Nach 60 Jahren nicht mehr geheim - Luftbilder der RAF
Fünf Millionen Draufsichten auf den Krieg: Rauch über Auschwitz, Leichen an der Kanalküste, Lastensegler bei Arnheim
Für zehn britische Pfund kann man auf den größten Völkermord des vergangenen Jahrhunderts schauen. Seit gestern werden via Internet fünf Millionen bislang geheime Luftbilder der Royal Air Force angeboten.
Die Fakten sind bekannt, auch Bilder haben wir diverse gesehen - vom D-Day, an dem die westalliierten Truppen den Ärmelkanal überquerten. Wir kennen Aufnahmen deutscher Städte vor und nach den Angriffen, die Abschusseinrichtungen von Hitlers V-Waffen sind fotografisch vermessen worden ebenso wie U-Boot-Bunker am Atlantik. Die Aufklärer der britischen Royal Air Force und der US-Army-Air-Force haben ganze Arbeit geleistet, um Bomberpiloten wie Bodentruppen Ziele zuweisen zu können. Vor einem Jahr begann man an der britischen Keele University mit der Digitalisierung der zum Nationalarchiv gehörenden Luftbilder aus dem Zweiten Weltkrieg. Allan Williams, der Chef dieser Aktion, stieß - so berichtete er am Wochenende dem »Guardian« - auf bislang völlig unbekannte Ansichten. Die Auflösung der Fotos ist teilweise so gut, dass man grausige Details erkennen kann. So sieht man - während Einheiten versuchen, die Küste der Normandie zu erstürmen - Leichen im Wasser treiben. Gestochen scharf sind Fotos vom Schlachtschiff »Tirpitz«. Der »Guardian« verwechselt sie mit der »Bismarck«. Versteckt in einem norwegischen Fjord wartet das angeschlagene Westentaschen-Schlachtschiff auf seine Vernichtung: Die kurz nachdem die Fotos bei der britischen Admiralität vorlagen, erfolgte. Grauenvoll sind Fotos vom Vernichtungslager Auschwitz. Man kann Häftlinge zählen, die zum Appell antreten. Eines der Bilder wurde am 23. August 1944 gegen 11 Uhr aufgenommen. Über einer Grube steigt dichter Rauch auf. Es war die Zeit, da die Krematorien die »Lieferungen« aus den Gaskammern nicht mehr aufnehmen konnten. Woche um Woche kamen damals an der Rampe Züge aus Ungarn an - sie brachten eine halbe Million Juden in die Nazi-Todesfabrik. Die nun vorgestellten Bilder erneuern eine Diskussion, die bereits 1978 geführt worden ist. Damals hatten die CIA-Mitarbeiter Dino Brugioni und Robert Poirer im Archiv des US-Militärgeheimdienstes DIA ebenfalls Luftbilder vom Todeslager Auschwitz entdeckt. Sie waren von Aufklärern unter dem Kommando der 15. US- Army-Air-Force im Zeitraum zwischen 4. April 1944 und dem 14. Januar 1945 gemacht worden. Bislang wusste man nicht, dass auch britische Piloten mit ihren »Mosquitos« über dem Lager kreisten. Doch es gab vonseiten der Alliierten nicht einmal den Versuch, das zu ahnende Geschehen zu unterbinden. Eine systematische Bombardierung der Eisenbahnanlagen hätte den Transport der Todesgeweihten zumindest behindern können. Wie punktgenau Angriffe geflogen werden konnten, bewiesen RAF- und US-Besatzungen, wenn sie verbunkerte V-Waffen-Rampen zerstörten. Die Gaskammern zu treffen, wäre auch über die große Entfernung hinweg möglich gewesen. Doch Konzentrations- und Vernichtungslager standen nicht auf der Prioritätenliste der militärischen und politischen Planer. Und damit weder auf der Auswertungskladde der britischen Station in Medmenham bei London noch auf der von in Italien stationierten US-Kollegen. Zwar beobachtete man gemeinsam sehr genau den Baufortschritt des IG-Farben-Betriebes Monovitz und damit auch die Todeslager, doch die Sorge der Anti-Hitler-Allianz galt ausschließlich der Produktion von synthetischem Benzin und Buna-Gummi. Zwischen den nun aufgefundenen RAF-Fotos vom 23. August 1944 und der Befreiung der letzten Überlebenden v...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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