• 29. Februar 1504 Kolumbus und die Mondfinsternis

Mit den Göttern zum Genozid

  • Gerhard Armanski
  • Lesedauer: 4 Min.
Vor 500 Jahren rettete die Vorhersage einer Mondfinsternis dem auf Jamaika gestrandeten Kolumbus das Leben - nicht jedoch das der Eingeborenen...
Aus Gold sammelt man Schätze, und wer es hat, der macht damit alles, was er in der Welt nur will«, schrieb der Seefahrer an die katholischen Könige. Und in der Tat, Gloria, Ruhm stand an zweiter Stelle für ihn und viele andere Entdecker - und weit abgeschlagen folgte die so oft gepriesene, angeblich notwendige Bekehrung der Einwohner. Die ersten Reisen hatten den Monarchen und ihren Sendboten aber nicht die erhoffte große Ausbeute gebracht. Kolumbus vermutete nun höffige Fundorte weiter im Westen und segelte auf seiner vierten Reise 1502 bis 1504 an der Küste der mittelamerikanischen Landbrücke entlang. Das Unternehmen verlief verlustreich und im wesentlichen erfolglos. Am Ende lungerte der marode Rest der Flotte fast ein Jahr in Jamaika, litt unter Krankheiten und Entbehrungen, meuterte, wartete auf Entsatz aus Kuba - und ließ sich indessen von den Eingeborenen verpflegen. Die waren zunächst von den exotischen Fremden beeindruckt, aber auf Dauer nicht willens, sie mehr oder minder unentgeltlich zu verköstigen. Kolumbus drang auf anständige Behandlung der Einwohner, was wohl angesichts deren Überzahl geraten schien. Gleichwohl nahm er wie selbstverständlich die Herrenrechte eines Eroberers in Anspruch, sich anzueignen, was das Land bot. Wenn Gewalt nicht angesagt war, musste eben ein Trick helfen. Kolumbus wusste, dass eine Mondfinsternis bevorstand und beschwor am 29. Februar 1504 mit ihr die Rache der Götter über die säumigen »Indios« herauf. Als sie tatsächlich eintrat, weinten und schrien diese und boten alles, was die Fremden nur wollten. Das europäische rationalistische Herrschaftswissen, das eine exakte Vorhersage ermöglichte, hatte über das magisch-zyklische Denken der Ureinwohner triumphiert. Es war in der Berechnung von Ursache und Folge streng sachlich bestimmt und dem Weltbild der Indigenen voraus. Am bekanntesten dürfte der dadurch strategisch dem Cortéz und Pizarro, zwei der Kolumbus folgenden Konquistadoren, zugefallene Gewinn sein. Mit dem Vorteil überlegenerer Kenntnisse - vor allem auch in militärischer Taktik und Bewaffnung - sowie mit rücksichtslosem Siegeswillen in alter Condottieri-Tradition und unter geschickter Ausspielung der Gegner gegeneinander wurde die Herrschaft der Weißen etabliert. Das allgemein geübte requerimiento - die Aufforderung der unwissenden »Wilden« zur Kapitulation - war nur eine zynische Fußnote. Mit der schrittweisen Durchsetzung der Herrschaft der Spanier wurden die einheimischen Gesellschaften einem eklatanten Soziozid, der Zerstörung ihrer überlieferten Gesellschaften,ausgesetzt, die ihre krassesten Formen in der zwangsweisen Christianisierung sowie im repartimiento, der Aufteilung der heimischen Arbeitskräfte auf die Kolonisatoren, fand. Dazu gesellte sich alsbald ein regelrechter Genozid. Die durch Hunger und Überausbeutung geschwächten Indianer wurden zudem mit den von den Fremden eingeschleppten Krankheiten wie Masern oder Pocken infiziert und starben wie die Fliegen dahin. Schätzungen zufolge ging die Bevölkerung des Inka-Reiches von sieben Millionen auf 500000 zurück. Für Hispaniola, die zuerst entdeckte Insel, errechnet man einen Bevölkerungsschwund von zwei Millionen auf einige Hundert eine Generation später. In der Morgenblüte der europäischen Entdeckungen spielte sich eine der größten soziodemographischen Katastrophen der Neuzeit ab. Die Ureinwohner Amerikas wurden nicht nur massiv dezimiert, sondern auch schwer demoralisiert. In späteren Zeiten erholten sie sich zahlenmäßig zwar langsam wieder, aber nicht mehr als autochthone Gruppen, sondern als Anhängsel oder Bodensatz einer neu entstandenen kolonialen Gesellschaft. Diese war nicht am Binnenland, vielmehr an den Bedürfnissen des Mutterlandes an Rohstoffen und Edelmetallen interessiert. Mit dem lateinamerikanischen Gold finanzierte Spanien seine europäischen Kriege. Auch die nach der Unabhängigkeit sich herausbildende Teilnahme am imperialistischen Weltmarkt setzte auf die billige Extraktion von Rohstoffen und lohnende wirtschaftliche Investitionen, genährt vom Luxuskonsum der herrschenden Klassen (ein Beispiel hierfür ist das berühmte Opernhaus von Manaús als Produkt des Gummibooms). Die Landbevölkerung vegetiert dahin in Rückständigkeit und Abhängigkeit. Und wann immer diese komfortablen Machtverhältnisse gefährdet schienen, griffen die Herrschenden zum bewährten Mittel der Militärdiktatur, jüngst besonders brutal in Guatemala, Uruguay und Argentinien. Schon sehr früh ergriffen den amerikanischen Doppelkontinent die »Segnungen« der Globalisierung. Mittlerweile sind die Meriten des südamerikanischen »Kompradorenkapitalismus« verblasst. Auch die Strategie der Importsubstitution à la Peron trug nicht mehr, als die Weltmarktpreise für lateinamerikanische Rohstoffe fielen, eine eigene Industrie nur in Ansätzen entstand, hingegen die Auslandsverschuldung astronomisch wuchs. Besonders schlimm ist Argentinien dran, während Brasilien, Mexiko und Chile eine gewissen Entwicklungsdynamik an der neoimperialistischen Peripherie aufweisen. Gegen das kapitalistische Diktat regt sich aber allerorten Widerstand - in Argentinien mit regelmäßigen Protestzügen der Armen, in Chiapas/Mexiko durch die bewaffneten Basisorganisationen der Zapatistas und in Brasilien in Form der sozialstaatlich und nationalwirtschaftlich orientierten Reformen Lulas. Seine kundige Vorhersage hatte Kolumbus und dem Rest seiner Mannschaft vor 500 Jahren das Leben errettet. Ein aufgeklärter Beobachter der Szene hätte wohl auch noch eine weitere Vorhersage machen können: Wer den anderen das Essen wegfrisst und auch noch die Götter per Mondfinsternis beschwört, dem ist allerhand zuzutrauen. Was die folgenden Jahrhunderte mit Leid und Schmerz für die Indigenen bestätigten.

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