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Billige Rache für ein fragwürdiges „Meisterwerk

20 Jahre nach Günter Guillaumes Enttarnung gehen die deutsch-deutschen Spionagequerelen weiter Von SEBASTIAN THURM

  • Lesedauer: 3 Min.

Günter Guillaume - zurückgekehrt an die Stätte 20jährigen Wirkens

Foto: ND-Archiv

Das wollte Günter Guillaume nun doch nicht - den 20. Jahrestag seiner Verhaftung am 24. April 1974 ausgerechnet im bleiplattenbewehrten Bunker des Düsseldorfer Oberlandesgerichts begehen. Dort findet derzeit der Prozeß gegen seine früheren Führungsoffiziere aus der Hauptverwaltung Aufklärung statt, und der Vorsitzende Richter Dr. Klaus Wagner hatte ihn ausgerechnet zum gestrigen Freitag als Zeugen vorgeladen. Aber Guillaume meldete sich krank; in jenem Gerichtssaal war der 67jährige am 15. Dezember 1975 zu 13 Jahren Haft verurteilt worden, weshalb er ihm - wie er anläßlich seiner Zeugenaussage im Wolf-Prozeß gestand - noch immer Beklemmung bereitet. Erst 1981 hatte er freigelassen worden.

Guillaumes Spionagetätigkeit, zunächst in der örtlichen SPD Frankfurt/Mains, später im Bundesvorstand der Partei und schließlich als Referent an der Seite Willy Brandts, hatte auch fast 20 Jahre gedauert - aus seiner Sicht ohne Zweifel ein „Meisterwerk“, wie er später stolz erklärte. Zu solcher professioneller Leistung stand allerdings der politische Sinn dieses Einsatzes spätestens von dem Zeitpunkt an im Widerspruch, als Brandt seine Ostpolitik kreierte und praktisch umsetzte. Später gestand selbst Wolf ein, daß die Fortsetzung des Guillaumeschen Wirkens ein Fehler war; seinerzeit aber wollte man solch ein Trumpf-As wohl nicht in den Skat drücken.

Auch nach 20 Jahren ist beim bundesrepublikanischen Establishment das Trauma über jenen so spektakulären wie fragwürdigen Erfolg der DDR-Spionage noch nicht überwunden - im Gegenteil.

Den Prozessen gegen die im Westen plazierten Aufklärer der HVA folgen nun solche gegen ihre Inspiratoren und Auftraggeber aus der früheren DDR. Der Rückzug der Kammer Dr. Wagners in den abhörsicheren Keller am Düsseldorfer Rheinufer mutet heute zwar etwas grotesk an - wer will jetzt noch was mit Richtmikrofonen anpeilen? Und mit seinen Fragen erweckt der Vorsitzende auch nicht den Eindruck, als ob er noch viel Neues zum jeweiligen Verfahren erwartet, zumal für ihn das Urteil jeweils schon festzustehen scheint. So beschränkt er sich darauf, seine Wißbegierde zu Randfragen zu befriedigen oder auch schon mal den einen oder anderen Zeugen, vor allem aus der HVA, aufs Glatteis zu führen und so den aufmerksam lauschenden Karlsruher Anwälten Stoff für einen Anfangsverdacht zu liefern, der dann leicht in ein neues Ermittlungsverfahren münden kann.

Denn die Bundesanwaltschaft ist eifrig dabei, die Zeit, bis das Bundesverfassungsgericht die ihm seit zwei Jahren vorliegende Frage beantwortet, ob die Strafverfolgung allein von DDR-Spionageführern und nicht auch ihrer BND-Kollegen gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verstößt, optimal zu nutzen. Bundesanwalt Lampe, einer der Ankläger von Markus Wolf, bietet jedermann die Wette an, daß seine Arbeit nicht umsonst gewesen sein werde, und fügt unverblümt hinzu: „Mit unse-

ren Anklagen wollen wir natürlich Fakten schaffen, an denen das Bundesverfassungsgericht nicht vorbeigehen kann.“

Andere senken ihre Stimmen und lassen durchblicken, das lange Ausbleiben eines höchstrichterlichen Urteils sei ein Skandal; erst jetzt habe der BVG überhaupt ein völkerrechtliches Gutachten in Auftrag gegeben. Selbst beteiligte Staatsanwälte können einen juristischen Sinn in den ständig neuen Ermittlungen und Anklagen kaum noch erken-

nen; so bleibt - außer penibler Dienstbeflissenheit - nur das Motiv der Revanche, der billigen Rache am seit langem geschlagenen einstigen Gegner Wie man hört, ist der nächste Akt schon in Vorbereitung die Anklage gegen den HVA-Hauptmann Alfred Völkel, der jahrelang den SPD-Politiker Karl Wienand abgeschöpft haben soll. Am liebsten würde Karlsruhe letzteren gleich mit auf die Anklagebank bringen, doch dafür scheinen die Beweise noch etwas dürftig. Aber die Jagd geht weiter

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