Spaß im Bett trotz Falten

Auch jenseits der 70 verliert der Sex für Frauen und Männer nicht an Bedeutung / Von Marion Sonnenmoser

Sex im hohen Alter? Für viele unvorstellbar! Was gibt es nicht alles für Bedenken und Vorurteile: Ältere Menschen sind impotent und »ausgetrocknet«, beim Sex erliegen sie Herzattacken, Falten sind unappetitlich, und jenseits der siebzig sind sexuelle Wünsche »krank«. »Vielfach wird geglaubt, dass das sexuelle Verlangen mit dem Alter automatisch ausklingt«, sagen die amerikanischen Altersforscher Robert Butler und Myrna Lewis. Diese Vorstellung hat uns vor allem die katholische Kirche eingebläut. Die Sexualmoral der Kirche postuliert auch heute noch, dass Sexualität ausschließlich der Fortpflanzung zu dienen hat. Hört die Fortpflanzungsfähigkeit auf, so ist auch das Sexualleben beendet. Von Frauen nach der Menopause wird daher erwartet, dass sie zum asexuellen Wesen mutieren. Tun sie das nicht, wird ihnen unterstellt, »nicht richtig im Kopf« oder »triebhaft« zu sein und »sich mit aller Macht an die verlorene Jugend« zu klammern. Bei Männern ist man da etwas nachsichtiger. Zwar wird auch über ältere Männer gelächelt, die sich eine junge Geliebte suchen und noch in hohem Alter mehrfach Vater werden, doch so viel Schimpf und Schande wie sexuell aktive ältere Frauen, die vielleicht noch einen jungen Geliebten haben, ziehen sie nicht auf sich. Die kirchliche Sexualmoral hat ihre Macht über unser Denken heute weitgehend verloren, und doch sind für uns Sexualität und Alter zwei Paar Stiefel, die nicht richtig zusammen passen wollen. Das liegt auch daran, dass wir nicht viel darüber wissen. Bisher haben sich Forscher nämlich nur mit der Sexualität älterer Menschen beschäftigt, wenn es Probleme gab. Was aber ist mit den normalen, gesunden Senioren? Eine Studie der Universität Zürich gibt jetzt auf solche Fragen einige Antworten. Die Sozialpsychologen Thomas Bucher, Rainer Hornung und Claus Buddeberg haben 641 Männer und 857 Frauen im Alter zwischen 45 und 91 Jahren befragt. Sie fanden heraus, dass viele Meinungen über Sexualität im höheren Lebensalter falsch sind. Ein Vorurteil besagt zum Beispiel, dass Sexualität mit den Jahren an Bedeutung verliert. Die Forscher widersprechen: »Sexualität bleibt bis ins höchste Lebensalter ein relevantes Thema.« Dies trifft vor allem für Senioren zu, in deren Leben der Sex schon immer eine wichtige Rolle gespielt hat. Auch bei allen anderen lässt das sexuelle Interesse im Laufe der Jahre nur wenig nach. Erst in ganz hohem Alter geht es zurück. Einem anderen Vorurteil zufolge untergraben Krankheiten, Gebrechen und nachlassende Leistungsfähigkeit die Lust auf Sex. Die Studie aber zeigt: Sexuelles Interesse bleibt bestehen, auch wenn es körperlich schwieriger wird, Sex zu haben. Zu den natürlichen körperlichen Veränderungen, die das Alter mit sich bringt, gehört die verminderte Produktion an Sexualhormonen. Bei den Männern lässt die Erektionsfähigkeit nach, bei Frauen werden die Vaginalmuskeln schlaffer und die Scheide wird trockener. Was in jüngeren Jahren »automatisch« geklappt hat, ist im Alter nicht mehr selbstverständlich. Manchmal sind mit dem Geschlechtsverkehr auch Schmerzen oder Peinlichkeiten verbunden. Manch einer lässt es dann lieber ganz sein. Das mag ein Grund dafür sein, dass Männer und Frauen in höherem Alter zwar an Sexualität noch interessiert sind, sie aber seltener ausüben. »Zwischen dem Interesse und der tatsächlichen sexuellen Aktivität klafft eine Lücke«, so die Forscher. Frauen sind davon stärker betroffen als Männer. Bei den 65- bis 74-Jährigen sind 35 Prozent der Frauen, aber nur sechs Prozent der Männer sexuell inaktiv. Ab 75 Jahren haben 67 Prozent der Frauen, aber nur 20 Prozent der Männer keinen Sex mehr. Frauen, so fanden die Forscher heraus, konzentrieren ihre Wünsche und Bedürfnisse auf einen geliebten Partner. Nur mit ihm wollen sie Sexualität leben. Fehlt dieser Partner oder hat sich das Paar auseinander gelebt, so bleibt das Sexualleben auf der Strecke. Die meisten älteren Männer wollen Sex haben, um ihre sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen, und nicht, um ihrer Liebe Ausdruck zu verleihen. Fehlt eine Bettgenossin oder gibt sich diese unnahbar, suchen sie sich eben Ersatz. Das sexuelle Interesse älterer Männer ist sogar noch stärker, wenn sie einsam sind. Durch Sex versuchen sie, ihre Einsamkeit zu überwinden und ihrer Isolation auszuweichen. »Das Alter ist nicht schuld, wenn im Bett nichts mehr läuft«, sagen die Forscher. Denn das Alter beeinträchtigt die Sexualität nicht, eher sind es Langeweile, Routine, Selbstzweifel, Scham oder eine sexualfeindliche Erziehung. Viele Ältere sind noch dazu erzogen worden, über Sex nicht zu sprechen. Die strenge Sexualmoral bewirkte, dass sich Spaß nicht einstellen konnten. Oft war Sexualität eine leidige Pflicht, die mit Ekel, Schmerzen, Scham und Schuldgefühlen verbunden war. Auch Selbstbefriedigung hilft ihnen nicht. Sie macht ältere Menschen laut Studie nicht wirklich zufrieden. Ist Sexualität mehr Last als Lust, dann ist es nach Meinung der Forscher besser für das Wohlbefinden, darauf zu verzichten. Wenig oder kein Sex macht ältere Menschen nicht zwangsläufig unzufrieden. Über die Hälfte der befragten Männer und Frauen beklagte sich nicht über ihr Sexualleben. Das mag damit zu tun haben, dass Sexualität im Alter andere Dimensionen und Qualitäten bekommt. Wie häufig Geschlechtsverkehr stattfindet, wird zunehmend unwichtig. Dafür gewinnen aber gute Gespräche, Selbstbestimmung, Zärtlichkeiten und gefühlsmäßige Nähe an Bedeutung. Nach einhelliger Meinung von Sexualforschern sollten ältere Menschen ihre Sexualität genießen, sofern es ihnen ein Bedürfnis ist - ganz gleich, was andere denken. Ein aktiver Lebensstil, Offenheit, Optimismus und ein entspanntes Verhältnis zur Sexualität und zum eigenen Körper sind hierfür wichtige Voraussetzungen. »Auch Bewegung, eine gesunde Ernährung und Körperpflege tragen dazu bei, im Alter noch fit und sexuell aktiv sein zu können«, sagen Butler und Lewis. Und wenn einiges nicht mehr so reibungslos funktioniert wi...

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