Der Aufstand von Mäntsälä

Der Putsch der Lapua-Bewegung scheiterte, danach entstand Nordeuropas größte Nazipartei

  • Jochen Reinert
  • Lesedauer: ca. 3.5 Min.

Finnland erlebte Anfang der 30er Jahre den Siegeszug der profaschistischen Lapua-Bewegung, die eine Machtübernahme à la Mussolini in Italien anstrebte. Am 29. Februar 1932 wurde ihr Putschversuch abgewendet.

An jenem Februartag versammelten sich in dem nordöstlich von Helsinki gelegenen Mäntsälä bewaffnete Aktivisten der Lapua-Bewegung zum entscheidenden Schlag. Zwei Tage zuvor hatten sie mit Schüssen auf das Gebäude der örtlichen Arbeitervereinigung eine Veranstaltung der Sozialdemokraten auseinandergejagt. Doch die inzwischen auf 600 Mann angewachsene Truppe - sie bestand u.a. aus Angehörigen der »weißen« Schutzkorps, die 1918 im Verein mit der deutschen Ostseedivision die finnische Revolution niederwarfen - verfolgte weitreichendere Ziele. Wie der Schriftsteller Paavo Haavikko in seinem Buch »Finnlands Linie« schildert, verlangte die Lapua-Bewegung ultimativ die Änderung des politischen Kurses Finnlands. Die Führung der Bewegung erteilte von ihrer Tagung in Hämeenlinna an jenem 29. Februar einen Mobilisierungsbefehl, der von rund 6000 Mann befolgt wurde. Die zunächst rechtspopulistische Bewegung entstand im November 1929. Aufgebrachte Bauern gingen gewaltsam gegen ein Treffen finnischer Jungkommunisten in dem Ort Lapua (schwedisch: Lappo) vor. Dabei entlud sich die Unzufriedenheit der Bauern, die mit den »Weißen« in den »Freiheitskrieg« gezogen waren, mit den gravierenden Folgen der Weltwirtschaftskrise für ihre Höfe wie auch mit dem Wiedererstarken der Arbeiterbewegung nach ihrem schweren Aderlass 1918. Die Bauern wollten nun den Bürgerkrieg »mit neuen Mitteln« fortsetzen, urteilt Haavikko. An erster Stelle der politischen Forderungen der Lapua-Anhänger stand die Unterdrückung jeglicher kommunistischer Tätigkeit. Als sich das Parlament gegen Gesetzesänderungen zugunsten eines Verbotes linker Zeitungen wandte, legten die Kampftruppen - so heißt es in Osmos Jussilas »Politischer Geschichte Finnlands seit 1809« - selbst Hand an und zertrümmerten die Druckmaschinen der Vaasaer linken Zeitung »Työn Ääni«. Im Laufe des Sommers 1930 misshandelten und verschleppten die Lapua-Aktivisten über 250 politische Gegner, viele von ihnen wurden über die sowjetische Grenze gekarrt. Diese »Abschiebungen«, bei denen auch einige Linke ermordet wurden, trafen indes nicht nur Kommunisten, sondern auch den sozialdemokratischen Parlamentsvizepräsidenten Väinö Hakkila und den liberalen Ex-Präsidenten K.J. Stålberg. Unter dem starken Druck der Lapua-Bewegung - sie führte am 7.Juli 1930 einen spektakulären »Marsch auf Helsinki« mit 12000 Mann durch - wurden zunächst alle kommunistischen Reichstagsabgeordneten verhaftet, dann das Parlament aufgelöst und die Aufstellung von KP-verdächtigen Kandidaten bei den Neuwahlen verboten. Bei diesen »Wahlen« erreichten die Bürgerparteien eine Zweidrittelmehrheit, mit der sie im Oktober verfassungsändernde repressive Kommunistengesetze beschlossen. Doch das reichte der Lapua-Bewegung nicht mehr - sie übernahm laut Einschätzung des schwedischen Historikers Anders Hagström nach ihrem 5. Landestreffen im November 1930 immer mehr faschistische italienische Muster. Ihre Aktivisten riefen nun auch nach Auflösung der längst von Linken »gereinigten« Sozialdemokratischen Partei. Mit einem Staatsstreich gedachten sie an jenem 29. Februar, die Macht zu übernehmen. Das ging dann selbst den einflussreichen bürgerlichen Kräften, die mit dem radikalen Antikommunismus der Lapua-Bewegung stark sympathisierten, zu weit. Die Regierung ließ von der Armee alle Zufahrtswege nach Mäntsälä blockieren. Die Anführer wurden verhaftet, 30 von ihnen zu Gefängnisstrafen verurteilt und die Bewegung verboten. Dies wird in der finnischen Geschichtsschreibung als ein Sieg der Demokratie dargestellt. Verglichen mit der Entwicklung in den baltischen Ländern war es in der Tat gelungen, faschistoide Kräfte von der Regierungsmacht fern zu halten. Doch zu welchem Preis - und Mäntsälä war nicht das Ende. Noch 1932, so Prof. Timo Soikkanen von der Universität Turku in einer offiziösen Studie über »Struktur und Entwicklung der politischen Parteien Finnlands«, wurde die Vaterländische Volksbewegung (IKL) gegründet, »um die Tätigkeit der Lapua-Bewegung mit parlamentarischen Mitteln fortzusetzen«. Und dies durchaus mit Rückenwind aus dem bürgerlichen Lager. So bildeten die Konservativen 1933 einen Wahlbund mit der IKL, die sich alsbald als offen faschistische Partei - ihre Milizen trugen schwarze Hemden und blaue Schlipse - zu erkennen gab. Die IKL erreichte bei den Wahlen 1936 8,3 Prozent und 1939 6,6 Prozent der Stimmen und gehörte nach dem Kriegseintritt Finnlands an der Seite Hitlerdeutschlands 1941 zur Helsinkier Allparteienregierung, in der sie die Kollaboration mit Berlin eifrig unterstützte. Mit rund 80000 Mitgliedern war die IKL die größte offen faschistische Partei, die es je in Nordeuropa gab. Das Ende der IKL und damit auch der Lapua-Bewegung kam 1944 mit dem Waffenstillstandsabkommen mit der Sowjetunion. Die Partei wurde verboten. »Nach dem Kriege«, so der Europaabgeordnete und Vizevorsitzende des finnischen Linksbundes Esko Seppänen gegenüber ND, »gab es bei uns keine nennenswerten ultrarechten Gruppierungen. Der sowjetische Einfluss war groß und niemand wagte, Rechtsextremismus zu unterstützen. Und die Staatsmacht war verantwortlich, dass kein Antisowjetismus vorkam.« Heute gäbe es in Finnland lediglich einige Skinhead-Gruppen mit rassistischem und rechtsextremem Vokabular, meint Seppänen, »aber sie haben keine Antwort auf die gesells...

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