Fürs Bahnfahren zahlt das Sozialamt

Die Sozialsenatorin streitet für das Recht auf Mobilität und ein günstiges Ticket für Bedürftige

  • Lesedauer: 4 Min.
Heidi Knake-Werner ist seit Anfang 2002 Senatorin für den Bereich Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz. Seit 1990 gehört sie der PDS an.
ND: Der Senat hat die 17 Millionen Euro Zuschuss für das Sozialticket - die Berlin-Karte S - gestrichen, prompt kappte die BVG diese Leistung zum 1. Januar. Jetzt ist die Aufregung groß. Können Sie das verstehen?
Knake-Werner: Ja, natürlich. Ich habe allerdings den Eindruck, dass die meisten Berliner das neue Hundeticket viel mehr beunruhigt.

Von 260000 Sozialhilfeempfängern haben 80000 das S-Ticket genutzt. Wie erklärt sich die Differenz?
Das Ticket war ein Angebot. Berechtigt zu seinem Kauf waren alle, die Sozialhilfe - auch ergänzende - beziehen. Aber offensichtlich haben hauptsächlich diejenigen das Ticket genutzt, die berufstätig sind oder einen anderen großen Mobilitätsbedarf haben. Zudem sind unter den Sozialhilfeempfängern 90000 Minderjährige.

Gewerkschaften und Sozialverbände sehen durch den Wegfall des Tickets bei sozial Bedürftigen das Grundrecht auf Mobilität eingeschränkt.
Sozialhilfeempfänger können weiter mobil sein, aber es wird für einige komplizierter. Sie haben grundsätzlich einen Anspruch auf die Erstattung der Kosten für notwendige Fahrten. Erwerbstätige, die ergänzende Sozialhilfe bekommen, das sind etwa 11000 Personen, erhalten von ihrem Sozialamt die vollen Kosten für die Monatskarte erstattet. Ansonsten gilt weiter die Regel, dass monatlich 20,40 Euro - das entspricht bisher den Kosten für neun Einzelfahrten im Monat oder der Berlin-Karte S - für notwendige Fahrten selbst aufgewendet werden müssen. Es wird nun je nach Einzelfall durch das Sozialamt zu entscheiden sein, ob für weitere Fahrten die Differenz zu einer Monatskarte oder die Kosten einzelner Fahrscheine erstattet werden sollen. Insofern hat ein Teil von Sozialhilfeempfangenden wahrscheinlich mehr Laufereien - teurer wird es jedoch höchstens für den Sozialhaushalt, da ja auch die Fahrkarten teurer werden.

Das heißt, die eingesparten 17 Millionen Euro sind eine Luftbuchung?
Ich gehe davon aus, dass unter dem Strich diese ganze Summe nicht eingespart werden kann. Die Zuschüsse gehen aber nicht mehr an die Verkehrsbetriebe, sondern an die direkt Betroffenen.

Wie hoch werden die Mehrkosten für den Sozialhaushalt sein?
Das lässt sich jetzt noch nicht beziffern. Sie wären jedoch geringer, gäbe es das von mir geforderte 39-Euro-Monatsticket für Sozialhilfeempfänger, Arbeitslose und Rentner mit geringem Einkommen.

Das aber offenbar weder bei Ihren Senatskollegen noch bei den Verkehrsbetrieben auf Gegenliebe stößt. Oder sehen Sie noch Chancen für Ihren Vorschlag ?
Ich setze mich weiter dafür ein. Wir werden darüber im Januar auch noch einmal im Senat reden.

Ganz billig wäre es aber auch nicht.
Natürlich wären das erhebliche Verteuerungen. Aber es gibt in keiner Großstadt solche Sozialtarife, wie wir sie bisher in Berlin hatten. Ich denke, dass 39 Euro für das umfangreiche Nahverkehrsangebot eine vertretbare Alternative sind. Senioren mit geringem Einkommen haben bisher auch 39,50 Euro bezahlt, und es gab und gibt sehr viele Menschen in dieser Stadt, die z.B. wegen ihres geringen Einkommens Wohngeld beziehen, aber nie ein Sozial- oder Arbeitslosenticket nutzen konnten.

Wie bewerten Sie die Haltung der Verkehrsbetriebe, für Sozialpolitik nicht zuständig zu sein?
Alle Berliner haben ein Recht auf Mobilität. Hier haben die Verkehrsbetriebe bisher mit dem Ticket für Langzeitarbeitslose und dem Seniorenticket auch ohne Landeszuschüsse ihre sozialpolitische Verantwortung wahrgenommen und gleichzeitig Kunden geworben. Dies sollte auch in Zukunft so bleiben. Gerade, wenn Sozialhilfeberechtigte sich aktiv um Arbeit bemühen, brauchen sie ein günstiges Ticket.

Der Finanzsenator hält alle BVG-Tickets für Sozialtickets, weil die Fahrgelderlöse nicht die Kosten decken.
So kann man es auch sehen, aber leider löst das nicht unser Problem, weil die Angebote für Bedürftige zu teuer sind.

Sie müssen sich im Senat ziemlich allein gelassen fühlen in der Auseinandersetzung um die Sozialtarife.
Nein, die Entscheidung über die Tarife fällt ja nicht der Senat, sondern der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg. Aber wie gesagt, das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.

Fragen: Bernd Kammer

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