Die große Irak-Lüge

Bush, Blair und Saddams-Bombe - der Krieg gegen Bagdad begann mit einem Bluff

In den USA haben die Weißwäscher Hochkonjunktur. Fast täglich kann man hören, wie gut die Geheimdienste vor dem Irak-Krieg gearbeitet haben. Alles Lüge, beweist eine TV-Dokumentation.

Gerade hat Stuart Cohen - Vizechef des Nationalen Geheimdienstrates (NIC), einer Gruppe ranghoher Schlapphüte, die CIA-Chef George Tenet beraten - noch einmal erklärt, alle Schlüsse über die Bedrohung durch Bagdader ABC-Waffen seien stimmig gewesen. In einem großen, 90-seitigen Bericht vom Oktober 2002, für den Cohen die Oberaufsicht hatte, hieß es schwarz auf weiß: Irak besitzt chemische und biologische Waffen. Und an Atomwaffen habe Saddam Hussein auch arbeiten lassen. Auf der Homepage der CIA konnte man allerdings auch lesen, dass das lediglich eine Analyse gewesen sei, keine Empfehlung loszuschlagen. Für Andy Card, Stabschef des Weißen Hauses, ist die Debatte über die irakischen Massenvernichtungswaffen überhaupt ein »müßiger Streit«, wie er jetzt erklärte. Für Johannes Hano und Thomas Reichart aber geht es hier um die »große Lüge«, so der Titel ihrer Dokumentation, die gestern zu später Stunde im ZDF lief. Ihr Blick hinter die Kulissen entlarvt, wie die Falken im Weißen Haus den Krieg gegen Irak mit allen Mitteln legitimieren wollten und dabei auch vor plumpen Fälschungen nicht zurückschreckten. Wochenlang hatte sich Jacques Baute, Leiter der Irak-Mission der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO), bei den US-Amerikanern und Briten um jene geheimnisvollen Briefe bemüht, die beweisen sollten, dass Saddam Hussein an der Atombombe baut. Immer wieder behaupteten USA-Präsident George Bush und der britische Premier Tony Blair, Irak habe sich Uran in Afrika gekauft. »Wir sind ihnen richtig auf die Nerven gegangen«, so Baute. Doch erst kurz vor Beginn des Irak-Krieges kam der Anruf: »Wir haben was für Sie, die Niger-Dokumente.« Der Umschlag trug keinen Absender. Niemand wusste, wer ihn in das Büro der UN-Waffeninspektoren in New York gelegt hat. Doch als Baute die Dokumente untersuchte, fielen ihm immer mehr Fehler auf. Hano und Reichart sind ihrer Spur gefolgt, haben mit Botschafter Joseph Wilson gesprochen, den die CIA auf eine Sondermission nach Afrika schickte, mit Greg Thielmann, einst Geheimdienstdirektor in Powells Außenministerium. Schließlich waren sie in den Minen, aus denen das Uran angeblich kommen sollte. Nur werden die von den Franzosen kontrolliert. Und die können beweisen: Es gab keine Lieferung. Auch Nigers Staatspräsident Tandja Mamadou und Ex-Außenminister Allele Elhadj Habibou, den man mit neuem Text und Datum in einem alten Brief zum Kronzeugen des Uran-Deals machen wollte, belegen, was den Experten um UN-Chefinspektor Hans Blix und IAEO-Chef Mohamed ElBaradei bald klar war: Die Geschichte ist erstunken und erlogen. Das hätte man auch im Weißen Haus wissen können. Anfang Juli bezweifelte Wilson in der »New York Times« öffentlich, was er zuvor seiner Regierung mitgeteilt hat: Irak war nicht auf Einkaufstour für angereichertes Uran oder gar Plutonium - der wichtigste »Beweis« für Saddams Atombombe, die nur durch einen Krieg gegen ihn abgewendet werden könne, war Makulatur. Doch trotz dieser Insider-Enthüllung hielten Bush und Blair an dem Niger-Märchen für ihre Kriegslegitimierung fest. Für den regierungskritischen Wilson hatte die Angelegenheit noch ein Nachspiel: Mitarbeiter des Weißen Hauses - allen voran Bushs Top-Berater Karl Rove - sollen über gekaufte Journalisten seine Frau, eine verdeckt arbeitende CIA-Agentin mit dem Spezialgebiet Massenvernichtungswaffen, aus Rache enttarnt haben. Ende der Karriere. Greg Thielmann, bis September im State Department, berichtet, dass man den Außenminister bereits im Vorjahr davor gewarnt habe, »dass diese Geschichte nicht glaubwürdig ist«. Washington war also genauestens darüber informiert, dass Saddam keine nukleare Bedrohung darstellte. Doch erst zwei Monate nach Kriegsende gab man verschämt zu, dass der große Kriegsgrund falsch war; so wie der Fall Kelly Blairs Behauptung als Lüge entlarvte, Irak könne innerhalb von 45 Minuten ABC-Waffen gegen andere Staaten einsetzen. Andy Card zumindest versucht der Öffentlichkeit nicht mehr weiszumachen, man werde im Zweistromland noch große Mengen ABC-Waffen finden - im Gegensatz zu anderen Mitgliedern der USA-Regierung. In der Praxis aber hat für Washington in Irak längst die Jagd nach Aufständischen die größere Priorität. Die Zahl jener, die nach Massenvernichtungswaffen suchen, schrumpft. Dutzende Geheimdienstexperten und Übersetzer, die bisher den unauffindbaren Bio- und Chemiewaffen auf der Spur waren, wurden jetzt »umgepolt«, wie die »New York Times« berichtete. Mit der Fahndung nach Massenvernichtungswaffen waren bisher rund 1400 Spezialisten unter Führung des früheren UN-Waffeninspekteurs David Kay beauftragt. Im UN-Sicherheitsrat werden derweil die Forderungen an die USA und Großbritannien immer lauter, über diese Suche besser zu informieren und bislang geheim gehaltene Teile eines Expertenberichtes zugänglich zu machen. Frankreich und Russland verlangten in dieser Woche, den Repor...

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