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Ranta wirft OSZE Unfähigkeit vor
Neue Diskussion um das »Massaker von Racak«
Die Diskussion um die fünf Jahre zurückliegenden Vorgänge im kosovarischen Dorf Racak wird neu entfacht. Seinerzeit lieferte das »Massaker von Racak« der NATO eine entscheidende Begründung für den zwei Monate später begonnenen Krieg gegen Jugoslawien.
Am 16. Januar 1999 waren in der Nähe des kosovarischen Dorfes Racak die Leichen von 45 Kosovo-Albanern gefunden worden. Der damalige Leiter der OSZE-Mission in Kosovo, der US-Amerikaner William Walker, sprach umgehend von einem Massaker serbischer Sicherheitskräfte. Die serbische Seite wandte dagegen ein, es habe sich um Opfer eines Gefechts mit der »Kosovo-Befreiungsarmee« UCK gehandelt. Heute wirft Helena Ranta, die finnische Leiterin des Teams von Gerichtsmedizinerin, das damals mit der Untersuchung der Vorgänge betraut war, der OSZE-Mission eklatante Fehler vor. Schon vor einer Woche äußerte Ranta gegenüber der »Berliner Zeitung«, die Aussagen von Walker, wonach es sich in Racak um ein Massaker gehandelt habe, hätten »rechtlich keinerlei Wirkung«. Letztendlich nämlich sei es Walker gewesen, der kurz nach der Entdeckung der Leichen samt einem Trupp von Journalisten am Tatort herumgestapft sei und die Spurensicherung dadurch erheblich erschwert habe. »Was ich kritisiere, ist die völlige Unfähigkeit der OSZE, auf die damalige Situation richtig zu reagieren«, sagte Ranta gestern gegenüber ND. Die Vorgänge in Racak haben einen zentralen Stellenwert auch im Prozess gegen den ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic vor dem Jugoslawien-Tribunal in Den Haag. Aus der Zeit vor dem Beginn des NATO-Kriegs am 24. März 1999 ist der »Fall Racak« nämlich der einzige, der Milosevic von der Anklage zur Last gelegt wird. Von Belgrad aus soll er auch die Operation serbischer Sicherheitskräfte in Racak geleitet haben. Bloß bewegt sich Chefanklägerin Carla Del Ponte gerade in diesem Fall auf dünnem Eis, weil eben die Untersuchungen der Gerichtsmediziner durch Walker und dessen amateurhaftes Auftreten am Fundort enorm erschwert wurden. Wenn also Milosevic in diesem Fall keine Schuld nachgewiesen werden könnte, dann unter anderem deshalb, weil OSZE-Missionschef William Walker im Januar 1999 völlig falsch agiert hat. Im Wiener OSZE-Hauptquartier hat man heute zu den Ereignissen von damals keine offizielle Meinung mehr. Ein Sprecher der Organisation erklärte gegenüber ND, man wolle dazu nichts mehr sagen, weil man »die Mitglieder der heutigen OSZE-Mission in Kosovo nicht demoralisieren will«. Ein zumindest seltsamer historischer Vergleich folgte dieser Argumentation: »Das ist eine neue Generation von Mitarbeitern, die heute dort arbeiten. Die wollen wir nicht da reinziehen. Es ist ja jungen Deutschen auch nicht recht, wenn man ihnen heute die Schuld für den Holocaust gibt, den vergangene Generationen verbrochen haben.« Selbst die Möglichkeit eines Freispruchs Milosevics im Falle Racak macht die OSZE nicht nervös: »Racak ist natürlich ein Symbol, aber Milosevic hat auch woanders so viel angerichtet, dass man sich da keine Sorgen zu machen braucht«, äußerte der OSZE-Sprecher gegenüber ND. Den Namen Helena Ranta hatte der junge Mann überhaupt zum ersten Mal gehört. Wegen der Äußerungen der finnischen Gerichtsmedizinerin fordert der Kosovo-Koordinator der serbischen Regierung, Nebojsa Covic, nun die Einrichtung einer neuen internationalen Kommission zur endgültigen Aufklärung der damaligen Ereignisse. Er wirft Walker allerdings nicht Unfähigkeit, sondern bewusstes Handeln vor. »Die Vorgänge in Racak sind ein Beweis für die betrügerische Begründung der NATO für ihren Angriff auf Jugoslawien«, sagte Covic dieser Tage. »Der Staat und die Bürger wurden wegen Walker und seinen Tricks bombardiert.« Und weiter: »Wenn Milosevic sich für alles, was er getan hat, verantworten muss, dann sollte sich auch Walker für seine Irreführung verantworten.« Helena Ranta erklärte zu dem Vorstoß Covics, sie halte die Einrichtung einer neuen internationalen Kommission zwar nicht unbedingt für nötig, werde aber einem solchen Gremium alle ihr zugänglichen Informationen gerne zur Verfügung stellen. Gestern traf Ranta in Stockholm mit dem derzeitigen UN-Administrator für Kosovo, ihrem Landsmann Harri Holkeri, zusammen, um mit ihm über...Zum Weiterlesen gibt es folgende Möglichkeiten:
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