Schwer verstrahlt und schnell vergessen

Direkt an der legendären Hoggar-Piste in der Sahara liegt ein früheres französisches Atomversuchsgelände

  • Wolfgang B. Kleiner
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Über 2000 atomare Sprengsätze wurden seit 1945 gezündet. Manche sogar öffentlich zugängliche Detonationsorte sind in Vergessenheit geraten. Die Strahlengefahren sind dort nach wie vor vorhanden - noch für viele Tausend Jahre.

In Ecker liegt mitten in der Sahara, 150 Kilometer nördlich von Tamanrasset, 1500 Kilometer südlich von Algier, an der legendären Hoggar-Piste, der Hauptroute durch die algerische Wüste. Der Ort ist in fast jeder Afrika-Karte verzeichnet, besteht aber nur aus ein paar Hütten und einer Tankstelle. Rundum liegen Fahrzeugwracks, leere Ölfässer, Zivilisationsmüll, wie das am Rande der Sahara-Orte so üblich ist. Beduinen wohnen in der weiteren Umgebung. Das mächtige Bergmassiv Taourit Tan Afella ist die dominierende Landmarke, ein über tausend Meter hoher, rundgeschliffener monolithischer Klotz, dem Ayers Rock in Australien nicht unähnlich. Es ist der erste Ausläufer des über 3000 Meter hohen Hoggar-Gebirges. In diesem Granitmassiv führte die Kolonialmacht Frankreich von 1962 bis 1966 insgesamt 13 unterirdische Atomtests durch. Bereits beim zweiten Test »mittlerer Stärke« mit dem Namen »Beryl« - am 1. Mai 1962 - kam es zu einem folgenschweren Unfall. Hohe Generalität war eingeflogen worden und hatte in weißen Paradeuniformen auf einer etwa 5 Kilometer vom Berg aufgebauten Tribüne Platz genommen. Auch einige französische Minister waren anwesend. Einfache Soldaten wurden angewiesen, sich nah am Berg aufzuhalten, um das als »schön« gepriesene Experiment aus nächster Nähe mitzuerleben. Die Bombe war in einem horizontalen Schacht mitten im Berg platziert, acht gepanzerte Tore sollten den Austritt der hochradioaktiven Explosionsgase verhindern. Der ehemalige Soldat Jacques Muller berichtete auf einer Anhörung des französischen Senats im Januar 2002: »Es war spektakulär. Der ganze Berg verfärbte sich weiß, der Boden verformte sich wellenförmig, auch die roten und schwarzen Flammen und die Wolke, die aus dem Schacht herausschossen, erschien mir schön. Uns wurde vorher gesagt, dass der Test völlig harmlos sei, deshalb reagierten wir alle zunächst nicht auf den Ausbruch. Schließlich setzte sich doch Panik durch, alle rannten durcheinander, versuchten sich in die weiter entfernt liegenden Wohnquartiere zu retten. Aber genau dorthin zog die atomare Wolke!« Wie andere Soldaten auch, musste Muller seine ganze persönliche Ausrüstung abgeben, sein Dosimeter wurde ihm abgenommen, er musste sich stundenlang unter die Dusche stellen, wurde dann kahl geschoren. Er blieb aber noch eineinhalb Jahre in der kontaminierten Zone stationiert, ohne weitere medizinische Untersuchung oder Behandlung. Seine Krankenakte bleibt nach französischem Militärrecht 60 Jahre unter Verschluss, auch an den Dosimetertest kommt er nicht heran. In späteren Jahren erkrankte Muller schwer an den Augen, konnte aber den Zusammenhang wegen der militärischen Geheimniskrämerei nicht beweisen. Auch der Soldat Michel Dessoubrais geriet am 1. Mai 1962 in die atomare Wolke und hielt sich in Unkenntnis der Gefahr noch stundenlang ohne Schutzkleidung am Berg auf. Er musste acht Monate in einem französischen Militärkrankenhaus verbringen, seine Krankenakte bekam auch er nicht zu Gesicht. Er heiratete zwei Jahre später, das Paar bekam Zwillinge. Die Neugeborenen waren nicht lebensfähig und starben eine Woche nach der Geburt. Das Paar bekam noch zwei Töchter, beide mit schweren Gesundheitsproblemen, die Dessoubrais auf die Strahlungsdosis zurückführt, die er in In Ecker abbekommen hat. Und die Minister, die auf den Roten Knopf gedrückt hatten? Ein Minister Palewski starb an Leukämie, ein Minister Messner erklärte 1999 auf einer Pressekonferenz: »Ich wurde schwer verstrahlt, aber man hat sich sehr gut um mich gekümmert.« Und die anderen Augenzeugen, die Bewohner der Region? Wurden offenbar schnell vergessen. Militärgeheimnis. Das Atomversuchsgelände »In Ecker« liegt direkt an der relativ viel befahrenen Hoggar-Piste, für jedermann zugänglich. Ein verrostetes Schild aus alter Zeit verweist weit abseits der Piste darauf, dass man sich in einer Militärzone aufhält, und man möge sich doch bitte bei der Kommandantur melden. Die Metallgestelle für die Tribüne des »Beryl«-Tests stehen heute noch, Eisen hält sich lange in der trockenen Sahara. Radioaktivität auch. Die Schächte, in denen die Bomben zur Explosion gebracht wurden, sind mit ein bisschen Drahtverhau gesichert, aber niemand hindert einen, sich dort aufzuhalten. Auch die Einheimischen, die in der Gegend leben, wissen nichts von der unsichtbaren Gefahr. Bei Reggane, 500 Kilometer weiter nordwestlich, hat Frankreich vier Atombomben in der Atmosphäre gezündet. Auch dort ist das Gelände zugänglich, kümmert sich heute niemand um die Strahlung. Algerien hat andere Probleme. Und das offizielle Frankreich weiß von nichts. Militärgeheimnis...

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