Ist Darwin widerlegt?

Indischer Nasenfrosch überlebte Dinosaurier und verwirrt Biologen

Schon im 18. Jahrhundert war einigen Naturforschern aufgefallen, dass auf den ozeanischen Inseln keine Frösche, Kröten und Molche vorkommen. »Ich habe mich bemüht, diese Behauptung zu prüfen, und habe sie vollständig richtig befunden«, schrieb Charles Darwin 1859 in seinem Hauptwerk »Über die Entstehung der Arten«. Zwar gebe es Ausnahmen, Neuseeland etwa oder die Seychellen, doch seien die dort lebenden Amphibien entweder eingeschleppt worden oder über einst vorhandene Landbrücken zugewandert. Allein im salzigen Meerwasser würden die Tiere unweigerlich verenden. Für Darwin war dieser biogeographische Befund zugleich ein indirekter Beweis für die Idee der Evolution: Warum sollte Gott ausgerechnet auf den ozeanischen Inseln keine Frösche erschaffen haben? Fast 150 Jahre blieb Darwins Postulat unangetastet. Nun aber deutet ein neuer spektakulärer Fund darauf hin, dass Frösche die salzige Meeresbarriere doch überwinden können. Im südwestlichen Hochland Indiens, in den so genannten Westghats, haben Franky Bossuyt von der Freien Universität Brüssel und S. D. Biju vom Tropischen Botanischen Garten im südindischen Palode einen etwa sieben Zentimeter großen Frosch entdeckt, der auf den ersten Blick wie ein Geschöpf aus ferner Vergangenheit anmutet. Er ist dunkelviolett gefärbt, hat glatte Haut und eine spitze weißliche Nase, weswegen er auf den wissenschaftlichen Namen »Nasikabatrachus sahyadrensis« getauft wurde - nach dem Sanskrit-Ausdruck »Nasika« für Nase, »Batrachus« für Frosch und »Sahyadri« für die Westghats. Die Schwimmhäute an seinen Gliedmaßen sind nur rudimentär ausgebildet. Dafür besitzt er vergleichsweise kräftige Finger und Zehen, mit denen er sich ins lockere Erdreich wühlt und dort die längste Zeit des Jahres verbleibt. Wie die Wissenschaftler im britischen Fachblatt »Nature« (Bd. 425, S. 711) schreiben, unterscheide sich der indische Nasenfrosch »auffallend von allen anderen heute lebenden Fröschen«. In seinem Begleitkommentar spricht der Zoologe S. Blair Hedges von der Pennsylvania State University sogar von einem »Jahrhundertfund«, da zum ersten Mal seit 1926 die Entdeckung einer neuen Froschart zugleich eine neue Familie der Froschlurche begründe, die so genannten Nasikabatrachidae. Überraschend war auch das Ergebnis der molekulargenetischen Analyse. Denn danach leben die nächsten Verwandten des Nasenfrosches mehr als 3000 Kilometer entfernt auf der Inselgruppe der Seychellen, die nordöstlich von Madagaskar mitten im Indischen Ozean liegt. Bleibt die spannende Frage, wie Frösche überhaupt dorthin gelangen konnten. Haben sie entgegen dem Darwinschen Postulat gar das offene Meer überquert? Diese Deutung ist keineswegs zwingend, wenn man allein das Alter der indischen Froschfamilie bedenkt, das Bossuyt und Biju auf etwa 130 Millionen Jahre schätzen. Zu jener Zeit, der Blütezeit der Dinosaurier, vollzogen sich auf der Erde gewaltige geologische Veränderungen: Die indische Landmasse, zu der ursprünglich auch Madagaskar und die Seychellen gehörten, brach vom südlichen Urkontinent Gondwana ab, bewegte sich nordwärts und stieß vor etwa 55 Millionen Jahren mit dem asiatischen Festland zusammen. Auf dem Weg dorthin trennte sich Indien vor rund 90 Millionen Jahren von Madagaskar, und vor 65 Millionen Jahren von den Seychellen. Die Vorfahren des Nasenfrosches nutzten also den indischen Subkontinent als »biologische Fähre«, um nach Asien zu gelangen, wo von ihrem einst weit verzweigten Stammbaum offenbar nur eine Art übrig geblieben ist: Nasikabatrachus sahyadrensis. Auf den Seychellen hingegen entwickelte sich die vom indischen Kontinent abgeschnittene Population eigenständig weiter. Von dieser als Sooglossidae bezeichneten Froschfamilie leben heute noch vier Arten. Deren enge Verwandtschaft mit den indischen Nasenfröschen mache in überzeugender Weise deutlich, erklärt der Mainzer Amphibienforscher Stefan Lötters von der Deutschen Gesellschaft für Herpetologie, dass Indien und die Seychellen vor etwa 65 Millionen Jahren miteinander verbunden waren. Ein Problem allerdings bleibt: Aus der selben Epoche der Erdgeschichte wurden in Indien fossile Überreste von Tieren gefunden, die mit Echsen, Fröschen und Säugern aus Afrika verwandt sind. Das wiederum deutet darauf hin, dass vor etwa 65 Millionen Jahren zwischen Indien und Afrika, vermutlich im Bereich des heutigen Somalia, eine Landbrücke existierte. Wie aber kann es sein, fragt Hedges in »Nature«, dass die gegenwärtige indische Fauna für eine weitgehende Isolation des Subkontinents spricht, während Fossilienfunde auf eine Landbrücke schließen lassen? Seine Antwort: Die vermeintliche Landbrücke war lediglich eine Kette von Inseln, die es einigen Tierarten ermöglicht hat, sich in Indien und Afrika gleichermaßen auszubreiten. Andere Arten blieben hingegen isoliert. So gesehen hätte Darwin also Recht mit seiner Feststellung, dass Frösche das offene Meer nicht überwinden können. Doch es gibt noch einen weiteren strittigen Fall. Erst kürzlich hat ein Forscherteam um Miguel Vences vom Amsterdamer Institut für Biodiversität auf der Komoren-Insel Mayotte zwei bislang unbekannte Froscharten entdeckt und diese in den »Proceedings B« der Londoner Royal Society (Bd. 270, S. 2435) vergleichend beschrieben. Danach leben die nächsten Verwandten jener Mayotte-Frösche rund 300 Kilometer entfernt auf Madagaskar. Nur: Die Komoren standen zu keiner Zeit mit Madagaskar in Verbindung, sondern sind vor 10 bis 15 Millionen Jahren durch vulkanische Aktivitäten entstanden. Vielleicht wurden die Frösche ja auf dem Schiffsweg eingeschleppt? Auch diese Möglichkeit scheidet aus. Denn eine molekulargenetische Untersuchung hat ergeben, dass die Frösche auf Madagaskar und Mayotte seit etwa acht Millionen Jahren getrennte evolutionäre Wege gehen. Das heißt: Die Vorfahren der Mayotte-Frösche müssen schon vor Jahrmillionen das offene Meer überquert haben. Aber wie? Frei schwimmend taten sie es mit Sicherheit nicht, meint Vences, sie nutzten vermutlich Blätter oder Baumstämme als biologische Fähre. Somit wäre Darwin im Prinzip bestätigt: Frösche können die Salzwasserbarriere des Meeres ohne »fremde Hilfe« nicht überwinden. Im übrigen würde selbst der Beweis des Gegenteils die Grundaussagen der Evolutionstheorie in keiner Weise berühren, sondern bestenfalls zeigen, dass auch geniale Naturforscher K...

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