War Mounir el Motassadeq Terroristengehilfe?

BGH entscheidet erst am 4. März über Revisionsantrag des zu 15 Jahren Haft verurteilten Marokkaners

  • Claus Dümde
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach der gestrigen mündlichen Verhandlung über die Revision des vom Oberlandesgericht Hamburg wegen Beihilfe zum Mord und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 15 Jahren Haft verurteilten Mounir el Motassadeq erwarten Prozessbeobachter eine Aufhebung des Urteils. Seine Entscheidung verkündet der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) aber erst am 4. März.
Fünf Wochen Frist zwischen der Erörterung möglicher Rechtsfehler im Verfahren gegen den heute 29-jährigen Marokkaner vor dem 3. Strafsenat des Hanseatischen OLG Hamburg bzw. in dessen am 19. Februar vorigen Jahres verkündeten Urteil durch Verteidiger, Bundesanwälte und -richter sowie der Verkündung einer Entscheidung sind ungewöhnlich. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass sich der für Staatsschutzsachen zuständige BGH-Senat in der Beurteilung des Falles nicht einig ist und sich daher auch für die abschließende interne Beratung und die Formulierung der Urteilsgründe ausreichend Zeit nehmen will. Letzteres liegt auch deshalb nahe, weil gestern nicht nur die Verteidiger, sondern auch die Bundesrichter äußerten, dass sich ihre OLG-Kollegen angesichts fehlender Zeugen möglicherweise einer besonders sorgfältigen Sachverhaltsaufklärung hätten befleißigen müssen. Genau das rügte die Verteidigung des wegen Beihilfe zum Mord in 3066 Fällen sowie zum versuchten Mord und zur gefährlichen Körperverletzung in fünf Fällen zur möglichen Höchststrafe verurteilten El Motassadeq. Dem Urteil zufolge habe er als Mitglied der terroristischen Vereinigung um den Flugzeugentführer und -attentäter Mohammed Atta ihn und dessen Mittäter der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA bei deren Vorbereitung unterstützt. Dies ist seit der am 10. Dezember 2003 im Prozess gegen Abdelghani Mzoudi vorm selben Hamburger OLG-Senat erfolgten Verlesung eines Schreibens des Bundeskriminalamts fraglicher denn je. Denn darin heißt es, eine namentlich nicht genannte »Auskunftsperson« habe erklärt, dass weder Mzoudi noch El Motassadeq in die Anschlagsplanungen eingeweiht gewesen seien. Dies kann nach Lage der Dinge nur der in den USA festgehaltene mutmaßliche »Logistiker« der Attentäter, Ramzi Binalshibh, sein. Nicht nur dessen Auftritt als Zeuge in Hamburg, sondern auch die Verwendung seiner deutschen Polizei- und Justizbehörden in Zusammenfassungen übermittelten Aussagen in dem Hamburger Prozess hatte Washington völkerrechtswidrig verweigert. Und alle deutschen Behörden sowie der OLG-Staatsschutzsenat nahmen das hin, stellten den Zeugen als »unerreichbar« hin. Immerhin wurde aufgrund Binalshibhs in dem BKA-Schreiben anonymisierter Behauptung, wer in die Pläne eingeweiht war und wer nicht, Mzoudi sofort aus der Untersuchungshaft entlassen, während dies das OLG wie der BGH Motassadeq verweigerten. Aufschlussreich war die Begründung des 3. BGH-Strafsenats dafür. Der Stand der beiden Hamburger »Terroristenprozesse« unterscheide sich »wesentlich«, hieß es in der Pressemitteilung. »Gegen den Angeklagten El Motassadeq liegt bereits ein erstinstanzliches Urteil vor, das in der Revisionsinstanz nur auf Rechtsfehler überprüft werden kann. Neu aufgetauchte Beweismittel haben für die Entscheidung über die Revision des Angeklagten keine Bedeutung.« So ungerecht, ja absurd das anmutet, so zutreffend ist es. Daher konzentrierten sich die beiden Anwälte El Motassadeqs auch gestern darauf, dem OLG-Senat Rechtsfehler nachzuweisen: So forderte Josef Gräßle-Münscher den 3. BGH-Senat auf, das Verhältnis der vermeintlichen Hamburger »Terroristenzelle« zum Al-Qaida-Netzwerk zu überprüfen. Bei der »Studentengruppe« in der Hansestadt habe es sich nicht um eine selbständige terroristische Vereinigung gehandelt. Daher sei das Urteil aufzuheben. Ko-Verteidiger Gerhard Strate nannte es »sehr gewagt, auf einen unmittelbaren Tatzeugen zu verzichten«. Er betonte, dass ein Angeklagter ebenso wie die Anklage das Recht habe, Zeugen zu benennen. Wenn auf die Aussagen Binalshibs verzichtet wird, stelle das den in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerten Grundsatz eines fairen Verfahrens in Frage. Senatsvorsitzender Klaus Tolksdorf brachte die Schwäche des Hamburger Urteils in einer rhetorischen Frage auf den Punkt: »Wenn staatliche Stellen Beweismittel sperren und so eine umfängliche Beweisaufnahme verhindern, ist dann nicht eine besonders sorgfältige Beweiswürdigung geboten?«

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