Loock blieb auf dem Schimmel sitzen

Die »Wohnmaschine« entstand als erste private Galerie in der Auguststraße in Mitte

Mit unserer Serie gehen wir ein Jahr lang immer mittwochs auf Zeitreise in den Alltag von 1989. Kleine wie große Ereignisse in der damals noch geteilten Stadt werden eine Rolle spielen. An die Atmosphäre im Wendejahr wollen wir erinnern und an Courage. Verschwundene Orte tauchen wieder auf. Von anderen wird erzählt, die erst 1989 entstanden. Auch Zeitzeugen kommen zu Wort. So soll sich übers Jahr ein Porträt unserer Stadt über die spannende Zeit vor 15 Jahren fügen. Artikel der Serie könnten manchen reizen, sich zu Wort zu melden, weil er in der Nähe der beschriebenen Orte wohnt oder wohnte, weil ihm diese oder jene eigene Episode wieder eingefallen ist. Meinungen und Hinweise sind willkommen. Wir werden sie in Leserbriefen veröffentlichen (ND-Schröter).

Merkwürdiges ereignete sich heute vor exakt 15 Jahren in der Auguststraße in Mitte. Keine Galerie war zu sehen. Die Fassaden der Gründerzeithäuser bröckelten. Sie waren vernarbt von Wind, Frost und Regen; Spuren des Kampfes um Berlin im Zweiten Weltkrieg waren noch auszumachen. Spärliches Licht warf seine Schatten. In einem der am Straßenrand geparkten Autos, sicherlich ein Wartburg, werden Männer gesessen und die meist jungen Menschen beobachtet haben, die zum Eckhaus August-/ Tucholskystraße strebten. Einige der Passanten hatten Taschen und Beutel dabei. Darin, meist ordentlich verpackt, Einweckgläser, Tassen und Töpfe. In den Behältnissen wiederum breiteten sich vielfältigste Schimmelkulturen aus. Der Künstler und Musiker Robert Lippok hatte zur Eröffnung seiner Ausstellung »Schimmelmaschinen und Schimmel« eingeladen und die Vernissagegäste aufgefordert, doch ihren hauseigenen Schimmel mitzubringen. Mit großem Erfolg, wie sich der Galerist Friedrich Loock erinnert. »Viele sind auf das Angebot eingegangen. Einer kam sogar mit einer schimmligen Pfanne in der Hand an.« Lippok steuerte als Initiator dieser eigenwilligen Zustandsbeschreibung der DDR kinetische Maschinen bei. Da drehte sich mal was, klapperte und erzeugte Töne. Sonst passierte nichts. Die Maschinen produzierten symbolisch. Die Verbindung zu den Schimmelkulturen, die sich im Zuge der Ausstellung noch vergrößerten, lag nahe. Beschleunigten die Apparate deren Wachstum? Nur gut zwei Wochen behielt der Galerist diesen Prozess im Auge. Der Künstler Lippok hatte derweil überraschend seinen Ausreiseantrag bestätigt bekommen und musste binnen 24 Sunden die DDR verlassen. Seinen Galeristen ließ Lippok mit dem Schimmel allein zurück. »Das war schon hart an der Grenze«, sagt Friedrich Loock heute. Nicht, dass Lippok weg war. Doch die Galerie war eigentlich die Wohnung von Loock. Er hatte die Lebensweise des Architekten, Städteplaners, Malers und Bildhauers Le Corbusier ernst genommen und dessen Vorstellung von der Vermischung von Kunst und Wohnen spielerisch umgesetzt. »Das war nun meine erste eigene Wohnung. Sie war so leer und nackt, als ich einzog. Da ist diese Idee entstanden.« 5,20m mal 4,20m, ein professionelles Hänge- und Lichtsystem - und fertig war die erste private Galerie im Osten Berlins. In dieser technischen Frage hatte Loock den Leipziger Judy Lübke, der seit einigen Jahren schon unter provisorischen Bedingungen die Galerie »Eigen +Art« betrieben hatte und eine Mentorrolle für den etwas jüngeren Berliner spielte, überholt. Loock meint: »Ich wollte mich absetzen vom maroden Charme einer Atelieratmosphäre.« Einen ersten Ausstellungsversuch startete der spätere Galerist mit mehrfach belichteten Fotos von Wolfram Ehrhardt bereits im November 1988. Lippok kam und fragte, ob Loock so etwas zu wiederholen gedachte. Loock bejahte und musste sich anhören, dass so etwas als Projekt doch ziemlich mager klinge. So fragte Loock bei Freunden und Bekannten herum und hatte schnell ein Jahresprogramm an Ausstellungen zusammen. »Die Ausstellungen waren ja nur ein Teil meiner Aktivitäten. Damals hielt ich mich in der - wie soll man das nennen - oppositionellen Ostjugend auf. Das war eine Kultur des Selbermachens. Jeder hat da etwas ausprobiert. Ich schneiderte meine Klamotten selbst, baute Möbel, probierte alle möglichen Sportarten aus.« Friedrich Loock war zu dieser Zeit in der Tischlerei des Maxim-Gorki-Theaters beschäftigt und wünschte sich eigentlich, Bühnenbildner zu werden. Dass dann ausgerechnet ein Galerist aus ihm geworden ist, scheint ihn heute noch ein wenig zu überraschen. Relikt seiner Zeit als Möbelbauer ist ein leuchtend roter, am Fuß verspiegelter Sessel, der noch immer im Büro der »Wohnmaschine« steht. Unter den Sitz ist Platz für eine Anlage und Schallplatten ausgespart. Das Möbelstück ist ein frühes Soundsystem. Die Existenz der Galerie hatte sich damals schnell herumgesprochen. Mittwochs von 17 bis 19 Uhr und sonntags von 15 bis 19 Uhr hatte der Privatgalerist als Zeiten vereinbart, in denen er zu Hause war. Aber auch außerhalb dieser »Öffnungszeiten« hatte die Galerie Besucher. »Wenn Licht brannte, kamen die Leute bis früh um 1 Uhr hoch. Manchmal auch, wenn kein Licht brannte. Dann haben wir eine Pulle Wein geöffnet. Ich fand das klasse.« Loocks Freundin Michaela Irmscher hatte damit mehr Probleme. »Die Leute bedienten sich mitunter ihrer Kosmetika. Das fand sie gar nicht toll«, erinnert sich der Galerist. Dass um die »Wohnmaschine« herum später das Galerienviertel Berlins entstehen sollte, hatte Loock sich damals nicht ausmalen können. Doch so groß sind für den geborenen Mitte-Menschen die Veränderungen bis heute gar nicht. »Mitte, das war schon immer Bewegung, auch zu DDR-Zeiten. Ich kann mich erinnern, wie hier in den 70ern die ersten Neubauten hochgezogen wurden. Es waren schon immer Touristen in den Straßen von Scheunenviertel und Spandauer Vorstadt unterwegs. Es gab spontanen Kontakt zu Westberlinern.« Eines Sonntags habe er eine Kunststudentin aufgegabelt. »Die hat einen Bäcker gesucht. Aber am Sonntag gab es hier keinen Bäcker. Da lud ich sie zu mir zum Frühstück ein. Wir haben dann einen schönen Tag miteinander verbracht.« So einfach sei das Leben gewesen. Mit der Szene von Prenzlauer Berg hatte Loock nicht viel zu tun. »Die waren fünf, sechs Jahre älter. Das ist eine gewaltige Distanz, wenn man zwanzig ist.« Loock wollte zeigen, was seinem Lebensgefühl entsprach. Als Galerist beginnt man meist mit gleichaltrigen Künstlern, hat er festgestellt. Erst mit zunehmendem Alter erweitere sich die Spanne. Im Sommer 1989 hat sich Friedrich Loock oft allein gefühlt. »Viele Freunde waren in den Westen gegangen.« Doch der Galerist hatte sein Jahresprogramm. Das wollte abgearbeitet werden. Unterschiedlichste Formen trafen da aufeinander. Malerei und Aktionen, Lampendesign, Grafik vom späteren Filmemacher Marco Willms, Comics von Holger Fickelscherer. Der heutige Volksbühnenschauspieler Milan Peschel hatte in der »Wohnmaschine« seine erste - und einzige, wie Loock betont - Malerei-Ausstellung. Aus dem Jahresprogramm wurde ein Drei-, dann ein Fünfjahresprogramm. Irgendwann verkaufte Loock das erste Bild. Er fand heraus, dass er sich mit Kunstverkäufen ernähren und seinen Galeriebetrieb finanzieren kann. Auch das scheint ihn zuweilen zu erstaunen. Jetzt reicht sein Kundenkreis bis in die USA und Japan. Eine seiner Künstlerinnen, Miwa Yanagi, s...

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