- Politik
- Bundeswehr
Haft für Verweigerung?
In dieser Woche Prozesse in Hamburg, Dresden und Ueckermünde
Stefan Schreiber musste sich bereits am Montag vor dem Amtsgericht in Hamburg-St. Georg verantworten. Der Student sollte seinen Zivildienst in einem Hamburger Pflegeheim ableisten. Dazu kam es nicht. »Der Zivildienst geht genau wie der direkte Waffendienst bei der Bundeswehr in die Strategie der Gesamtverteidigung ein. Selbst das Bundesverteidigungsministerium bestreitet nicht, dass Kriege ohne Zivildienstleistende nicht mehr führbar sind. Meine Entscheidung, auch den Ersatzdienst zu verweigern, ergab sich zwingend aus den Gründen, warum ich eigentlich nicht zum Bund wollte«, erklärte Stefan Schreiber vorab.
Die Verhandlung wurde nach einstündiger Einlassung auf Freitag, 11 Uhr, vertagt. »Schreiber erhielt in dem für zehn Personen ausgelegten Raum von 22 Freunden, die Transparente mitgebracht hatten, Unterstützung«, so Jan Reher von »Die Desatöre« aus Hamburg.
Am heutigen Dienstag verhandelt das Amtsgericht Dresden ab 9 Uhr wegen Fahnenflucht gegen Andreas Schumann. Der 28-jährige Antimilitarist lehnt die Ableistung des Wehr- als auch des Zivildienstes ab. Schumann wurde zum 1. Januar 2003 von der Bundeswehr einberufen, war aber nicht in der zugeteilten Kaserne erschienen. Die daraufhin einsetzende Fahndung der Feldjäger der Bundeswehr blieb trotz mehrerer Hausdurchsuchungen bei Eltern und Freunden erfolglos. Zudem lehnte die Staatsanwaltschaft Dresden einen Antrag auf Haftbefehl ab. Begründung: Es hätte keine Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit bestanden.
Der Berliner Ringo Ehlert muss heute um 10 Uhr vor dem Amtsgericht Ueckermünde antreten. Den Vorsitzenden des FDJ-Zentralrats hält Ralf Siemens, Sprecher der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär, wegen seiner Argumentation für einen Sonderfall: »Ehlert lehnt die Bundeswehr ab, nicht aber die NVA der DDR.«
Für Ehlert ist es der dritte Prozesstermin. Im September 2001 war er seiner Einberufung nicht gefolgt. Nach acht Monaten wurde er von den Feldjägern gefasst. Auch 67 Tage Einzelhaft konnten ihn nicht für den Dienst »erwärmen«. Die für den 11. Juni 2002 in Ückermünde anberaumte Hauptverhandlung wurde aufgehoben. Am 21. August 2002 setzte der Richter die Verhandlung aus, um einen Sachverständigen einzusetzen.
An der Haltung Ehlerts, den 40 Freunde nach Ueckermünde begleiten wollen, hat sich nichts geändert. Er sieht die Bundeswehr als eine Angriffsarmee an, die mit steigender Tendenz von neofaschistischen Kräften durchsetzt sei. Als Pazifist bezeichnet sich Ehlert aber keinesfalls. »Ich hätte mir vorstellen können, in der NVA meinen Dienst zu tun. Nicht weil ich gerne Soldat sein wollte, sondern weil diese Armee Werte verteidigte, die sich nach der Annexion der DDR nicht mehr durchsetzen lassen: das Einstehen für Frieden und Völkerfreundschaft.«
Den Verweigerern drohen bis zu fünf Jahre Haft. Mehr als 21 Monate Gefängnisstrafe ohne Bewährung hat es in der Bundesrepublik aber nie gegeben, so Siemens. Das Amtsgericht Dresden setzte beispielsweise bisher Freiheitsstrafen von sechs bis zehn Monaten stets zur Bewährung aus.
www.kampagne.de
Wir haben einen Preis. Aber keinen Gewinn.
Die »nd.Genossenschaft« gehört den Menschen, die sie ermöglichen: unseren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die mit ihrem Beitrag linken Journalismus für alle sichern: ohne Gewinnmaximierung, Medienkonzern oder Tech-Milliardär.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen sichtbar machen, die sonst untergehen
→ Stimmen Gehör verschaffen, die oft überhört werden
→ Desinformation Fakten entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und vertiefen
Jetzt »Freiwillig zahlen« und die Finanzierung unserer solidarischen Zeitung unterstützen. Damit nd.bleibt.