Bulgarien - ein Reich der Tankstellen

Spielplätze und Grünflächen müssen allerorts zahlreichen Zapfsäulen weichen

  • Peter Botschukow, Sofia
  • Lesedauer: ca. 2.0 Min.
Die Bewohner von zwei Wohnvierteln der bulgarischen Hauptstadt Sofia blockierten jetzt - wie schon oft in der letzten Zeit - mal wieder eine der Hauptverkehrsadern der Stadt: den Boulevard »Bulgaria«. Seit zwei Wochen protestieren sie gegen den bereits begonnenen Bau einer Tankstalle auf einer größeren Grünfläche. Bis vor kurzem war diese Grünfläche ein Spielplatz auf einer »grünen Oase« für die Großstadtkinder. Sehr bald jedoch wird sich darauf die nächste Tankstelle befinden. Und das bulgarische Sprichwort »Was kümmert es den Mond, dass die Hunde bellen« wird wieder einmal durch die heutige bulgarische Realität bestätigt werden. Denn der Bürgerprotest wird aller Wahrscheinlichkeit auch diesen Bau nicht stoppen. So wie Dutzende derartige Proteste während der letzten Jahre dem Bau von Tankstellen an nahezu jeder Ecke Sofias nicht stoppen konnten. Das Schicksal hat die Bulgaren ohne große Vorräte an wichtigen Bodenschätzen gelassen. Es gibt es weder Erdöl noch Erdgas. Aber es gibt unterdessen Tankstellen im Überfluss. Wahrscheinlich flächenmäßig viel mehr als in jedem der an Erdöl steinreichen Emirate am Persischen Golf. Allein in Sofia kann man derzeit sein Fahrzeug an 242 Tankstellen auffüllen. Derzeit werden weitere 45 Tankstellen erbaut und für zehn wird die Erlaubnis der Stadtregierung erwartet. »Shell«, »Lukoil«, »OMV« und »Petrol« sind die meistverbreiteten Reklameschriften auf den Straßen der Hauptstadt. Aber Sofia ist absolut keine Ausnahme. In der alten bulgarischen Hauptstadt Veliko Tarnovo zum Beispiel wurden auf einem Abschnitt von fünf Kilometern auf dem Weg von Sofia nach Varna ans Schwarze Meer dreiundzwanzig Tankstellen gebaut. Manche davon sind im Abstand von nur rund hundert Metern voneinander errichtet worden. Die Bewohner der Stadt nennen diesen Wegabschnitt »Die Straße der Scheiche«. Vor einigen Monaten protestierten die Bewohner von Veliko Tarnovo, deren Häuser in unmittelbarer Nähe der Erdöltanks liegen, gegen den unkontrollierten Tankstellenbau. Ihr Protest hat allerdings nicht die geringste Wirkung gegen die »Kraftstoffexpansion« gezeigt. Die Antwort der Regierenden ist immer die gleiche: »Das sind Objekte, die Geld in die Gemeindekasse bringen«. So ist es in nahezu allen bulgarischen Städten. In der Regel werden die gesetzwidrig errichteten Tankstellen schnell legalisiert, trotz der strengen Gesetzesanforderungen. Zahlreiche Faktoren bestimmen das verstärkte Interesse am Bau solcher Objekte. An erster Stelle ist die unbestreitbar angewachsene Anzahl der Fahrzeuge. In den vergangenen zwölf Jahren wurden mehr als eine Million Altwagen aus Westeuropa, hauptsächlich aus Deutschland, in Bulgarien eingeführt. Ein anderer Grund ist der Umstand, dass der Brennstoffhandel Gewinn bringend ist. Von Bedeutung ist auch die geographische Lage des Landes. Bulgarien ist Transitweg und Verbindungsglied zwischen dem Osten und dem Westen. Leider geht diese Brennstoffexpansion zu Lasten einer sauberen Umwelt in den Großstädten und steht keinesfalls im Einklang mit der jetzigen allgemeinen wirtschaftlichen Lage des Landes. Denn bei den Einkommensver...

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