Haft für Verweigerung?

In dieser Woche Prozesse in Hamburg, Dresden und Ueckermünde

  • Matthias Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach Angaben der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär finden in der Bundesrepublik jährlich rund 150 Verfahren gegen totale Wehr- und Zivildienstverweigerer statt. In dieser Woche müssen sich gleich drei junge Männer vor Gericht verantworten.
Die Häufung der Verfahren ist eher zufällig. Es gibt diesbezüglich keine Explosion«, meint Ralf Siemens. Im Gegenteil, der Sprecher der 1990 in Berlin eingerichteten Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär sieht einen gegenläufigen Trend. Siemens: »Wer seine Verweigerungsabsichten frühzeitig mitgeteilt hat, wird derzeit von den Behörden ausgemustert.« Die Kapazitäten der Bundeswehr und Zivildienststellen seien erschöpft. Lediglich für 50 Prozent der Wehrpflichtigen stünden Plätze zur Verfügung. Siemens hofft, dass die allgemeine Wehrpflicht spätestens am Ende dieses Jahrzehnts aufgehoben wird. Prozesse gegen Verweigerer wären dann überflüssig. Für Stefan Schreiber, Andreas Schumann und Ringo Ehlert kommt das zu spät. Alle drei stehen in dieser Woche wegen Totalverweigerung vor Gericht.
Stefan Schreiber musste sich bereits am Montag vor dem Amtsgericht in Hamburg-St. Georg verantworten. Der Student sollte seinen Zivildienst in einem Hamburger Pflegeheim ableisten. Dazu kam es nicht. »Der Zivildienst geht genau wie der direkte Waffendienst bei der Bundeswehr in die Strategie der Gesamtverteidigung ein. Selbst das Bundesverteidigungsministerium bestreitet nicht, dass Kriege ohne Zivildienstleistende nicht mehr führbar sind. Meine Entscheidung, auch den Ersatzdienst zu verweigern, ergab sich zwingend aus den Gründen, warum ich eigentlich nicht zum Bund wollte«, erklärte Stefan Schreiber vorab.
Die Verhandlung wurde nach einstündiger Einlassung auf Freitag, 11 Uhr, vertagt. »Schreiber erhielt in dem für zehn Personen ausgelegten Raum von 22 Freunden, die Transparente mitgebracht hatten, Unterstützung«, so Jan Reher von »Die Desatöre« aus Hamburg.
Am heutigen Dienstag verhandelt das Amtsgericht Dresden ab 9 Uhr wegen Fahnenflucht gegen Andreas Schumann. Der 28-jährige Antimilitarist lehnt die Ableistung des Wehr- als auch des Zivildienstes ab. Schumann wurde zum 1. Januar 2003 von der Bundeswehr einberufen, war aber nicht in der zugeteilten Kaserne erschienen. Die daraufhin einsetzende Fahndung der Feldjäger der Bundeswehr blieb trotz mehrerer Hausdurchsuchungen bei Eltern und Freunden erfolglos. Zudem lehnte die Staatsanwaltschaft Dresden einen Antrag auf Haftbefehl ab. Begründung: Es hätte keine Fluchtgefahr und Verhältnismäßigkeit bestanden.
Der Berliner Ringo Ehlert muss heute um 10 Uhr vor dem Amtsgericht Ueckermünde antreten. Den Vorsitzenden des FDJ-Zentralrats hält Ralf Siemens, Sprecher der Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär, wegen seiner Argumentation für einen Sonderfall: »Ehlert lehnt die Bundeswehr ab, nicht aber die NVA der DDR.«
Für Ehlert ist es der dritte Prozesstermin. Im September 2001 war er seiner Einberufung nicht gefolgt. Nach acht Monaten wurde er von den Feldjägern gefasst. Auch 67 Tage Einzelhaft konnten ihn nicht für den Dienst »erwärmen«. Die für den 11. Juni 2002 in Ückermünde anberaumte Hauptverhandlung wurde aufgehoben. Am 21. August 2002 setzte der Richter die Verhandlung aus, um einen Sachverständigen einzusetzen.
An der Haltung Ehlerts, den 40 Freunde nach Ueckermünde begleiten wollen, hat sich nichts geändert. Er sieht die Bundeswehr als eine Angriffsarmee an, die mit steigender Tendenz von neofaschistischen Kräften durchsetzt sei. Als Pazifist bezeichnet sich Ehlert aber keinesfalls. »Ich hätte mir vorstellen können, in der NVA meinen Dienst zu tun. Nicht weil ich gerne Soldat sein wollte, sondern weil diese Armee Werte verteidigte, die sich nach der Annexion der DDR nicht mehr durchsetzen lassen: das Einstehen für Frieden und Völkerfreundschaft.«
Den Verweigerern drohen bis zu fünf Jahre Haft. Mehr als 21 Monate Gefängnisstrafe ohne Bewährung hat es in der Bundesrepublik aber nie gegeben, so Siemens. Das Amtsgericht Dresden setzte beispielsweise bisher Freiheitsstrafen von sechs bis zehn Monaten stets zur Bewährung aus.

www.kampagne.de

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