Wer bist du hinter der Maske?

Das Potsdamer Filmmuseum zeigt Fotos von Günter Linke

Was für eine Schönheit! Das Porträt der erst fünfzehnjährigen Nina Hagen, aufgenommen 1970, bestechend durch seine geheimnisvolle Makellosigkeit. Ein Talent ist ahnbar, aber nicht ausgeprägt. Es fehlt jegliche Koketterie mit der Kamera oder dem Mann dahinter. Zwischen dieser Aufnahme und jener, auf der Regisseur Heiner Carow zu sehen ist, liegen zwanzig Jahre. Carow, porträtiert nach seinem Film »Coming Out«, der in der Endphase der DDR entstand. Der Regisseur befindet sich auf dem Gipfel des Erfolgs, weiß aber um den Preis menschlicher Kämpfe und Niederlagen. Wer kann sich seinem skeptischen Blick entziehen, will es überhaupt? Es ist nicht nur der geöffnete Blouson, der ungewöhnlich ist für die Zeit. Ungewöhnlich auch die Herausforderung der Augen und die Resignation, die sich darin spiegelt. Solche Aufnahmen entstehen nicht in der Lobby eines Hotels. Sie sind nicht möglich im Blitzlichtgewitter anderer Konkurrenten. Da ist Ruhe vonnöten, Nähe, Vertrauen zwischen dem vor und dem hinter der Kamera. Günter Linke hat sie hergestellt. Er hat einige Jahre dazu gebraucht. Er hat erst im Laufe der Zeit herausgefunden, was seine Sache ist: »Ganz und gar das Porträt«, sagt er heute. Mehr als zwanzig Jahre »Fotograf« des »Filmspiegels« - und das Ende der Zeitschrift ebenso bedauernd wie jene Leser, die Anspruch und Unterhaltung dieses Filmjournals vermissen - verfügte er am Ende der DEFA über ein Erbe, das niemand wollte. Selbst Büchermacher, die ostdeutsche Filmgeschichte aufarbeiteten und es besser wissen sollten, ignorierten es. Dabei sind Schauspielerporträts in verschiedenen Lebensaltern darunter, Arbeits- und Szenenfotos von allen DEFA- Produktionen nach 1968, internationale Stars, aufgenommen während der Festivals in Leipzig, Karlovy Vary und Moskau. Günter Linke hatte, wie er heute weiß, den Status eines Königs. Er war so gut wie konkurrenzlos in der DDR, ein »weißer Rabe« auch auf fremdem Parkett. Leute waren auf den »ostdeutschen Fotografen« ebenso neugierig wie er auf sie. Man wusste, dass er sie nicht bloßstellen würde. Auf diese Weise kam das Filmmuseum Potsdam vor drei Jahren zu einem Schatz mit 160000 Negativen und 25000 Abzügen von Fotos eines Filmspiegelarchivs, den aufzuarbeiten noch einige Monate in Anspruch nehmen wird. Ausgestellt werden zur Zeit und noch bis zum Januar 25 Porträts, ergänzt durch in Vitrinen ausliegende Filmspiegeltitel und persönliche Dinge, einschließlich eines Stasi-Berichts über Linke. Günter Linke wurde noch vor Kriegsende in Lodz geboren, wo sein Vater eine Strickmaschinenfabrik besessen hatte. Das war ein Makel, gegen den sich Günter Linke in der DDR stets zur Wehr setzen musste. Ursprünglich dem Journalismus zugetan, aber schnell durch ein Volontariat bei einem Blatt »geheilt«, das die christliche Bindung im Titel führte, nahm er - ihm und uns zum Glück - ein Studium an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst auf, finanzierte sein Studium durch Fotografie und blieb dem »Filmspiegel« auch deshalb verbunden, weil frühe Freunde ihn trugen. Gefordert durch ein vielgefächertes Aufgabengebiet, das von der Ereignisberichterstattung bis zum Titelfoto reichte, konnte er sich ausprobieren. Der Hausherr hat über der Garage eigenhändig sein Atelier aufgebaut. Da ist so manch namhafter Schauspieler - auch die aus dem Westen - gern die Treppen hinaufgestiegen, um vor der Leinwand Platz zu nehmen. Mit Fotos von Linke kam man bei den Werbeagenturen gut an. Diese Begegnungen beginnen gewöhnlich mit einer Tasse Tee. Aber das Gespräch wird von dem Wunsch bestimmt, herauszukriegen: »Wer bist du denn hinter der Fassade und wie geht es dir wirklich?« Günter Linke, der sich selbst als heiteren Melancholiker bezeichnet, gibt zu, immer im anderen etwas zu suchen, was ihm auch über das eigene Ich Aufschluss gibt. Manchmal wird der Wunsch erfüllt, manchmal entzieht sich der Gast. Wenn Günter Linke sich erinnert, grinst er ein wenig, so dass seine Nase winzige Fältchen bilde...

Wenn Sie ein Abo haben, loggen Sie sich ein:

Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.

Bitte aktivieren Sie Cookies, um sich einloggen zu können.