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  • Politik
  • Mordfall Sandro Beyer ab heute in Mühlhausen vor Gericht

War es ein Ritualverbrechen?

  • Reim Ar Pau
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Landgericht im thüringischen Mühlhausen erlebt am heutigen Montag einen bislang nicht bekannten Medienrummel. Bis Ende vergangener Woche hatten sich mehr als 30 Kamerateams und Journalisten angekündigt - um doch draußen vor der Tür zu bleiben. Denn bei dem von der Boulevard-Presse als „Teufels“- oder „Satans-Prozeß“ bezeichneten Strafverfahren ist die Öffentlichkeit im Interesse der minderjährigen Angeklagten ausgeschlossen worden.

Vor der 3. Großen Strafkammer müssen sich drei 17jährige aus Sondershausen verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft Sebastian S., Hendrik M. und Andreas K. gemeinschaftlichen Mord vor: Sie sollen am 29. April letzten Jahres ihren Mitschüler Sandro Beyer mit einem Kabel erdrosselt haben. Der Anklage-

schrift zufolge mußte der 15 Jahre alte Sandro Beyer sterben, weil er sich „zu den Einstellungen“ der Täter „negativ geäußert“ hatte.

Eben diese Einstellungen aber sorgen für soviel öffentliches Aufsehen: Die drei aus gutsituierten Elternhäusern stammenden Gymnasiasten -Hendriks Vater ist sogar CDU-Landtagsabgeordneter sind Satans-Anhänger. Schon kurz nach der Wende, das berichten Nachbarn, hatten sich Sondershäuser Jugendliche regelmäßig zu „Schwarzen Messen“ auf dem örtlichen Friedhof getroffen. Hatten „Black-Metal“-Musik gehört, Video-Kassetten mit Horrorfilmen ausgetauscht, ihre Zimmer mit Teufelssymbolen und umgedrehten Kreuzen geschmückt. Als Guru der damals offenbar noch locker organisierten Truppe gilt der

1947 verstorbene englische Okkultist Aleister Crowley, nach dessen vertrackter Ideologie jeder von der satanischen Macht besessene Mensch diese Macht rücksichtslos - auch bis zum Mord - benutzen darf.

Später gründeten Sebastian, Hendrik und Andreas die Musikgruppe „Absurd“, 'die mit aggressiver Musik und blutrünstigen Texten in der Region auf Tournee ging und im städtischen Jugendhaus proben durfte. Immer noch eher belächelt oder ignoriert, schwadronierten die Jugendlichen im Interview mit einer Schülerzeitung und bei öffentlichen Diskussionsveranstaltungen über den „wünschenswerten Tod“ aller Lebewesen und ihr Bekenntnis als „überzeugte Satanisten“

Vergeblich bemühte sich der zwei Jahre jüngere Sandro um

Kontakt mit der Gruppe. Wohl wegen der dauernden Zurückweisungen brach Sandro um die Jahreswende 1992/93 mit den Satanisten. Und er begann - so jedenfalls haben es die Ermittlungsbehörden recherchiert - Videos und Briefe zu sammeln, die seine früheren Halb-Götter kompromittieren sollten. Die fühlten sich belästigt. Über einen fingierten Brief, den eine Mitschülerin überbrachte, sollen sie Sandro auf eine Waldlichtung gelockt und umgebracht haben.

Bei den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen legten Sebastian S., Hendrik M. und Andreas K. Teilgeständnisse ab. Ob und inwieweit es sich bei der Tat wirklich um einen Ritualmord gehandelt hat, wird das Verfahren zeigen müssen.

REIM AR PAUL

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