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  • Sport
  • Streifzug durch die Geschichte der Olympischen Winterspiele

Haakon – der Erste und Einzige

  • Lesedauer: 4 Min.

Als sich Lillehammer 1986 erstmals um die Winterspiele bewarb, ging das nur wenigen bekannte norwegische Provinznest unter sieben Kandidaten unter. Zur großen Verblüffung setzte sich die Stadt dann aber zwei Jahre später in Seoul mit 45:39 Stimmen durch. Dabei war offenbar selbst IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch fest davon überzeugt, daß diesmal nach dreimaliger Ablehnung in Folge - der schwedische Kandidat gewinnen würde. Es gilt als verbürgt, daß er tagelang die Aussprache des nicht nur für lateinische Zungen schweren Östersund übte, doch nach Öffnung des Briefumschlages mit dem Wahlergebnis mußte er auf einmal auf das nicht minder schwierige „Lille'ammer“ umsteigen.

Vor allem die Schweden hat lange beschäftigt, wie es eigentlich ihre Nachbarn schafften, sie aus dem Feld zu schlagen. Erst später erfuhren sie, daß der mächtige Präsident des Internationalen Skiverbandes, Marc Hodler, der auch Mitglied der IOC-Exekutive ist, seit Jahren auch norwegischer Honorarkonsul ist

Sportlich jedenfalls hatte Lillehammer zum Zeitpunkt seiner Wahl nur wenig vorzuweisen. Der einzige Olympiasieger, der in der Stadt zu Hause ist, ist der Goldmedaillengewinner im 15-km-Skilanglauf von 1960, Haakon Brusveen, der seit nunmehr 36 Jahren in der Storgatan, dem Boulevard von Lillehammer, ein Sportartikelgeschäft betreibt. Da ein Einzelexemplar, hat der 66jährige demzufolge auch den ganzen Druck der Medien abbekommen, und Brusveen, der 1949 für ein

halbes Jahr als Soldat in Flensburg stationiert war und so ein wenig Deutsch spricht, kann beim besten Willen nicht sagen, wie vielen Journalisten er schon Rede und Antwort stehen mußten. Er weiß nur eins: „Es waren zu viele.. “

Weil Haakon, der Erste und Einzige, aber die Macht des Wortes kennt, fügt er sich auch diesmal in sein Schicksal; denn eins ist klar: Ohne die Presse gäbe es auch keinen Olympiasieger namens Brusveen. Der norwegische Skiverband hatte nach unbefriedigenden Leistungen in den Ausscheidungsrennen seine Nominierung für die Winterspiele in Squaw Valley abgelehnt. Da der damals ^jährige aber zwischen 1957 und 1959 die Konkurrenz im eigenen Lande eindeutig beherrscht hatte, organisierten norwegische Sportjournalisten eine Medienkampagne und eine Unterschriftensammlung, worauf der Skiverband dann nachgab. Er setzte am Holmenkollen ein nochmaliges Testrennen an, das Brusveen überlegen gewann. Im „Tal der Indianerfrau“ angekommen, bedankte er sich für die Nachnominierung mit Gold.

Diese Unterstützung hat Haakon Brusveen den Journalisten nie vergessen, und drei Jahre später gesellte er sich beim Holmenkollen-Rennen erstmals nebenberuflich zu ihnen. Sein Debüt war glanzvoll, aber bald wollten die norwegischen Hörer seinen wunderbaren Dialekt nicht mehr vermissen. In Lillehammer erlebt er nun bereits seine elften Winterspiele, wobei er viermal - von 1952 bis 1964 (zuletzt als Biathlon-Reservist) - als Aktiver dabei war.

Ab 1968 berichtete Brusveen für „Norsk Radio“, und nur 1972 in Sapparo fehlte er, „weil die japanische Technik so kompliziert war“

Bis 1987 war er Co-Reporter von Borge Lillelien, dem norwegischen Heinz-Florian Oertel; nach Borges Tod wurde er sein Nachfolger. Natürlich wird er aus Lillehammer von den Langläufen berichten, und somit von jenen Wettbewerben, die seine Landsleute am meisten interessieren. Gerade rechtzeitig zum Olympia-Geschäft ist er zudem mit einer Autobiographie auf den Markt gekommen.

In den nächsten Tagen wird also der 30jährige Björn im Geschäft die Stellung halten und vorbeikommenden Journalisten mitteilen, daß sein Vater unterwegs ist. Doch auch Haakon Brusveen kann sich während dieser Winterspiele nicht vollends seinem Hobby widmen, denn er ist vor allem auch Bauer. Dutzend Schafe warten darauf, gefüttert zu werden. Obwohl das Haus auf der anderen Seite des Mjosa-Sees steht, kein Problem: Brusveen wird die zehn Kilometer in den Pausen schnell mal hinüberlaufen selbstverständlich auf Skiern, wie sich das für einen Norweger gehört.

Möglicherweise wird Haakon Brusveen auch nach diesen XVII. Winterspielen noch Lillehammers einziger Olympionike sein. Keiner der Gold-Favoriten der Gastgeber ist in der Olympia-Stadt beheimatet. Doch für die Zukunft muß man mit Nachfolgern rechnen. Haakon Brusveen: „Wer solche Anlagen vor die Tür gestellt bekommt, muß daraus ja auch was machen.“

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