Viren als Erfolgsmodell der Evolution

Grippe-Erreger sind nicht die ersten, denen der Mensch zu globaler Verbreitung verhalf

Kaum schien der SARS-Schock aus dem letzten Jahr verdaut, da brach eine neue bedrohliche Epidemie über Asien herein: die Vogelgrippe. Wie SARS wird auch diese Tierseuche von einem Virus ausgelöst, das Artenschranken überwunden und Menschen befallen hat. Viruskrankheiten, die vom Tier auf den Menschen übergegangen sind, kennt man aber schon sehr lange. So hatte die »Spanische Grippe«, die 1918/19 bis zu 40 Millionen Menschen das Leben kostete, vermutlich ihren Ursprung in Geflügelviren. Und das Aids auslösende HI-Virus stammt vermutlich von einem Erreger bei afrikanischen Affen. Vor einem Jahr fand das in Malaysia heimische Nipah-Virus über Schweine zum Menschen und verursachte 100 Todesfälle. Sein australischer Vetter, das Hendra-Virus, killte Mitte der neunziger Jahre 16 Pferde und zwei Menschen. Die Todeskette wurde durch den Biss einer Fledermaus in einen Pferdehals in Gang gesetzt. »Ausschlaggebend für die Renaissance altbekannter und das Auftreten neuer Seuchen ist letztlich wieder einmal das Handeln des Menschen«, betonte Professor Reinhard Kurth Ende vergangenen Jahres in einem Vortrag vor der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Technologische und medizinische Fortschritte, Veränderungen in Umwelt und Lebensstil sowie die »stark erhöhte individuelle Mobilität« nannte der Virologe und Präsident des Robert-Koch-Instituts als wesentliche Faktoren. Auch die Ausbreitung bestimmter landwirtschaftlicher Kulturen bleibt nicht ohne Folgen. Kurth belegt das am Beispiel des viralen hämorrhagischen Oropouche-Fiebers in Folge der Ausweitung des Kakaoanbaus in Mittel- und Südamerika. »Stechmücken, die Überträger des Virus, hatten in den zahllosen mit Regenwasser gefüllten Kakaoschalen ideale Brutbedingungen vorgefunden.« In Afrika seien durch umfangreiche Waldrodungen menschliche Infektionen mit Affenpocken aufgetreten. Es ist die Mobilität des Menschen, die für eine rasante Verbreitung von Erregern aller Art über die ganze Welt sorgt. So war die neue Fernstraße zwischen Kampala in Uganda und der kenianischen Hafenstadt Mombasa Anfang der 80er Jahre der Superhighway für die Verbreitung von Aids bis in entlegenste afrikanische Regionen. Und der SARS-Erreger kam im vergangenen Jahr buchstäblich im Fluge in wenigen Wochen von einem kleinen Infektionsherd in Südchina in 31 Länder. Folge: 8000 Infektionen, mehr als 800 Todesfälle und ein auf über 60 Milliarden Euro geschätzter wirtschaftlicher Schaden. Auch der AIDS-Erreger »reiste« im Düsenjet von Afrika in alle Welt. Der australische Virologe Bill Rawlinson sagt: »Ich zeige meinen Studenten das Foto einer Boeing 747 und sage: das ist der beste Vektor zur Übertragung eines Virus.« Zwar geht heute alles weit schneller, doch schon Händler der Antike, Eroberer und Entdecker vergangener Jahrhunderte verbreiteten ehedem lokale Seuchen in alle Welt. So entvölkerten die spanischen »Entdecker« Amerikas ganze Landstriche mit ihren Seuchen, brachten auf ihren Karavellen allerdings auch die Syphilis aus Zentralamerika nach Europa. Einen weiteren Gefahrenherd führt uns das Influenza-Virus vor Augen: die Massentierhaltung. 49 Milliarden Hühner werde die Menschheit in diesem Jahr verzehren, schrieb jüngst Joyce de Silva, Chefin der Organisation »Compassion in World Farming«, im Wissenschaftsmagazin »New Scientist«. Warum aber ist gerade Asien zum Brutherd von SARS und Vogelgrippe geworden? Die explodierende Nachfrage nach Geflügelfleisch veranlasst die asiatischen Bauern, immer mehr Federvieh auf engstem Raum zu halten. Zudem leben sie traditionsgemäß auf Tuchfühlung mit ihren Hühnern und Enten. Zu allem Übel kommt das Federvieh als lebende Ware auf die Märkte der überbevölkerten Millionenstädte wie Bangkok, Ho-Chi-Minh-Stadt oder Shanghai. Ideale Voraussetzung also für Mikroben wie den aktuellen Vogelgrippeerreger H5N1, auf andere Tiere oder eben Menschen überzuspringen. Und auch die Menschen wohnen dort meist auf engstem Raum. Zwei Drittel der Weltbevölkerung leben in Asien. So nimmt es nicht Wunder, wenn die Weltgesundheitsorganisation WHO den Ausgangspunkt von 80 Prozent aller neuen Grippevarianten der letzten Jahrzehnte in China ausmacht. Doch auch die übrigen Megastädte der Dritten Welt bieten optimale Bedingungen für die Entstehung und Ausbreitung von Seuchen. Denn zu den katastrophalen Hygieneverhältnissen kommt hinzu, dass dort das Gesundheitswesen meist schlecht funktioniert. Eben da müsse und könne aber auch die Vorbeugung von Infektionskrankheiten ansetzen, fordert Professor Kurth. Auch müsse das Netzwerk aus Mikrobiologen und Klinikern der WHO ausgebaut werden, die die »Slums der tropischen Megastädte« überwachten und zusammen mit internationalen mobilen Arbeitsgruppen aus Wissenschaftlern Verdachtsfällen von Infektionskrankheiten nachgehen könnten. Jedoch warnt Kurth vor zu viel Optimismus: »Wir werden uns auch in Zukunft auf die Veränderungsfähigkeit von Mikroorganismen, insbesondere der Viren, verlassen können.« Diese Verwandlungskunst der Viren aber ist es, die sie so unberechenbar wie gefährlich machen. Bisher hat es zwar keine Anzeichen dafür gegeben, dass der Erreger der Vogelgrippe bereits von Mensch zu Mensch weitergegeben worden ist. Die 23 an den Folgen der Vogelgrippe gestorbenen Thailänder und Vietnamesen hatten sich nach Angaben der WHO direkt bei infizierten Hühnern angesteckt. Die nächste große Grippewelle sei jedoch längst überfällig, warnt der australische Wissenschaftler John McKenzie. Diese Wellen ereigneten sich etwa alle 10 bis 30 Jahre. Seit der letzten großen Welle, der Hongkong-Grippe, seien aber bereits 40 Jahre vergangen, betont der Experte, der für die WHO in China den Kampf gegen SARS geführt hatte, und unkt, eine Mutation des...

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