Schon Honecker wollte die Spiele

Bereits vor 1990 gab es olympische Baupläne in Leipzig

  • Thomas Biskupek
  • Lesedauer: ca. 3.0 Min.
Olympia in Leipzig, kompakte Sportstätten im Umfeld des ehemaligen Zentralstadions, eine teilweise unterirdisch geführte neue S-Bahn-Linie - das alles ist nicht neu. Kurz vor dem Verschwinden der DDR hatte Erich Honecker angeregt, der Leipziger Oberbürgermeister Bernd Seidel möge eine entsprechende Bewerbung für 2004 zur Sprache bringen. Dementsprechend erfolgten bereits erste, ziemliche exakte Planungen, die allerdings noch nicht öffentlich gemacht wurden. Am Ende des Sommers 1989 verschwanden diese - aus allseits bekannten Gründen. Darüber und über vieles mehr informiert Ambros Gross in einer neuen Publikation der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen. Der stellvertretender Chefarchitekt Leipzigs von 1968 bis 1992 gehört zu den 17 Autoren des hier anzuzeigenden Buches. Es handelt sich um Architekten und Planer, ehemalige staatliche Leiter oder SED-Funktionäre. Sie versuchen deutlich zu machen, wie sie und ihre Vorgänger die Messestadt zu gestalten gedachten und gestalten. Zur Sprache kommt natürlich auch der ruinöse Zustand vieler Häuser zu Endzeiten der DDR. Den Grund hierfür sehen die Autoren in der Geldknappheit und im Vergleich zum Westen geringeren Produktivität im Bauwesen. Anhand zahlreicher Fakten widerlegen die Autoren aber auch das verbreitete Vorurteil, die Kommunisten hätten 1945 heile Landschaften vorgefunden und durch eigenes Verschulden 1990 eine Wüste hinterlassen. Sicherlich hatte Leipzig nicht solche Bombenschäden zu verzeichnen wie Hamburg oder Dresden, aber von 225000 Wohnungen waren zu Kriegsende etwa 80000 total zerstört oder schwer beschädigt. Fast alle Kulturbauten waren von Luftangriffen stark getroffen (Gewandhaus, Oper) oder in einem desolaten Zustand (Operetten-Theater, Zoo). Die ersten Jahre nach dem Krieg waren weitgehend Reparaturen gewidmet. Doch bald begannen die Planer, die Zerstörungen als eine Chance zu begreifen, die Stadt schöner und menschenfreundlicher wieder aufzubauen. Das hieß insbesondere, die enorme Verdichtung aufzulockern, also nicht jede Bombenlücke zu schließen, Platz für Grünanlagen und Plätze zu lassen. In den frühen 50er Jahren entstand so die Ringbebauung am Rossplatz, die heute unter Denkmalschutz steht. 1960 war der erste Opernneubau der DDR fertig. Die Autoren bemühen sich, die einstigen Bedingungen anschaulich nachzuzeichnen und damit Verständnis für ihre Arbeit und die vieler anderer zu wecken. So hatte sich schnell gezeigt, dass im industriellen Wohnungsbau jede einzelne Wohnung kostengünstiger entsteht als durch aufwendige Sanierung. Ergebnis: riesige Neubauviertel westlich und östlich der Stadt (von Süden und Norden rückten die Braunkohletagebaue heran). In der Nähe der City betrieb man flächenmäßigen Abriss und stampfte Standard-Häuser aus dem Boden. Das hat Leipzig nicht schöner gemacht, aber vielen leipzigern einen relativ guten Wohnstandard beschert. Obwohl die Autoren gelegentlich die weltfremden Entscheidungen »von oben«, aus Berlin kritisieren, so schieben sie doch erfreulicherweise nicht alle Schuld an Unzulänglichkeiten oder gar katastrophalen Zuständen auf die Regierung in der DDR-Hauptstadt ab. Der ehemalige 2. Sekretär der SED-Stadtleitung von Leipzig, Hubert Schnabel, macht auch nicht - wie viele Publizisten heute - Walter Ulbricht verantwortlichen für den noch heute vieldiskutierten Abriss der Universitätskirche, sondern bekennt, damals selbst nicht die »gesamte Tragweite bedacht zu haben«. Spannend sind die Erläuterungen des ehemaligen Stadtarchitekten (1967-1985) Horst Siegel. Er zeigt anhand der verschienen Generalbebauungspläne, wie sich langfristig Vernunft durchsetzte. Ein Plan von 1959 sah Hochhausdominanten vor, die das Antlitz der Stadt völlig verändert hätten: »Wäre die Planung vollständig realisiert worden, hätte kein Mensch das historische Leipzig je wiedererkennen können.« Anzumerken bleibt, dass seinerzeit auch in den meisten westdeutschen Städten ähnliche Vorhaben bestanden - und umgesetzt worden sind. Denn dort ging das Geld nicht so schnell aus wie im ostdeutschen Staat. Dank finanzieller Not also besitzt Leipzig noch heute alte historisch-wertvolle Bausubstanz. Nicht nur bekennenden Leipzi...

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