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Der Alltag war nicht grau

Ostzonenmeister, Vereinsumzüge, Millionentransfers - im Nachhinein erscheint die Liga schillernd

Kennen Sie Gotthard Zölfl? Den begnadeten Stürmer des FC Karl-Marx-Stadt, der 1970 drei Tore schoss, beim 4:0-Sieg über England im UEFA-Juniorenturnier, so dass ihm die englischen Spieler - gentlemanlike - nach dem Abpfiff im Spalier applaudierten? Der bald darauf wegen »grober Disziplinverstöße« aus der FCK-Oberliga-Mannschaft geworfen wurde und nie mehr in die Fußball-Oberliga zurückkam? Wussten Sie, dass der PDS-Ehrenvorsitzende Hans Modrow zu den Gründungsmitgliedern des 1. FC Union Berlin gehört? Als 1. Sekretär der SED-Kreisleitung Berlin-Köpenick? Wie aus der Dresdener Dynamo-Mannschaft plötzlich der SC Dynamo Berlin wurde? 1954, per Marschbefehl in Richtung Hauptstadt? Dass es in der DDR-Oberliga Millionentransfers gab, als Heiko Scholz 1990 für eine Million D-Mark vom VfB Leipzig zu Dynamo Dresden wechselte? Mehr als zwölf Jahre sind vergangen, seit die DDR-Oberliga 1991 als NOFV-Oberliga zum letzten Mal aufspielte; bis auf wenige Ausnahmen sind die meisten Klubs mittlerweile in den Niederungen des bundesdeutschen Fußballs, in Regional-, Ober- und Landesligen, versunken oder haben aufgehört zu existieren. Dieser Tage nun erschien das große Buch des Ost-Fußballs, das eben jene Geschichten noch einmal erzählt: »Die Geschichte der DDR-Oberliga« von Andreas Baingo und Michael Horn. Ein kiloschwerer Wälzer im Großformat, auf feinem Papier gedruckt, der mit vielen seltenen Fotos einen detaillierten Einblick in jede der 43 Spielzeiten gibt: Beginnend mit der ersten, von der FDJ ins Leben gerufenen Ostzonen-Meisterschaft 1948, die die SG Planitz aus Sachsen im Finale vor 40000 Zuschauern in Leipzig gegen SG Freiimfelde Halle 1:0 gewann, bis hin zur abschließenden Saison 1990/1991, in der sich Hansa Rostock und Dynamo Dresden für die erste Bundesliga qualifizieren konnten. Dresden ist inzwischen drittklassig, Rostock kämpft tapfer in der deutschen Eliteliga. Dass es heute keinen Bundesligisten FC Hansa Rostock gäbe, wenn nicht im Frühherbst 1954 der 27-jährige Rostocker Harry Tisch, später FDGB-Vorsitzender, auf die Idee gekommen wäre, die Fußball-Diaspora »Bezirk Rostock« auf dem Dienstwege mit einer Oberliga-Mannschaft zu bestücken, wissen sicher nicht mehr so viele der heutigen Fans. Wie der fußballversessene Gewerkschafter die komplette Mannschaft von Empor Lauter aus dem Erzgebirge an die Küste verpflanzte, wird in einer der »Saison-Geschichten« des Buches erzählt. Immerhin 17000 Zuschauer kamen ins damals neuerbaute Ostseestadion zum Oberliga-Debüt von Empor Rostock. Das Ostseestadion ist mittlerweile nochmals neuerbaut worden, dennoch hat Hansa Rostock heute selten mehr Zuschauer. Die Autoren haben sich bemüht, dem Leser einen Blick hinter die Kulissen der höchsten DDR-Spielklasse zu ermöglichen. Bei ihrer fast ein Jahr währenden Recherche sind sie fündig geworden: Skandale und Skandälchen hat der frühere FuWo-Redakteur Andreas Baingo, jetzt Berliner Kurier, zu fast jeder Saison zu erzählen, so dass die brave Oberliga im Nachhinein weitaus schillernder erscheint, als während ihres Bestehens. Nicht immer sind die Quellen dieses Insider-Wissens klar nachzuvollziehen, unterhaltsam sind die Storys allemal. Zumal damit wohl auch dringende Leserinteressen befriedigt werden sollen: In Zeiten, in denen »heimliche« Affären der Nationalspieler Titelseiten füllen, soll man doch wenigstens im Nachhinein ein wenig Hintergründiges über den manchmal grauen Alltag in der DDR-Oberliga erfahren. Die häufig streng auf das sportliche Geschehen zugeschnittene Berichterstattung in Zeitungen wie dieser oder der »Sport aktuell«-Sendung des Fernsehens der DDR hinterließ oft unbeantwortete Fragen, erst recht, wenn man die Oberligaspiele im Stadion miterlebt hatte: Wichtig war auf m Platz - Stars und Helden der Oberliga entstanden vor Ort, nicht in den Medien. »Moppel« Schröter, Peter Ducke, »Dixie« Dörner, Andreas Thom - diese Größen sind geläufig. Ein großer Verdienst dieses DDR-Fußball-Almanachs besteht auch in der Bewahrung der heute weniger geläufigen Namen. Wie zu Beispiel Gottha...

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