Reptilienfonds
„Bösartige Reptilien hatte Reichskanzler Otto von Bismarck in einer Rede im Januar 1869 die Angehörigen der Weifenlegion genannt, die sich der Annexion des Königreichs Hannover durch Preußen im Jahre 1866 widersetzten und trotz des mit König Georg V im September 1867 abgeschlossenen Abfindungsvertrages, der ihm einige Besitztümer und eine Rente zusprach, nicht Ruhe gaben. Preußen rächte sich im März 1868, beschlagnahmte das gesamte Vermögen des Königshauses Hannover und richtete einen Weifenfonds ein, gedacht zur „Überwachung und Abwehr der gegen Preußen gerichteten Unternehmungen des Königs Georg und seiner Agenten“ Mit ihm verfügte Bismarck über jährlich etwa 600 000 Mark zur Bezahlung von regierungstreuen Presseorganen, Journalisten und Agenten. Nachdem er dann die Weifenanhänger als „bösartige Reptilien“ beschimpft hatte, war der Name dieses Fonds, über den keinerlei öffentliche Rechenschaft zu geben war, für die Opposition klar: Reptilienfonds. Die von der Regierung alimentierten Presseorgane waren entsprechend Reptilienblätter.
Offiziell wurde der Reptilienfonds 1892 aufgelöst. Als Bezeichnung für einen geheimen Regierungsfonds zur Finanzierung ausgewählter Presseorgane und regierungstreuer Journalisten hat er die Zeit überlebt. Vor einigen Jahren noch hatten Presseerzeugnisse der Alt-BRD keine Hemmungen, den Haushaltstitel 300 „zur Verfügung des Bundeskanzlers für Förderung des Informationswesens“ und Haushaltsmittel des Presse- und Informationsamtes als Reptilienfonds zu bezeichnen. In der Zeitschrift „Zeitungs- und Zeitschriftenverlag“ war im Februar 1966 z.B. zu lesen: „Bundeskanzler Prof. Erhard ist nicht gewillt, auch nur einen Teil der ihm für Informationsausgaben zur Verfügung gestellten 1 Steuergelder*Millionen des Titels 300, des sogenannten .Reptilienfonds', durch den Haushaltsausschuß oder ein anderes parlamentarisches Gremium kontrollieren zu lassen.“ Es handelte sich um 12,5 Millionen DM allein für den Haushaltstitel 300 und sieben Millionen für „Öffentlichkeitsarbeit in Verteidigungsfragen“ Finanziert wurden damals u.a. der „Bayern-Kurier“ und der „Rheinische Merkur“. Der SPD-„Vorwärts“ und die „Deutsche National- und Soldaten Zeitung“ sollen ebenfalls auf der Empfängerliste gestanden haben.
Im Verlaufe der Jahre hat sich, wie unlängst bekannt wurde, an der Praxis der gezielten Finanzierung regierungstreuer Presseorgane oder Agenturen durch das Bundespressseamt nichts geändert. Nur der Name lautet anders: aus dem Reptilienfonds ist das „Staatssponsoring“ geworden. Klänge ja auch komisch: Vogel füttert Reptilien.
HANS GEORGE
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