Arrogant und intelligent
Der Ex-Kanzler, Ex-SPD-Vorsitzende und Ex-Staatsmann Helmut Schmidt wird heute 85
Ein Leben für den Frieden« - Mit diesem unbescheidenen Titel hat Michael Schwelien eine politische Biografie über Helmut Schmidt rechtzeitig zu zu dessen 85. Geburtstag am 23. Dezember vorgelegt. Der Altkanzler kann wie kaum eine andere Persönlichkeit der Zeitgeschichte schon zu seinen Lebzeiten auf eine Vielzahl biografischer Annäherungsversuche von Autoren unterschiedlicher Provenienz verweisen. Offenbar reizt dessen Vita mehr als die anderer: In Hamburg-Barmbek als Sohn eines Studienrates geboren und im Zweiten Weltkrieg an der Ost- und Westfront eingesetzt, studierte Schmidt nach dem Krieg Sozialwissenschaften und Volkswirtschaft. Bereits in den 50er Jahren machte er als Mitglied der SPD-Fraktion im Bundestag mit seiner rhetorischen Begabung (»Schmidt-Schnauze«) und scharfen Kritik an der Adenauer-Regierung auf sich aufmerksam. Hatte er sich noch 1958 im Rahmen der Anti-Atom-Tod-Kampagne der SPD entschieden gegen eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr eingesetzt und 1969 als Verteidigungsminister im ersten SPD/FDP-Kabinett von Willy Brandt den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet, gehörte er Ende der 70er Jahre als Kanzler zu den vehementesten Befürwortern des NATO-Doppelbeschlusses zur Stationierung neuer atomarer Mittelstreckenraketen in Europa. Und obgleich er die Ostpolitik seines Vorgängers Willy Brandt fortsetzte, so teilte er doch nicht dessen Entspannungseuphorie und war im Gegensatz zu diesem Protagonist eines »starken Staates« (sein rabiates Krisenmanagement im so genannten deutschen Herbst bleibt umstritten). Erst jüngst hat sich der Jubilar nicht nur, aber sicher insbesondere bei den Lesern dieses Blattes in jüngster Zeit unbeliebt gemacht und antiperistaltische Reaktionen ausgelöst. Schmidts Entgleisung gegenüber Ostdeutschen und sozial Schwachen ist symptomatisch für einen Charakter, der unisono von allen bisherigen Biografen registriert wurde: ein arroganter Typ mit dem Hang zu apodiktischen Urteilen. Andererseits trifft zweifellos zu, was Schwelien und andere Autoren hervorheben: »Er war der fähigste und intelligenteste Kanzler, den die Bundesrepublik Deutschland je hatte... Die Kehrseite von Schmidts Auffassungsgabe ist die Ungeduld, die seines Pflichtbewusstseins die Arroganz.«
Während bekanntlich mit zunehmendem Alter oft die Auffassungsgabe abnimmt, verstärken sich hingegen eher die negativen Charaktereigenschaften, was nur dann erträglich bleibt, wenn sie einhergehen mit wachsender Weisheit und Gelassenheit. Letztere ist Schmidts Sache nicht, seine Sicht auf Politik und Wirtschaft jedoch ist durchaus weise zu nennen.
Getreu dem britischen Motto »Great thoughts bear repetition« begründet Schwelien, was der Jubilar nach dem Ende seines aktiven Politikerlebens als sein geistiges Vermächtnis betrachtet: die moralische und zivilgesellschaftliche Zügelung der Weltwirtschaft, die weitere Gestaltung der europäischen Einigung und die Kritik an der US-amerikanischen Geostrategie. Hatte Schmidt sich zu seinem 80. Geburtstag mit dem Buch »Auf der Suche nach der öffentlichen Moral« zu Wort gemeldet, so geißelte er jüngst in der »ZEIT« (Nr. 50 vom 4.12.) die Bedrohung der offenen Gesellschaft durch den entfesselten Raubtierkapitalismus. Darin wird aber zugleich deutlich, welche Grenzen der Erkenntnis selbst dem »intelligentesten Kanzler« gesetzt sind. Sein Ruf nach einem »moralischen Kapitalismus« kann man nicht anders als ein hilflos-resignatives Granteln eines alten Mannes nennen. Schmidt verkennt, dass eine nach dem Gesetz des maximalen Profits organisierte und global funktionierende Wirtschaft Akteure fordert und hervorbringt, die schlimmer als Raubtiere, die nur ihre natürlichen Bedürfnisse befriedigen, handeln. Daran ändert sich auch nichts, wenn einige Unternehmer bei guter Gewinnlage diese oder jene Stiftung sponsern. Hier bleibt auch der Biograf Schwelien tiefer lotende Erklärungen schuldig.
Alles in allem ist jedoch zu wünschen, dass der Elder Statesman noch viele Jahre es den so genannten Eliten Deutschlands immer mal wieder ins Gesicht sagt, was für ein verdorbener und noch dazu oft unfähiger und teils korrupter Haufen sie sind, so klar und unmissverständlich wie in dem erwähnten Artikel: »Der rücksichtslose Gebrauch der Macht einiger Manager großer Verbände, Konzerne, Geldinstitute und Medienkomplexe kann zu einer ernsten Gefahr für den Bestand der offenen Gesellschaft werden - jedenfalls dann, wenn die gewählten Politiker in Parlament und Regierung die Gefährdungen nicht erkennen, ihnen nicht entgegentreten oder wenn sie sich sogar mit dem Missbrauch verbünden. Silvi...
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