Werbung

Dieser Text ist Teil des nd-Archivs seit 1946.

Um die Inhalte, die in den Jahrgängen bis 2001 als gedrucktes Papier vorliegen, in eine digitalisierte Fassung zu übertragen, wurde eine automatische Text- und Layouterkennung eingesetzt. Je älter das Original, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass der automatische Erkennvorgang bei einzelnen Wörtern oder Absätzen auf Probleme stößt.

Es kann also vereinzelt vorkommen, dass Texte fehlerhaft sind.

Vierzig Jahre und ein bißchen weise

Künstler ziehen im Rathaus Schöneberg Bilanz über ihre Jahrzehnte Welterfahrung

  • Lesedauer: 3 Min.

Die „Argo 1994“ ist direkt vor einem gestrandet, wenn man die lichtdurchflutete Ausstellungshalle im Rathaus Schöneberg betritt. Ob als Schiffswrack, Flugobjekt oder Phantasieruine interpretiert, besticht das meterlange wellenförmige Konstrukt aus Metall und Seidenpapier durch seine marode Schönheit. Der Apparat ist allerdings auch keine Zeitmaschine. Damit hätte die Künstlerin Annette Hilbrecht gegen die Spielregeln der Ausstellung verstoßen. Der Titel „40 Jahre sind genug. “ bezieht sich auf die vier Jahrzehnte Welterfahrung, auf die sechs Bildhauer und Maler zurückblicken können. Gemeinsam haben sie, alle Anfang 50, die Ausbildung an der Hochschule der Künste. Wie unterschiedlich sich eine Generation an einem Ort entwickeln kann, dafür wird der Beweis angetreten.

Da ist David Lee Thompson, der schrillste, originellste und auch aufregendste Kunstautor des Sextetts. Er, 1951 in Fargo, USA, geboren, bastelt aus unterschiedlichsten Materialien und Gegenständen skurrilkonstruktivistische Plastiken. Aus Telefonhörer, Granitquader, Wurzelwerk, Pumps und Lichtsirenen wachsen die einzelnen Fundstücke zu homogenen Kompositionen. Als seien es Wundermaschinen, die blinken und leuchten, verkörpern die mit viel Fingerspitzengefühl nach dem Baukastenprinzip zusammengesetzten Skulpturen eine sehr ernstzunehmende Form von Humor. Ironie ist hier mehr als ein Spiel - vielleicht sogar eine Philosophie des Überlebens. Geradezu konventionell nehmen sich dagegen die Bilder von Klaus Schweier aus. In pastellene Farbwolken sind figürliche Konturen geritzt: sie

erinnern an archaische Hieroglyphen. Das ist Kunst, die sagt, daß sie etwas verschweigt, und die so mythischen Freiraum schafft.

Eva Paul, 1951 in Radebeul geboren, zeigt ein in grünem Nebel waberndes Stadtbild in Öl. Im vergangenen Jahr experimentierte sie mit Live-Malerei zu einer Theateraufführung der Freien Oper Berlin. Über Overheadprojektion lieferte der Malprozeß das Bühnenbild. Die Resultate und ein Video dokumentieren diese Begegnung der Bildenden mit der Darstellenden Kunst.

Im Kontrast zu Pauls Risikolust steht Thomas Bortfeldt, der dritte Maler im 40er Gespann. Er bedient sich einer Mischtechnik auf Holz und bietet Präzision. Schwelgend in warmen, beige-braunen Tönen, läßt er mit der Variation von Rundformen an Virilio denken: „Der Kopf ist rund, da-

mit das Denken die Richtung wechseln kann.“

Ganz und gar kompromißlos kommen die aus rostigen Schrottstücken geschweißten Schwermetalle von Klaus Duschat daher. Seine „T-Finger“ sind pilzartig geformte, ins Überdimensionale vergrößerte Trompetentasten. In ihrer Rauhigkeit wirken sie wie Stolpersteine. Das mag aber auch am räumlichen Aufbau der Ausstellung liegen. Sechs Künstler, sechs Konzepte werden so chaotisch angeordnet präsentiert, daß ihr Zusammenhang nicht ersichtlich ist. Den muß sich der Besucher denken und also doch (gedanklich) die „Argo“ besteigen - zwecks einer Reise in die Innenwelten, die die Kunstwerke vermitteln.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal