Seid bereit! Immer bereit!

Vor 55 Jahren wurde die Pionierorganisation gegründet

  • Michael Herms
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.
Alle Jahre wieder: Am 13. Dezember war Pioniergeburtstag. Da wurde man entweder als Jungpionier aufgenommen oder zum Thälmann-Pionier befördert, da gab es Lieder vom Schulchor und Gedichte, geselliges Beisammensein mit Fassbrause und Selbstgebackenem. Da tanzten wir den Pionier-Boogie, sangen »Pionier zu sein fetzt ein« oder »Ham Se nich noch Altpapier...« Jährlich wurde auf diese Weise in der DDR an die offizielle Geburtsstunde des Verbandes der Jungen Pioniere am Jahresende 1948 erinnert. Dessen Gründung voraus gegangen war seit dem Herbst 1945 die Arbeit zahlreicher lokaler Kindergruppen und ihr Bemühen, den durch die Kriegsereignisse geschädigten Kindern wenigstens ein paar schöne Stunden im kollektiven Beisammensein zu bereiten. So geschehen etwa im Sommer 1946, als unter großen Anstrengungen rund eine halbe Million Kinder im Rahmen einer Aktion »Der Sommer für die Kinder« schöne Ferienerlebnisse genossen. Natürlich lag auch in der Sowjetischen Besatzungszone die administrative Verantwortung für die Arbeit mit Kindern in den Händen staatlicher Stellen, bei der Volksbildung, in den Jugendämtern usw. Dennoch strebte die im März 1946 gegründete Freie Deutsche Jugend schon bald eine eigene Kinderorganisation an, befürchtete sie doch auch auf diesem Gebiet das Entstehen einer unerwünschten Konkurrenz in Gestalt kirchlicher oder sich revitalisierender sozialdemokratischer Arbeit mit den Kindern. Im September 1946 fasste die FDJ erstmals ihre Kindergruppenleiter zu einer Tagung zusammen, Ende April 1947 verabschiedete eine zweite Konferenz Grundlagen für die »Kindervereinigung der FDJ«. Einen maßgeblichen Anteil an deren Wirken hatte Fridl Lewin. Schon 1946 übertrug Erich Honecker der aus der sozialdemokratischen Jugendarbeit stammenden Berlinerin die Verantwortung für die Kinderarbeit der FDJ. Lewin wirkte mit respektablem Erfolg. Unter ihrer Leitung stand in der nach Wohngebieten organisierten Kinderarbeit das Spielerische im Mittelpunkt; man verzichtete auf eine vordergründige Betonung eines politischen Anspruchs. 1948 zählte die Vereinigung bereits 180000 Kinder in ihren Reihen. Der Unterstützung der Sowjetischen Militäradministration, staatlicher Organe und gesellschaftlicher Organisationen gewiss, organisierte die Kindervereinigung in den Sommern 1947 und 1948 für Tausende Kinder Ferienlager. Nach Überwindung einer tiefen politischen und finanziellen Krise im Herbst 1948 beschloss die FDJ am 11./12. Dezember 1948, den Verband der Jungen Pioniere zu gründen. Eigens dafür wurde eine Zentralratstagung in der Berliner Kronenstraße um einen Tag verlängert, so dass Kinderkulturgruppen den offiziellen Gründungsakt bereichern konnten. Mit dem neuen Verband knüpfte die FDJ an die kommunistische Kinderbewegung der 20er Jahre an, wo eine nach sowjetischem Vorbild aufgebaute Pionierorganisation unter Führung des KJVD agiert hatte. Der Verband der Jungen Pioniere erfuhr eine große politische und materielle Unterstützung. Kraft administrativer Regelungen konnte er konkurrenzlos an den Schulen wirken, die FDJ stellte die Pionierleiter, im Verlag Junge Welt erschien eine eigene Zeitung: »Der Junge Pionier«. Mitte 1949 zählte der Verband bereits eine halbe Million Kinder. Der zu dieser Zeit erfolgte Wachwechsel an der Verbandsspitze - der bisherigen Vorsitzenden Fridl Lewin folgte die 16 Jahre jüngere Margot Feist - ging über das Anliegen einer personellen Verjüngung hinaus, bot doch die neue Vorsitzende eher die Gewähr für die gewünschte sozialistische Ausprägung der Kinderorganisation. Im Sommer 1949 studierte eine erste Pionierleiterdelegation unter Leitung von Margot Feist die sowjetische Pionierarbeit vor Ort, im Dezember 1949 forderte sie ein engeres Zusammenwirken zwischen Schulen und der Pionierorganisation bei der staatsbürgerlichen Erziehung und eine zielgerichtete Aus- und Weiterbildung der Pionierleiter. Zu deren Handlungsanleitung erschien kurz danach die Monatszeitung »Der Pionierleiter«. Im Gefolge des ersten Jugendgesetzes der DDR erhielt der Pionierverband eine Reihe beachtlicher Möglichkeiten für eine populäre Freizeitgestaltung. Es entstanden Pionierhäuser, noch mehr Pionierferienlager, ein lukrativer Pionierpark in der Wuhlheide mit einer heute noch immer unter Dampf stehenden Pionier-Eisenbahn und am Werbellinsee sogar eine ganze »Pionierrepublik« namens »Wilhelm Pieck«. Darüber hinaus erhielt ein Traktor den Namen »Pionier«, und in Rostock wurde ein Schiff auf den Namen »Thälmann-Pionier« getauft und der Pionierarbeit zur Verfügung gestellt. Parallel zu dieser enormen materiell-technischen Ausstattung durchlief der Verband einen Politisierungs- und Ideologisierungsprozess. Atheistische Propaganda und zeitweise sogar Züge eines offenen Kirchenkampfs ließen manche Eltern ihren Kindern die Zustimmung zum Mitmachen bei den Pionieren versagen. Dennoch entwickelte sich der Verband zu einer Millionenorganisation. In Vorbereitung des »Deutschlandtreffens der Jugend« erging 1950 erstmals ein zentraler »Pionierauftrag an Alle«, ein später jährlich wiederkehrendes Ritual zu Beginn jedes Schuljahrs. Die Pioniere wurden zu guten Leistungen in der Schule aufgerufen und zu Mithelfern beim Aufbau des Sozialismus erklärt, ganz im Sinne des äußerst populären sowjetischen Kinderbuchhelden »Timur und sein Trupp« bzw. des zum obersten Vorbild erklärten Ernst Thälmann, dessen Namen der Verband gelegentlich des 1. Pioniertreffens im August 1952 in Dresden erhielt. Von nun an gab es ein »Gelöbnis der Jungen Pioniere« und, in Anlehnung an eine andere Tradition, »Zehn Gebote«, nach denen die Pioniere leben und handeln sollten. Später unterschied man die Mitglieder zwischen 6 und 14 Jahren nach Jung- und Thälmann-Pionieren, und letztere bekamen seit Anfang der 70er Jahre statt des blauen nun ein rotes Halstuch. Im letzten Jahr bereiteten sich die »Thälmann-Pioniere« auf die Aufnahme in die FDJ vor, ein Schritt, den nicht jeder Pionier mehr mitgehen wollte. Wohl kaum ein ehemaliger Pionier wird heute in der Lage sein, die zehn Pioniergebote aufzuzählen, und dennoch bleibt die als Pionier durchlebte Zeit Teil der kollektiven Erinnerung von einem Fünftel der heute erwachsenen Deutschen. Zum Gründungsjubiläum erschien ein neues Buch: »Beim kleinen Trompeter habe ich immer geweint. Kindheit in der DDR - Erinnerungen an die Jungen Pioniere« (Lukas Verlag, 375S., geb., 19,89); die Autorin Barbara Felsmann stellt es am heutigen Sonnabend 20 Uhr in der Segenskirche in B...

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