der Einkauf im Kasino, die Patenschaften mit Schulen oder einem Forschungsinstitut. Dies war ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Geheimhaltungsstufe für das Objekt drastisch erhöht worden war.
Jahre später begann eine rege Bautätigkeit. Das Objekt nannte sich inzwischen »Technikpunkt Torpedo«. Es wuchsen Tankstellen, Klub, Kasernenblöcke, Wohngebäude, ein Hotel der gehobenen Art, ein Stabsgebäude aus dem märkischen Boden. Der Bunker aber wurde »zu einem weitgehend autarken und ABC-Schlag sicheren Gefechtsstand für das Diensthabende System der Sowjetarmee bzw. des Kommandostabes der Warschauer Vertragsstaaten« umkonstruiert. Es entstand der »Einsatzgefechtsstand für den westlichen Kriegsschauplatz«, wie das im russischen Militärdeutsch heißt.
Von Existenz und Zweck wusste nach eigenen Angaben nicht einmal die engere Spitze der NVA. Es war nicht unbedingt üblich, ohne Not die Waffenbrüder zu informieren, einzuweihen, zu konsultieren, selbst wenn es sich um Geschehnisse auf deren Territorium handelte.

Direkt vom Generalstab in Moskau geführt

Aus Dokumenten und Zeugenaussagen ist zu schließen, dass der Gefechtsstand direkt von Moskaus Generalstab geführt wurde. Dem Oberkommando der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland mit Sitz Wünsdorf war Falkenhagen lediglich logistisch zugeordnet. Der Kommandeur war stets ein russischer General, wurde per Hubschrauber eingeflogen und verließ das Objekt nur, wenn ein Nachfolger eingetroffen war.
Ende September 1992 wurden der Bunker und die dazugehörigen Anlagen dem Beauftragten für Konversion der Bundesvermögensverwaltung übergeben. Inzwischen hieß das Objekt »Garnison Falkenhagen - Militärsiedlung Nr. 1«. Die Anlage war leergeräumt. Doch umherliegende Baugruppen, Spezialkabel und Elektronikschrott sowie die Spuren eifriger Demontage deuteten darauf hin, was verborgen bleiben sollte.
Dr. H. Hofmann: Objekt »Seewerk«; Heinrich-Jung-Verlagsgesellschaft mbH Zella-Mehlis/Meiningen, 356 S., zahlr. Fotos, Zeichnungen, Dokumente. 27,80 Euro. Bestellung über ND-Bücherservice, Tel.: 030-29390766; Fax: 030-29390650. Für die Besichtigung des Bunkers ist eine Anmeldung unter 033603/400 zu empfehlen.

Die verbunkerte
Republik
Ein kaum überschaubares Netz militärisch genutzter Bunker überzog das Territorium der DDR von der Halbinsel Fischland-Darß bis zum Rennsteig, von der Elbe bis zur Oder.
Zu den größten der modernen Bunkerbauten gehörte das DDR-Projekt Prenden namens »Filigran« alias »Objekt 5000« alias »Perle 1« samt einigen kleineren Abkömmlingen, das im Kriegsfall Erich Honecker als Befehlsstand dienen sollte.
Das Land Brandenburg hat die meisten Bunkerbauten geerbt. Nicht zu vergessen die Gefechtsstände und Depots aus Stahl und Beton, die sich auf jedem der zwölf großen Truppenübungsplätze der Gruppe der sowjetischen Streitkräfte (GSSD) fanden. Die Plätze erstreckten sich über 90000 Hektar und waren zumeist von Truppen des Kaisers oder der Nazis angelegt worden, z.B. in Jüterbog.
Ein ähnliches Bunkersystem wie in Falkenhagen befindet sich mit »Maibach1« in Wünsdorf - Baujahr 1937, unterirdisch mit 11 Ablegern im Umkreis verbunden. Von hier aus führte die Nazi-Generalität Krieg, später zog das Oberkommando der GSSD ein.
Viele Betonklötze wurden bei Kriegsende gesprengt oder zugeschüttet, andere - vor allem später entstandene - sind für touristische Zwecke hergerichtet worden, weitere mutierten zum Winterquartier für Fl...

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