Forscher entdecken Schwips-Gen
Einzelne Erbanlage ist bei Tier und Mensch für Alkoholrausch verantwortlich
Silvester steht vor der Tür. Und wie jedes Jahr werden auch diesmal Unmengen von alkoholischen Getränken durch bundesdeutsche Kehlen rinnen. Denn Alkohol macht lustig. Er löst die Zunge und befreit von Schüchternheit und Hemmungen. Am Anfang zumindest. Später überwiegen meist die unerfreulichen Folgen des Alkoholgenusses. Manchen wird schon nach wenigen Gläsern schlecht. Andere verlieren die Kontrolle über Körper und Geist.
Warum das so ist, versuchen Wissenschaftler seit längerem zu ergründen. Dabei sind sie auf eine bemerkenswerte Tatsache gestoßen: Nicht nur Menschen, schon niedere Tiere wie Fadenwürmer oder Taufliegen geraten nach dem Verzehr von Alkohol in einen rauschähnlichen Zustand und neigen zu unkontrollierten Bewegungen. Demnach dürften grundlegende genetische Faktoren die physiologische Wirkung des Alkohols vermitteln. Gleichwohl hätte kein Forscher bislang vermutet, dass nur ein einzelnes Gen für den Schwips bei Tier und Mensch verantwortlich ist. Genau das behauptet jetzt eine Gruppe von Neurologen um Andrew Davies vom »Ernest Gallo Clinic & Research Center« in der US-Fachzeitschrift »Cell« (Bd. 115, S. 656). Am Rande nur sei erwähnt, dass der Namensgeber und Sponsor dieses in San Francisco ansässigen Instituts, Ernest Gallo, zusammen mit seinem Bruder Julio die weltgrößte Weinkellerei besitzt.
Ihre Untersuchungen führten die Wissenschaftler am Fadenwurm Caenorhabditis elegans durch, da sich für die Hälfte von dessen rund 20000 Genen entsprechende Gegenstücke im Erbgut des Menschen finden lassen. Mittels chemischer Substanzen wurden bei den winzigen Würmern zufällige Mutationen erzeugt. Manche dieser genetisch veränderten Nachkommen bewegten sich unter Alkoholeinfluss unkontrolliert, andere dagegen waren praktisch immun gegen Alkohol. Letztere zeigten selbst bei normalerweise tödlichen Konzentrationen keinerlei Bewegungsstörungen. Die »immunen« Würmer hatten eines gemeinsam: Bei ihnen war das Gen »slo-1« defekt.
Normalerweise trägt dieses Gen die Information für eine zelluläre Schleuse, den so genannten BK-Kanal, der die Aktivität von Nervenzellen reguliert. Sobald dieser Kanal sich öffnet, strömen Kalium-Ionen aus der Nervenzelle und verzögern die Weiterleitung von neuronalen Impulsen. Durch Alkohol wird dieser natürliche Prozess beschleunigt, der BK-Kanal öffnet sich häufiger. Es kommt zu einer Störung der Nervenaktivität, die sich letztlich in unkoordinierten Bewegungen äußert.
Sind die Ionenkanäle infolge eines Gendefekts hingegen wenig aktiv, wie bei einem Teil der mutierten Fadenwürmer, dann kann ihre Tätigkeit auch durch Alkohol kaum nennenswert beschleunigt werden. Die Körperkontrolle bleibt somit erhalten. Und noch etwas stellten die Forscher fest: Bei einigen Würmern öffnete sich der BK-Kanal auf Grund einer Mutation häufiger als gewöhnlich. Diese Tiere ließen schon im nüchternen Zustand Symptome von Trunkenheit erkennen.
Auch menschliche Nervenzellen sind mit BK-Ionenkanälen ausgestattet. Sollte es daher gelingen, deren Aktivität durch Medikamente gezielt zu beeinflussen, so die Forscher, könnten damit Betrunkene rascher ausgenüchtert sowie Alkoholkranke effektiver behandelt werden. Andere Wissenschaftler sind weniger optimistisch. Denn niemand wisse, meint Nick Franks vom Imperial College in London, ob der BK-Kanal im menschlichen Körper den selben Stellenwert besitze wie im Körper eines Fadenwurms. Bis jetzt konnte in Zellkultur-Versuchen lediglich nachgewiesen werden, dass Alkohol in menschlichen Zellen tatsächlich die Aktivität des BK-Kanals beeinflusst. Überdies zeigen Würmer und Menschen bei ähnlichen Alkoholkonzentrationen erste Anzeichen einer Bewegungsstörung.
Doch nicht nur die körperliche Motorik wird durch Alkohol beeinträchtigt. Am schlimmsten ist für viele Trinklustige der Kater danach - mit Brummschädel, bleiernen Gliedern, Übelkeit. Noch rätseln die Forscher, wie es zu diesen Symptomen kommt. Manche vermuten, dass Alkohol die Produktion des Hormons Serotonin anregt, welches die Blutgefäße erweitert und bestimmte Schmerzrezeptoren in den Gefäßwänden reizt. Andere machen das Zellgift Acetaldehyd für die Katerbeschwerden verantwortlich. Es entsteht beim Abbau des Alkohols in der Leber und wird zuletzt in Essigsäure umgewandelt. Erhärtet wird diese These durch eine Untersuchung aus Japan. Dort leidet jeder Zweite an einem angeborenen Gendefekt, der den Abbau des Acetaldehyds verhindert. Trinken diese Menschen Alkohol, und sei es nur ein Glas, bekommen sie hinterher mörderische Kopfschmerzen. Der erwischt natürlich auch Menschen ohne diesen Defekt, wenn sie zuviel trinken. Und leider gibt es gegen den Kater bis heute keine wirksame Medizin. Im Notfall bleiben nur die altbewährten Hausmittel. Da Alkohol harntreibend wirkt, sollten »Bedürftige« viel Wasser trinken, am besten eine Flasche Mineralwasser noch vor dem Schlafengehen. Zum Katerfrühstück werden Rollmöpse empfohlen, da diese den Elektrolythaushalt wieder ins Gleichgewicht bringen. Denn mit dem Wasser gehen auch wichtige Mineralstoffe wie Natrium oder Magnesium verloren, die für die Nerven- und Muskeltätigkeit unentbehrlich sind. Gegen den Sauerstoffmangel...
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