Die Alternative zur »Kalten Pracht«

Panke-Museum widmet sich dem Berliner Zimmer

  • Matthias Busse
  • Lesedauer: 3 Min.
Das Berliner Zimmer wird geliebt und verspottet. Nur der Berliner selbst weiß, was er an diesem meist dunklen Verbindungsraum zwischen Vorder- und Hinterhaus hat. Für ärmere Mieter bildete er Schlaf- oder Arbeitsraum und oft beides zusammen. Wohlhabende Bürger nutzten es als tägliches Familienzimmer, während das »Kalte Pracht« genannte, repräsentative Zimmer im Vorderhaus nur für besondere gesellschaftliche Anlässe geöffnet wurde. Friedrich Engels war 1893 nach dem Besuch bei Wilhelm und Nathalie Liebknecht entsetzt über deren »Wohnung mit Räumen, die so schrecklich verbaut sind«. Das Berliner Zimmer hatte für ihn »kaum eine Spur von Fenster«. Wie Recht er hatte, dem kann man im Panke-Museum nachspüren. Dort zeigt eine Ausstellung die Bau- und Nutzungsgeschichte dieser architektonischen Besonderheit in der original erhaltenen Wohnung des Fabrikanten Fritz Heyn (1849-1928). Der Besucheransturm schon am ersten Tag beweist auch die Popularität des Raumes, der für viele Menschen heute wieder ein Familienzimmer ist. Auch das Zimmer des Museums, das zum Seitenflügel mit Küche und Dienstmädchenkammer führt, wurde als Multifunktionsraum wieder hergerichtet. Eine Raucherecke ist zu sehen und ein Esstisch, den nun ein Gedeck aus dem Nachlass von Museumsgründer Rudolf Dörrier (1899-2002) ziert. Bis 1972 hatten dort noch zwei der 13 Heyn-Kinder gelebt und einiges aus der Bauzeit des Hauses 1893 bewahrt. So kann man auch den Unterschied zwischen dem einfacheren Berliner Zimmer und den reich ausgestatteten, mit Stuck- und Deckenbildern verzierten vorderen Salons erkennen. Heyn war nicht nur Unternehmer, sondern erfüllte als stellvertretender Gemeindevorsteher von Pankow auch öffentliche Aufgaben. Das Bedürfnis nach einem vorzeigbaren Lebensstil war auch der Grund für die Erfindung des Berliner Zimmers gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Zuvor waren Seitenflügel nicht üblich, aber die einzige Möglichkeit, die Wohnungen zu vergrößern und dort Schlaf- und Wirtschaftsräume unterzubringen. Die Verbindung schuf ein Zimmer auf der Rückseite des Vorderhauses, das bis in den Hof verlängert wurde, um wenigstens ein Fenster einbauen zu können. In anderen Städten gab es zwar auch Hofgebäude. Aber sie waren nicht vom Vorderhaus zugänglich. Das machte es unmöglich, auf veränderte Lebensbedürfnisse zu reagieren. Dagegen konnten in Berliner Mietshäusern sowohl Wohnungen im Vorderhaus verbunden, als auch Seitenflügel zu separaten Wohnungen abgetrennt werden. Die steigende Zahl von Arbeiterfamilien war ein weiterer Grund für die preiswerteren Hofgebäude. Aus dieser Bauweise ergab sich eine soziale Mischung, die in einem Haus von wohlhabenden Bürgern, über kleine Beamten und Handwerker bis zu Lohnarbeitern reichen konnte. Auch in der Ausstellung liegen bewahrte Pracht und als Fotos dokumentiertes Elend dicht beieinander. Bis 12.9., Di., Do. 10-18, So. 10-17.30 Uhr, Panke-Museum, Heynstraße 8, Pankow

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