»Probleme verschwinden ganz schnell unter dem Teppich«

Keine Einzelfälle: Psychologe warnt vor verdeckter Rechtslastigkeit

Antisemitisch und rechtsextrem motivierte Ausfälle und Übergriffe einzelner Soldaten und Polizisten sind »Symptome eines breiteren Problems«, warnt der Berufsverband Deutscher Psychologen (BDP) und fordert eine »klare Abgrenzung von Gesellschaft und Politik gegenüber Personen, die mit rechtem Gedankengut kokettieren«. Mit Thomas Kliche, dem Vorsitzenden der Sektion Politische Psychologie beim BDP sprach Christine Schettinger.

ND: Nach der Zustimmung des Bundeswehrgenerals Reinhard Günzel zu den antisemitischen Äußerungen des Noch-CDUlers Martin Hohmann diskutiert die Öffentlichkeit einmal mehr über politische Einstellungen in Armee und Polizei. Gibt es bei den »bewaffneten Staatsorganen« einen besonderen Nährboden für rechtes Denken?
Kliche: In den meisten Ländern Europas haben rechtsextreme und antisemitische Haltungen ein Sympathiepotenzial von sechs bis 18 Prozent. Bei der jüngeren Generation ist es seit 1990 eher gewachsen. Es wäre ein kleines Wunder, wenn Staatsorgane sich davon völlig freihalten könnten. Die Probleme entstehen, weil solche rechten und autoritären Neigungen da, wo sie erkannt werden, ganz schnell unter dem Teppich verschwinden.

Damit im Glied Ruhe herrscht?
Das kollektive Unter-den-Teppich-kehren ist ein wesentliches Merkmal von Korpsgeist. Die Arbeit fordert, dass man sich aufeinander verlassen kann. So wächst der soziale Zusammenhalt einer Gruppe, die sich als überlegen ansieht und sich gegen andere, Fremde, Gegner abgrenzt, sie sogar bekämpft. Die Mitglieder der bewaffneten Staatsorgane haben ein positives Verhältnis zu Stärke, Durchsetzung ist ihr Job. Und Gewalt ist in diesen Bereichen ein selbstverständlicher Berufsaspekt.

Auf welche Weise beeinflusst der Armeedienst das Weltbild der Rekruten?
Sie haben in einer so genannten totalen Institution gesteckt, die die gesamte Lebensführung bestimmt. Auch wenn sie nie auf einen Menschen geschossen haben, haben sie sich dort an ein paar Dinge gewöhnt, die nicht gerade die Zivilgesellschaft voranbringen: fremdbestimmten Tagesablauf, Anpassung an ein Gruppenklima, Abhängen und Drückebergerei vor erkennbar sinnlosen Aufgaben, das ständige Schielen nach Vorgesetzten, nach kleinen Vorteilen. Und den Glauben, wenn man winzige Nischen für Bockigkeit oder für das Unterlaufen einzelner Vorschriften findet, ist man schon ein Individuum.

Der BDP konstatiert, dass die »streng hierarchischen Organisationen mit Gewaltmonopol« vor allem auf Menschen anziehend wirken, deren Charakter schon autoritär strukturiert ist...
...was wiederum ein autoritäres Organisationsklima strukturiert. Menschen, die beim Gedanken an Unterwerfung und Anpassung ein Unbehagen haben, gehen wohl kaum gern zur Bundeswehr. Etwa die Hälfte des männlichen Jahrgangs verweigert den Wehrdienst, von den Frauen geht nur ein Bruchteil zur Armee. Man darf aber auch nicht vergessen, dass ein immer wichtigeres Motiv von Rekruten und Zeitsoldaten die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist.

Ein Teufelskreis. Gibt es einen Ausweg?
Gestärkt werden sollte, was in den 70er Jahren »Innere Führung« hieß, also demokratische Verfahren, etwa bei offenen gemeinsamen Zielvereinbarungen und Beurteilungen der eigenen Arbeit.

So eine Art Unternehmensberatung als Barriere gegen braunen Einstellungen?
Warum nicht? Instrumente zur Organisationsentwicklung aus Unternehmen und Behörden lassen sich Erfolg versprechend übertragen. Vorstellbar wäre zum Beispiel die anonyme Ermittlung der Mitarbeiterzufriedenheit oder die Beurteilung der eigenen Vorgesetzten, Qualitätszirkel, Gesundheitszirkel, Best Practices, da ist an vieles zu denken. Doch im Augenblick hält der Staat als Arbeitgeber noch nicht einmal seine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Mitarbeitern ein. In psychologischen Stichprobenerhebungen schleppen 20 bis 30 Prozent der Polizisten chronisch gewordene Extremtraumata mit sich herum.

Frauen, besagt ein Vorurteil, seien friedlicher als Männer. Könnte sich das Problem rechter, autoritärer Denkstrukturen in den Armeen mit dem Eintritt von Frauen mittelfristig von selbst erledigen?
Ich glaube, dass Frauen die bestehende militärische Kultur in verdienstvoller Weise verstören, weil sie die Selbstverständlichkeit von Normen und Werten durchbrechen. Aber auch wer schon einmal als Trainer vor einem Kurs von jungen Polizisten mit oder ohne Frauen gestanden hat, wird den Unterschied erkennen.
Allerdings sind Geschlechter nicht Chromosomen plus Hormone plus Zipfelchen, sondern psychosoziale Selbstbilder, die von kulturellen Diskursen geprägt und rechtlichen und ökonomischen Machtverhältnissen unterworfen sind. Deshalb besteht ein Zusammenhang von Gewaltbereitschaft in Konflikten und dem Konstrukt Männlichkeit. Da gibt es einige Stereotypen - stumm und einsam seinen Weg gehen, sich erfolgreich in Konkurrenz gegen andere durchsetzen, hart und erbarmungslos mit sich selbst umgehen, Gefühle heldenhaft unterdrücken: Der Zigaretten-Cowboy eben.ND: Nach der Zustimmung des Bundeswehrgenerals Reinhard Günzel zu den antisemitischen Äußerungen des Noch-CDUlers Martin Hohmann diskutiert die Öffentlichkeit einmal mehr über politische Einstellungen in Armee und Polizei. Gibt es bei den »bewaffneten Staatsorganen« einen besonderen Nährboden für rechtes Denken?
Kliche: In den meisten Ländern Europas haben rechtsextreme und antisemitische Haltungen ein Sympathiepotenzial von sechs bis 18 Prozent. Bei der jüngeren Generation ist es seit 1990 eher gewachsen. Es wäre ein kleines Wunder, wenn Staatsorgane sich davon völlig freihalten könnten. Die Probleme entstehen, weil solche rechten und autoritären Neigungen da, wo sie erkannt werden, ganz schnell unter dem Teppich verschwinden.

Damit im Glied Ruhe herrscht?
Das kollektive Unter-den-Teppich-kehren ist ein wesentliches Merkmal von Korpsgeist. Die Arbeit fordert, dass man sich aufeinander verlassen kann. So wächst der soziale Zusammenhalt einer Gruppe, die sich als überlegen ansieht und sich gegen andere, Fremde, Gegner abgrenzt, sie sogar bekämpft. Die Mitglieder der bewaffneten Staatsorgane haben ein positives Verhältnis zu Stärke, Durchsetzung ist ihr Job. Und Gewalt ist in diesen Bereichen ein selbstverständlicher Berufsaspekt.

Auf welche Weise beeinflusst der Armeedienst das Weltbild der Rekruten?
Sie haben in einer so genannten totalen Institution gesteckt, die die gesamte Lebensführung bestimmt. Auch wenn sie nie auf einen Menschen geschossen haben, haben sie sich dort an ein paar Dinge gewöhnt, die nicht gerade die Zivilgesellschaft voranbringen: fremdbestimmten Tagesablauf, Anpassung an ein Gruppenklima, Abhängen und Drückebergerei vor erkennbar sinnlosen Aufgaben, das ständige Schielen nach Vorgesetzten, nach kleinen Vorteilen. Und den Glauben, wenn man winzige Nischen für Bockigkeit oder für das Unterlaufen einzelner Vorschriften findet, ist man schon ein Individuum.

Der BDP konstatiert, dass die »streng hierarchischen Organisationen mit Gewaltmonopol« vor allem auf Menschen anziehend wirken, deren Charakter schon autoritär strukturiert ist...
...was wiederum ein autoritäres Organisationsklima strukturiert. Menschen, die beim Gedanken an Unterwerfung und Anpassung ein Unbehagen haben, gehen wohl kaum gern zur Bundeswehr. Etwa die Hälfte des männlichen Jahrgangs verweigert den Wehrdienst, von den Frauen geht nur ein Bruchteil zur Armee. Man darf aber auch nicht vergessen, dass ein immer wichtigeres Motiv von Rekruten und Zeitsoldaten die Lage auf dem Arbeitsmarkt ist.

Ein Teufelskreis. Gibt es einen Ausweg?
Gestärkt werden sollte, was in den 70er Jahren »Innere Führung« hieß, also demokratische Verfahren, etwa bei offenen gemeinsamen Zielvereinbarungen und Beurteilungen der eigenen Arbeit.

So eine Art Unternehmensberatung als Barriere gegen braunen Einstellungen?
Warum nicht? Instrumente zur Organisationsentwicklung aus Unternehmen und Behörden lassen sich Erfolg versprechend übertragen. Vorstellbar wäre zum Beispiel die anonyme Ermittlung der Mitarbeiterzufriedenheit oder die Beurteilung der eigenen Vorgesetzten, Qualitätszirkel, Gesundheitszirkel, Best Practices, da ist an vieles zu denken. Doch im Augenblick hält der Staat als Arbeitgeber noch nicht einmal seine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Mitarbeitern ein. In psychologischen Stichprobenerhebungen schleppen 20 bis 30 Prozent der Polizisten chronisch gewordene Extremtraumata mit sich herum.

Frauen, besagt ein Vorurteil, seien friedlicher als Männer. Könnte sich das Problem rechter, autoritärer Denkstrukturen in den Armeen mit dem Eintritt von Frauen mittelfristig von selbst erledigen?
Ich glaube, dass Frauen die bestehende militärische Kultur in verdienstvoller Weise verstören, weil sie die Selbstverständlichkeit von Normen und Werten durchbrechen. Aber auch wer schon einmal als Trainer vor einem Kurs von jungen Polizisten mit oder ohne Frauen gestanden hat, wird den Unterschied erkennen.
Allerdings sind Geschlechter nicht Chromosomen plus Hormone plus Zipfelchen, sondern psychosoziale Selbstbilder, die von kulturellen Diskursen geprägt und rechtlichen und ökonomischen Machtverhältnissen unterworfen sind. Deshalb besteht ein Zusammenhang von Gewaltbereitschaft in Konflikten und dem Konstrukt Männlichkeit. Da gibt es einige Stereotypen - stumm und einsam seinen Weg gehen, sich erfolgreich in Konkurrenz gegen andere durchsetzen, hart und erbarmungslos mit sich selbst umgehen, Gefühle heldenhaft unterdrücken: Der Zigaretten-Cowboy eben.

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